Post visiert bei mobilen Diensten 55 Prozent Marktanteil an

Mobilkommunikation: Telekom fürchtet Wettbewerber nicht

25.05.1990

DÜSSELDORF - Die Deutsche Bundespost Telekom schmiedet große Pläne in Sachen Mobilkommunikation. Selbstbewußt pries ihr Chef Helmut Ricke das Unternehmen für die Zukunft als "einzigen Vollsortimenter" an, der alle Mobilfunkdienste aus einer Hand bieten wird.

"Die mobile Kommunikation gilt insgesamt als eines der am schnellsten wachsenden Einzelsegmente der Telekommunikation", sagte der Vorstandsvorsitzende auf einer Pressekonferenz in Düsseldorf. Er ließ keinen Zweifel daran, daß die Telekom auf diesem Gebiet künftig kräftig abzusahnen gedenkt. Voll Optimismus - das wurde im Vorfeld der Vollversammlung des Comité Consultatif International des Radio-Communications" deutlich - blicken die Manager der Telekom in die Zukunft des Mobilfunks. Vermutlich deshalb hielten sie den Zeitpunkt für gekommen, ihre Ambitionen öffentlich kundzutun.

Tatsächlich schnürt sich der gelbe Riese mit seinen Plänen ein stattliches "Mobilbündel". Ricke läßt nämlich auf dem kompletten Feld der Mobilfunkdienste zum Angriff blasen. Als Generalanbieter, der vom antiquierten B-Netz über das C- und D1-Netz bis hin zum Satellitenfunk alles offeriert, will er sich den privaten Kontrahenten stellen und mittelfristig Gewinn einfahren. Der frühere Loewe-Opta-Chef und -Teilhaber: "Wir wollen ein fairer Wettbewerber sein, der allerdings auch seine Stärken nutzt." Dazu zählt er vor allem das hohe technologische Potential der Post, die flächendeckende Präsenz sowie die internen Verbundvorteile beim Angebot. Außerdem sei die Telekom durch die Umstrukturierung zum klassischen Wirtschaftsunternehmen bestens für den Wettbewerb gerüstet.

Stichwort Wettbewerb: Der wird, so Ricke, immer stärker und sorgt für rasch sinkende Preise, die dazu führen, daß die Mobilkommunikation das Getto kleiner hochpreisiger Spezialmärkte verläßt und sich zu neuen Massenmärkten entwickelt.

Trotz aller Euphorie sind die Verantwortlichen der Telekom nicht blauäugig. So warnt Klaus Hummel, als Mitglied des Vorstands für Mobilfunk zuständig: "Der Mobilfunkmarkt ist ein typischer Technologiemarkt mit einem hohen Investitionsrisiko bei gleichzeitig unsicheren Erlöserwartungen." Laut Hummel rechnet die Post im Jahr 2000 für alle Mobilfunknetze mit zehn Millionen Teilnehmern, verteilt auf die gesamten Wettbewerber. Im einzelnen kalkuliert er bei den Funkrufdiensten und bei Telepoint mit je zwei Millionen, im Bündel- sowie mobilen Datenfunk mit 2,5 Millionen Anwendern und im Bereich der Funktelefon-Netze mit 3,5 Millionen Kunden.

Dabei visiert die Telekom ein ehrgeiziges Ziel an, Sie beansprucht für alle Mobilfunkdienste die Marktführerschaft und erwartet einen Gesamtanteil von 55 Prozent. Die Zuversicht, über fünf Millionen Nutzer für sich zu gewinnen, stützt der frühere Monopolist auf die folgende Wachstumsfaktoren:

- stark erweiterte Leistungsmerkmale,

- fallende Endgerätepreise sowie

- flexible Preis- und Konditionengestaltung.

Nicht zu übersehen war bei der Präsentation, daß neben dem C-Netz vor allem das D1-Netz der Telekom liebstes Kind und Hoffnungsträger ist. Insgesamt, so Roland Mahler, Fachbereichsleiter Funktelefondienste in Rickes Truppe, wurden von der Deutschen Bundespost bislang über 50 Millionen Mark allein in die Erarbeitung des paneuropäischen, digitalen Standards investiert.

Bis einschließlich 1994 veranschlagt sein Kollege Hummel ein jährliches Investitionsvolumen von rund 400 Millionen Mark, in den Folgejahren 200 Millionen Mark. Insgesamt werden die Ausgaben zwischen einer und zwei Milliarden Mark liegen, wobei der Planer den "Break-even-point" in der zweiten Hälfte der 90er Jahre erwartet.

D1-Netz geht nicht vor Mitte 1991 in Betrieb

Die Aufnahme des D1-Betriebs kündigte Stratege Mahler frühestens ab Mitte 1991 an. Dann sollen gleichzeitig die Städte München, Nürnberg, Stuttgart, Hamburg, Hannover, Bremen und Berlin sowie das Rhein-Main- und Ruhr-Gebiet entlang der Autobahnen A 3 und A 61 versorgt werden. Grundprinzip der Einführungsstrategie sei, die Wirtschaftsräume an Rhein und Ruhr flächendeckend zu bedienen. Mahler weiter zur D1-Strategie der Post: "Unsere Kunden werden zu Recht nicht akzeptieren wenn sich die Flächendeckung über mehr als zwei bis drei Jahre hinzieht. Ziel der Telekom ist daher, bis Ende 1993 80 Prozent der Bevölkerung und 60 Prozent der Fläche zu versorgen, bis 1994 90 Prozent der Bevölkerung und 80 Prozent der Fläche."

Die Gesamtkapazität des Funktelefondienstes bezifferte der Fachbereichsleiter mit drei bis vier Millionen Teilnehmern für die Bundesrepublik, europaweit mit zehn bis 15 Millionen. Um sich gegenüber dem Mitbewerber, der Mannesmann Mobilfunk AG, möglichst viele D-Netz-Kunden zu sichern, tüftelt der Marketing-Stab der Telekom an neuartigen Vertriebskonzepten. "Die Strategie ist", so Mahler, "alle Vertriebsmöglichkeiten, die sich bieten, zugreifen."

Novum und Teil des Konzepts werden Service-Provider sein, mit denen der finanzstärkste Unternehmensbereich des gelben Riesen künftig zusammenarbeitet. Diese Anbieter sollen im Auftrag der Telekom auf Provisionsbasis Endgeräte verkaufen, Teilnehmer akquirieren und betreuen sowie Abrechnungen vornehmen. Verhandlungen mit großen Funkhandelsketten beziehungsweise Automobilherstellern sind derzeit im Gange. Auf Spekulationen, daß der Zuschlag an die gescheiterten D2-Netz-Bewerber BMW und Daimler gehen könnte, antwortete Hummel: "Wir sprechen zur Zeit mit sehr vielen Service-Providern. Darunter sind auch jene, die einmal D2-Ambitionen hatten."

Zum Verhältnis gegenüber dem Konkurrenten Mannesmann meinte Telekom-Chef Ricke: "Die Chancenverteilung zwischen den Betreibern ist ausgewogen." Zwar sei es für Mannesmann ein Vorteil, von der grünen Wiese aus ein Unternehmen aufzubauen, für die Post sprächen aber die schon bestehenden Einrichtungen und das Know-how. Zum Wettbewerber sagte Hummel lapidar: "Für uns ist wichtig, ein Prozent vom Marktanteil zu erreichen. Dann sind wir die Nummer eins." Die soll die Telekom werden, indem sich die Vertriebsmannschaft auf getriert. Bis es soweit werbliche Teilnehmer konzentriert. Bis es soweit sei, müsse jeder der beiden D-Netz-Anbieter, so Mahler, 2000 bis 3000 Funkstationen in der Bundesrepublik errichten. Auf Landschaftsschutz werde dabei Rücksicht genommen. Verhandlungen zwischen den Betreibern über die gemeinsame Nutzung von Stationen seien nicht ausgeschlossen.

"Das C-Netz ist und wird kein Ladenhüter"

Trotz der Vorliebe für D1 spielt in puncto Mobilfunk momentan das C-Netz,die wichtigste Rolle. Das seit 1986 in Betrieb stehende bundesweite Analogsystem hat derzeit 191 000 Teilnehmer. Bis zum Jahresende soll die Zahl der Nutzer auf 250 000 steigen; insgesamt ist eine Kapazität von 500 000 Kunden möglich. Ehe dieses Limit erreicht ist, wird, so Funktelefon-Spezialist Mahler, das Nachfolgenetz D1 rechtzeitig in Dienst genommen.

Befürchtungen von Kunden, die jetzt noch in C-Netz-Equipment investieren wollen, auf das falsche System zu setzen, zerstreut Mahler: "Das C-Netz ist und wird auch in den nächsten 15 Jahren kein Ladenhüter." Marktforschungen hätten gezeigt, daß frühestens Mitte der 90er zehn Prozent der Funktelefon-Anwender die besonderen Leistungsmerkmale des D1-Netzes, nämlich schnellere Datenübertragung, Kurznachrichtendienste und europaweiten Einsatz, nachfragen werden. Der Fachbereichsleiter weiter: "Das Gros der Kunden will mobil telefonieren und dafür kleine handliche Funktelefone nutzen. Genau die bietet das C-Netz."

Die Post wird das Analogsystem laut Beschluß der Vorstands mindestens bis zum Jahr 2008 weiter betreiben. Kunden, die im Laufe der Zeit vom C- auf das D-Netz umsteigen wollen, soll Hummel zufolge der Wechsel durch Sonderkonditionen schmackhaft gemacht werden.

Obwohl die Telekom ihren "Ehrgeiz" besonders auf das C- und D-Netz legt, laufen parallel dazu die Aktivitäten in den Mobilsektoren Funkrufdienst, Telepoint, Bündel- und Datenfunk. Wie im D-Netz, will sich das Unternehmen in den genannten Bereichen künftig ebenfalls Wettbewerbern stellen. Die Lizenznehmer müssen aber von Minister Christian Schwarz-Schilling erst noch ernannt werden.

Für die Funkrufdienste strebt das Post-Unternehmen keine Flächendeckung, sondern regionale Rufzonen an. Bis Ende 1990 sollen alle Städte mit mehr als 30 000 Einwohnern - das entspricht 60-70 Prozent der Bevölkerung - versorgt werden. Ähnlich verhält es sich beim Bündelfunk "Chekker". Hier will sich die Telekom ebenso auf geschlossene Wirtschaftsräume begrenzen. Noch in diesem Jahr ist die Errichtung von sieben regionalen Netzen in Berlin, Hamburg, Rhein-Main- und Rhein-Neckar-Gebiet, Stuttgart, Nürnberg sowie München geplant.

Die Fühler in Sachen Kundenakzeptanz will Ricke dagegen erst einmal beim mobilen Datenfunk und der schnurlosen Telefonie in Mobilfunknetzen ausstrecken. Letztere, in Fachkreisen auch als Telepoint bekannt, wird die Telekom unter der Bezeichnung "birdie" in der zweiten Jahreshälfte durch Feldversuche in München und Münster auf ihre Lukrativität hin prüfen.

Weitgehende Flächendeckung sehen die Verantwortlichen dagegen beim mobilen Datenfunk vor Anfang 1991 soll in einem Pilotprojekt im Raum Rhein/Ruhr das Interesse der Kunden an dem Regeldienst getestet werden. Verläuft das Projekt erfolgreich, wird der mobile Datenfunk vermutlich ab Anfang 1992 angeboten.

Die Telekom macht mobil

Die "totale Mobilmachung" hat Telekom-Chef Ricke für die Mobilkommunikation befohlen. Ricke, der seine Qualitäten als Manager bei Loewe-Opta schon unter Beweis stellte, wird sich seinen Teil dabei gedacht haben. Vermutlich wittert er - wie viele andere auch - das große Geschäft.

Auf denersten Blick mutet es denn auch beachtlich an, wenn sich die Telekom dem Kunden für die Zukunft als einziger "Vollsortimenter" am Mobilfunkmarkt alpreist. Bei genauerem Hinsehen schaut jedoch vieles ganz anders aus.

Erstens hat die Post, vom D2-Netz-Betreiber Mannesmann und den Endgeräte-Anbietern einmal abgesehen, noch keine weiteren Widersacher. Zwar wird man in Kreisen der Telekom nicht müde, immer wieder darauf hinzuweisen, daß auch für die anderen Zweige der Mobilkommunikation noch Lizenznehmer bestimmt werden, solange dies aber nicht geschieht, bleibt der fade Geschmack der Wettbewerbsverzerrung

Eine neutrale Instanz schiene sinnvoller.

Drittens schmückt sich die Telekom als Generalanbieter mit Vorschußlorbeeren, denn in den Bereichen Telepoint und mobiler Datenfunk hängt das Engagement vom Erfolg zweier Pilotprojekte ab.

Trotz alledem profitiert der Kunde - zumindest mittelfristig. Auch wenn außer Mannesmann andere Lizenznehmer noch nicht in Sicht sind, steht die Telekom in der Pflicht. Über kurz oder lang müssen nämlich die Privaten Anbieter benannt werden.

Bleibt der Unternehmensbereich des gelben Riesen dann hinter seinen Versprechen zurück, weil er mit "mobil total" auf zu vielen Hochzeiten tanzt, wandern die Anwender eben zur Kokurrenz ab.

Für die Telekom könnte sich dann die alte Weisheit bewahrheiten. Weniger ist oft mehr. pg