Modell Müchhausen

03.08.1984

Es ist nicht mehr zu übersehen: Während die Käufer in Amerika zuletzt deutlich weniger Interesse an den IBM-PC-Modellen zeigten, gewann der "Macintosh" von Apple rasch an Popularität. So meldete der Mikro-Pionier kürzlich einen Hausrekord, was einzelne Aufträge betrifft: 13 000 Mac-Rechner wurden von der Universität von Texas in Austin bestellt.

War es nie strittig, daß Apple auf dem Campus eine treue Gemeinde besitzt, zusammengesetzt aus echten Apple-Fans, so erstaunt doch der Meinungswandel im geschäftlichen Bereich, bei Klein- und Mittelbetrieben, aber auch bei den sogenannten "Fortune-2000-Unternehmen" in den USA, seit jeher die bevorzugten Jagdgründe der IBM. An dem "Monopoly" mit IBM-PC-Karten scheinen Mikro-Manager und Fachbereichsleiter in großen Unternehmen keinen rechten Gefallen mehr zu finden.

Nun hat zwar Big Blue eiligst mit Preissenkungen zwischen 18 und 23 Prozent reagiert. Weil aber der Markt generell verunsichert ist, werden wohl eher die Anbieter IBM-PC-kompatibler Maschinen die Zeche bezahlen müssen, als daß sich die Kampfmaßnahme stabillsierend auf IBMs eigenes Kleincomputergeschäft auswirken könnte. US-Experten befürchten gar, daß es zu einem Blutbad ("blood bath" ) unter den kleineren Herstellern kommt.

Die Sorge ist mehr als berechtigt: Innerhalb von wenigen Wochen haben vier US-Mikrocomputerfirmen, nämlich Franklin, Actrix, Electronic Protection Devices und Logical Business Machines Gläubigerschutz unter Chapter eleven des amerikanischen Konkursrechts beantragen müssen. Gleiches Geschick droht selbst renommierten PC-Produzenten. Die IBM- PC Strategen haben indes keinen Grund zum Jubeln, denn trotz des Spottpreises (für IBM-Verhältnisse) verkauft sich der normale PC nicht besser. Auch die IBM trifft die Kaufzurückhaltung der Anwender, die auf weitere Preissenkungen und Leistungsverbesserungen im Mikrocomputerbereich warten.

Grotesk, daß sich der Rechnerriese diesmal selbst im Wege ist: Bei all den Spekulationen um PC-Nachfolgemodelle lassen sich hinreichende Gründe finden, jetzt nicht zu ordern. Kein Alibi also, sondern kaltes KalküI: Die Mikro-Manager in großen Unternehmen würden in der Tat leichtfertig handeln, wenn sie sich auf Hauruck-Aktionen einließen. Ihnen gefällt es schon lange nicht mehr, in der so wichtigen Frage der Mikro-Mainframe-Verbindung, des dezentralen Einsatzes von Arbeitaplatzcomputern, auf Buschtrommel-lnformationen angewiesen zu sein.

Was hinter den Kulissen ihrer PC-Division geschieht, erörtern IBM-Verkäufer so gern, wie Familienminister über praktische Verhütungsmaßnahmen reden. Aus dem Know-how-Notstand schlagen Marktprognostiker Kapital. Sie stellen bloße Vermutungen zu vermeintlichen Faktenverzeichnissen zusammen.

Wie schnell solche Kaffeesatzleserei ("Modell Münchhausen") zu Verwirrung bei den Anwendern führen kann, hat sich schon des öfteren gezeigt. Deshalb cool gefragt: Was hätte die IBM davon, zum jetzigen Zeitpunkt einen Unix-fähigen Mehrplatz-Mikro anzukündigen? Der Markt für ein solches Produkt ist noch nicht reif. Andererseits hat Big Blue im Erstanwendergeschäft mit Apple und den PC-Kompatiblen zu kämpfen. Wahrscheinlicher ist deshalb, daß zunächst eine Turbo-Version des normalen Einplatz-PC kommt, etwa mit dem schnelleren 8088-2-Prozessor. Wahrscheinlicher auch, daß IBM einige Inkompatibilitäten einbaut (Abkehr von der offenen Architektur!). Wir werden's, auf gut Bayrisch gesagt, derwarten können.