Mitarbeiter der sowjetischen Handelsvertretung wegen illegaler Aktivitäten angeklagt:

Moskauer DV-Spione beschäftigen Bonner Beamte

06.05.1983

BONN - Durch das verschärfte Wettrüsten der Großmächte geraten inzwischen auch deutsche DV-Anbieter in die Mühlen der Geheimdienste. In der Bundeshauptstadt soll jetzt ein Mitarbeiter der sowjetischen Handelsvertretung, Gennadi A. Bataschev, der im Februar bei einem konspirativen Treffen am Kölner Dom wegen "dringenden Verdachts geheimdienstlicher Tätigkeiten" verhaftet wurde, vor Gericht gestellt werden. Der vermeintliche Top-Agent des russischen Geheimdienstes KGB wollte sich über einen leitenden Mitarbeiter der Racal Milgo GmbH, Frankfurt, Schaltpläne des Datenverschlüsselungsgerätes "Datacryptor" beschaffen, das auch von Nato-Behörden eingesetzt wird.

"Nach den vorliegenden Erkenntnissen läuft in den Staaten des kommunistischen Machtbereichs ein systematisches Technologiebeschaffungsprogramm zur Unterstützung der militärischen Aufrüstung", erklärt ein Sprecher des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) in Köln. Konnten die Comecon-Länder in den sechziger und siebziger Jahren Elektronik- und DV-Know-how noch überwiegend "offen" erwerben, so verstärkten sie nunmehr in Anbetracht des Problembewußtseins, westlichem Computerwissen nachzuhinken, "illegale Aktivitäten" (O-Ton BfV), um die Ausfuhrbestimmungen der Cocom-Listem (Cocom steht für Coordinating Committee for East/West Policy) zu umgehen. Bereits rund ein Fünftel der bekanntgewordenen Spionagefälle in der Bundesrepublik spielten sich denn auch nach Angaben von Hans-Günter Kowalski, Sprecher im Bundesinnenministerium, in den Bereichen Elektronik und Datenverarbeitung ab.

Aber selbst wenn sich ein östlicher Geheimdienst für moderne Waffensysteme interessiere, räumt Kowalski ein, seien die Technologien überlappend zu betrachten, denn auch hier stünden Erkenntnisse über den Einsatz der Mikroelektronik im Vordergrund der Ermittlungsbemühungen. Nach Informationen der Sicherheitsbehörden liege die Dunkelziffer der Spionagedelikte in der Informations- und Kommunikationsumgebung weitaus höher, als allgemein angenommen werde.

Unter allen Staaten, die sich um westliche Computerweisheiten bemühten, entwickle die UdSSR derzeit die größten Aktivitäten, so ein Lagebericht des Bundesverfassungsschutzes aus dem Jahre 1982. Im gleichen Papier wird darauf hingewiesen, daß die sowjetische Handelsvertretung in Bonn eine besondere Rolle bei der Umgebung der Embargobestimmungen einnehme. Nach umfangreichen Ermittlungsverfahren seien bereits 1981 zwei Mitarbeiter dieser Organisation der Spionagetätigkeit überführt worden und hätten die Bundesrepublik verlassen müssen.

Im Vergleich der zurückliegenden Spionagefälle zur "Bataschev-Affäre" fällt auf, daß die Vorgehensweise der KGB-Agenten Methode hat. Die ersten Kontakte laufen in der Regel auf rein geschäftlicher Basis, erläutert ein Verfassungsschützer. So auch bei Racal Milgo: Bataschev nahm im Dezember 1981 telefonisch Kontakt zu einem leitenden Mitarbeiter der Frankfurter GmbH auf, um sich "allgemein" über deren Produkte zu informieren. Bei einem vereinbarten Treffen in der Rhein-Main-Metropole wurde der 42jährige Sowjetbürger bereits konkreter. Er wollte spezielle Informationen über das Datenverschlüsselungsgerät "Datacryptor", das Racal hierzulande vorrangig im kommerziellen Anwendungsbereich vertreibt. Das Chiffriersystem wurde in den USA entwickelt, um die Sicherheit geheimer Daten von Banken und Versicherungen zu garantieren. Insbesondere sollte es Unbefugte hindern, Informationen von einer Datenleitung abzurufen oder hinzuzufügen. Dem Vernehmen nach soll der Datacryptor inzwischen aber auch von den Nato-Behörden eingesetzt werden.

Daß die Verschlüsselungsgeräte seines Unternehmens für militärische Zwecke von Interesse sein könnten, gibt der deutsche Racal-Geschäftsführer John Barnes offen zu, obwohl die Behörden ihn in der Bataschev-Sache zum Schweigen anhalten. Dazu Barnes: "Die Situation ist sehr politisch geprägt, wir dürfen keine Aussagen machen."

Nach einem ersten "Abtasten" versuchte Bataschev, zu seinem Gesprächspartner bei Racal persönlichen Kontakt aufzubauen. Nach dem dritten Treffen habe er das "Du" angeboten und die Unterredungen, die fortan in verschiedenen Restaurants zwischen Frankfurt und Bonn stattfanden, in private Bahnen gelenkt. In diesen Gesprächen soll der UdSSR-Bürger, der nach Aussagen der Ermittlungsbehörden über keinen diplomatischen Status verfüge, zunächst nach allgemein zugänglichen Informationen gefragt haben, wie etwa nach Forschungsberichten der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD) oder nach Erhebungen des US-Marktforschers Datapro. In dieser Anfangsphase der Beziehungen zu Bataschev informierte der Racal-Angestellte bereits seinen Chef Barnes, der sich daraufhin mit den Sicherheitsbehörden in Verbindung setzte. Die Verfassungsschützer reagierten prompt. Sie vereinbarten mit den Frankfurtern, daß diese auf alle Wünsche des Russen eingehen sollten.

Somit kam es zu weiteren Treffen zwischen Bataschev und dem Racal-Manager, über die die Kölner Beamten jetzt regelmäßig informiert wurden. Beim vierten Besuch ließ der vermeintliche Sowjetagent schließlich die Katze aus dem Sack: Er bot Geld für Informationen, die vom Intel-Mikroprozessor APX 432 bis hin zum IBM-Großrechner 3081 reichen sollten. Er benötigte aber auch Details zu gängigen CAD/CAM-Systemen und dem EG-Projekt "Esprit", das in den westeuropäischen Ländern für kooperative Forschungs- und Entwicklungsvorhaben eingesetzt wird. Bataschevs besonderes Interesse galt jedoch Datenbanken verschiedener Hersteller, so den Systemen IMS, Adabas und DBMS.

Da der Racal-Mitarbeiter bei diesen Produkten eine längere Beschaffungsdauer voraussagte, konzentrierte sich das Interesse des Russen wieder vornehmlich auf Datenverschlüsselungsgeräte. Der Frankfurter sollte jedoch zu den Datacryptor-Schaltplänen obendrein Unterlagen über Konkurrenzsysteme besorgen. Für detaillierte Informationen über das eigene Produkt wurden dem Racal-Mitarbeiter 5000 Mark zugesagt, 1000 Mark im Januar dieses Jahres bereits angezahlt. Weitere Gelder sollten fließen, wenn Papiere über die Mitbewerberprodukte vorliegen würden. Als sich die Situation zuspitzte und eine Übergabe der Unterlagen unausweichlich schien, schlug der Verfassungsschutz am 17. Februar bei einem konspirativen Treffen am Kölner Dom zu. Bei der Aushändigung der Datacryptor-Schaltpläne wurde Bataschev von Beamten des Bundeskriminalamtes verhaftet. Während sich der Sowjetbürger noch in Untersuchungshaft befindet und auf seinen Prozeß wartet, wird in Bonner Kreisen vermutet, daß sich Moskau noch vorzeitig um einen Austausch seines Mitarbeiters bemühen wird.