Möglichkeiten und Grenzen- der DV-Unterstützung betrieblicher Informationssysteme:Autoritärer Führungsstil mit moderner DV inkompatibel

22.08.1986

Der Begriff "Kompatibilität" wird in der DV-Branche sehr unterschiedlich benutzt. Ganz allgemein bedeutet dieses Wort "Verträglichkeit" oder "Vereinbarkeit". Auf Maschinen bezogen versteht man unter Kompatibilität die reibungslose Verbindung der Anlagen, Systeme und Geräte. Es gibt mehrere Kompatibilitätsstufen: Man spricht von "Hardwarekompatibilität" oder "Steckerkompatibilität", aber auch von "Softwarekompatibilität", nämlich dann, wenn Programme oder Softwarepakete ohne Veränderungen in einem anderen System eingesetzt werden können. Gibt es jedoch auch eine "organisatorische Verträglichkeit", also eine Kompatibilität zwischen Mensch und Maschine? Es gibt sie, und es lohnt sich, beim Einsatz von DV-Anlagen darüber nachzudenken.

Die Zeiten, in denen Computer als geheimnisvolle Maschinen galten, die große Datenmengen verarbeiten aber nur den DV-Gurus verständlich waren, sind vorbei. In der Pionierzeit der DV war eine weitgehende Anpassung des Menschen beziehungsweise von Organisationen an die EDV erforderlich. Erheblicher zusätzlicher Lernaufwand war nötig, wenn man die Maschinen in Betrieb nehmen wollte. Und nicht selten wurden Arbeitsabläufe auf die Bedürfnisse des Rechenzentrums hin ausgerichtet. Von reibungsloser Anpassung konnte in jener Phase sicher keine Rede sein, höchstens von einer Anpassung der organisatorischen Umgebung an den Computer.

Heute kann jeder einen Computer kaufen und einsetzen, ob privat oder beruflich. Wenn schon Schüler die Hausaufgaben mit dem PC erledigen, scheint das Anpassungsproblem zumindest in diesem Bereich gelöst zu sein. Wer als Leiter einer Organisationseinheit vor die Frage gestellt wird, ob er ein Computersystem einsetzen soll, muß - explizit oder unterschwellig - die Frage beantworten: Kann ein DV-System das betriebliche Informationssystem unterstützen oder gar ersetzen? Die Antwort lautet eindeutig: Ja. Das DV-System, der Einzelplatzcomputer (Personal Computer) oder das Mehrplatzsystem beziehungsweise das Netzwerk mit Zentralrechner sind geradezu die Träger des modernen betrieblichen Informationssystems. Wer heute ohne Computer betriebliche Informationen verarbeitet, begibt sich in die Gefahr, seinem Wettbewerber in bezug auf Quantität, Qualität sowie Aktualität der Informationen unterlegen zu sein.

Man kann ein DV-System mit dem menschlichen Organismus vergleichen: Die Hardware entspricht den Knochen, die Muskeln den Programmen, der Software, und die Information im System den Nervenimpulsen. Der Mensch muß diese Impulse zu Entscheidungen verarbeiten. Gibt es bei der Verpflanzung von körperlichen Organen zuweilen Abwehrreaktionen, so sind bei der Datenverarbeitung und bei der Integration von neuen Systemen in eine betriebliche Umgebung manchmal ähnliche Erscheinungen zu beobachten. Dabei ist allerdings festzustellen, daß es keine eindeutige Empfehlung für eine bestimmte Vorgehensweise gibt. Zu "menschlich" sprich: unterschiedlich sind die betrieblichen Ausgangssituationen. Das Optimum besteht nicht mehr in der bedingungslosen Unterordnung der Organisation unter die DV-Bedürfnisse, aber auch nicht umgekehrt. Beides muß aufeinander abgestimmt werden.

Die entscheidende Voraussetzung beim DV-Einsatz bereitet der Mensch: Kann er sein Verhalten den geänderten Rahmenbedingungen anpassen? Wie reagieren die Führungskräfte und Sachbearbeiter? Ändern Manager als Folge eines neuen Informationssystems ihren Führungsstil, sind sie sich überhaupt der Notwendigkeit des Änderns bewußt?

Die moderne DV weist eine grundsätzliche "Inkompatibilität" gegenüber "autoritären" Führungsstilen auf, denn sie ist von ihrer Systemlogik her gesehen "demokratisch" aufgebaut: Viele Einzelinformationen verschaffen dem Sachbearbeiter eine Entscheidungsgrundlage, die früher nur der Manager als "Informationsknotenpunkt" hatte. Autoritäre Entscheidungsstrukturen gibt es heute noch, organisationsbedingt, vor allem in kleinen Unternehmen die kaum Arbeitsteilung und nur geringe Datenmengen zu bewegen haben. In solchen Unternehmen wird eher aufgrund von Erfahrungen und persönlicher emotionaler Bewertung der Informationen, weniger aufgrund von objektiven Daten und Analysen entschieden. "Kompatibel" ist DV dagegen mit Teamführung und partizipativen Führungsstilen, wie sie in vielen Großunternehmen anzutreffen sind.

Es gab in der Vergangenheit einige Tendenzen in der DV-Entwicklung, die der "Kompatibilität" im Organisationsbereich entgegenstanden, zum Beispiel das ungünstige Preis-Leistungs-Verhältnis der Systeme, die Stapelverarbeitung und Zentralisierung der DV, oder die Konzentration auf die Verarbeitung innerbetrieblicher Daten sowie der isolierte Einsatz der DV in ausgewählten Verwaltungsbereichen; schließlich einen offenkundigen "Application Gap" - die Anwendungssoftware war unterentwickelt.

Heute hat sich das Blatt gewendet: Es gibt ein viel günstigeres Preis-Leistungs-Verhältnis, das einen DV-Einsatz an jedem Arbeitsplatz ermöglicht. Die Online-Dialog-Verarbeitung ermöglicht eine immense Aktualität. Jeder Anwender erhält ein unmittelbares Feedback. Damit steht einer dezentralen, demokratisierten Entscheidungsfindung nichts mehr im Weg. Darüber hinaus wird die strategische Einbeziehung von externen Entwicklungen und Informationen möglich. Der Einsatz noch höher entwickelter Systeme mit "Künstlicher Intelligenz" eröffnet neue Dimensionen für die betriebliche Information - Entscheidungen können vom DV-System bereits vorbereitet werden.

Früher war alles Wissen der DV-Mannschaft darauf ausgerichtet, den "EDV-Führerschein" zu machen, um die großen "Kisten" betriebsbereit zu halten.

Auch wurden zu hohe Erwartungen auf den Computer gestellt: Er sollte erreichen, was über den bisherigen Organisationsablauf nicht zu bewältigen war. Das konnte nicht funktionieren. Es gab Schwierigkeiten bei der Implementierung, weil zu viele DV-Experten ohne Anwendungs-Know-how maßgebend waren, während heute der Anwendungsprofi den Ton angibt. Kompatibilität im technischen wie im organisatorischen Sinn setzt ja vor allem voraus, daß der Anwender weiß, wie er seine Bedürfnisse in objektivierbare, quantitativ faßbare Vorgaben ummünzt. Er muß wissen, welche Informationen er braucht, und wie er sie aus dem "Datenfriedhof" Daten herausbekommt.

Im "idealen'' modernen Büro mit seiner komplexen Kommunikationsstruktur und prinzipiellen Offenheit beziehungsweise Durchlässigkeit für Informationen verschiedenster Art sind ordnende Grundstrukturen und klare Begriffsinhalte eine wichtige Voraussetzung für Kompatibilität zwischen Mensch und Maschine.

Wenn nicht eine Basiskonzeption für den Gesamtbetrieb den Einsatz der DV in der Bürokommunikation regelt, läuft das Unternehmen beziehungsweise die Verwaltungseinheit Gefahr, sich mangels klarer Abstimmung über Systeme, Software und Netzwerkverbund eine Dauerquelle für Inkompatibilität zu schaffen.

Es ist absehbar, daß DV-Systeme immer stärker Hauptträger des betrieblichen Informationssystems werden, und sich die vorhandenen Organisationsstrukturen verändern. Managementhierarchien, deren Aufgabe in zu starkem Maße- in der Informationskoordination lag, müssen überprüft und gegebenenfalls abgebaut werden. Mit dem Abflachen der Hierarchien werden sie auch die Managementstile ändern müssen und damit eine weitere, sehr starke Quelle für Kompatibilitätsprobleme im organisatorischen austrocknen. Autorität, abgeleitet aus "Herrschaftswissen", wird zunehmend der Vergangenheit angehören, und alle Führungskräfte tun gut daran, sich Zugang zum Informationspool zu verschaffen.

Fazit: Früher lag die Schwierigkeit betrieblicher Information mittels Datenverarbeitung in der Anpassung der betrieblichen Notwendigkeiten an die DV-Systeme der verschiedenen Hersteller. Heute kann und sollte sich die betriebliche Organisation der technischen Möglichkeiten des Informationsmanagements bedienen. Die Ausschöpfung dieses über DV-Systeme möglichen Informationsangebots bedingt allerdings auch eine hohe Kompetenz des Nutzers und seine Bereitschaft, liebgewordene, aber nicht immer rationelle Denkpfade zu verlassen. Denn auch hier gilt: Wer nicht weiß, wo er hingeht, wird vielleicht in einer Sackgasse ankommen.

*Rainer Liebich ist Vorsitzender der Geschäftsführung der NCR GmbH, Augsburg.