IT in der Automobilindustrie/Der Standardisierungsmotor läuft noch nicht rund

Mobilität wird neu definiert

13.09.2002
Die Kfz-Hersteller mühen sich, eine technische Standardplattform für das mobile, multimediale Automobil der Zukunft zu entwickeln. Der Einigungsprozess kommt allerdings nur zögerlich voran. Von Gabi Visintin*

Intelligente Fahrerassistenz-Systeme, Internet-Technologien und Telematik-Dienste machen das Automobil der Zukunft aus. Kommunikationsforscher wie Karl-Michael Aldinger von Daimler-Chrysler bezeichnen des Deutschen liebstes Kind sogar als "fahrenden Internet-Knoten". Auf dem Weg zum multimedialen "Wunderwerk" läuft allerdings noch nicht alles rund. Im Gegenteil: Es häufen sich die Meldungen, dass in der Entwicklung der multimedialen Kfz-Systeme Probleme auftreten. Jüngstes Beispiel war VWs Luxusmodell Phaeton, dessen Produktionsstart sich unter anderem wegen fehlerhafter Software der Navigations- und Steuerungsanlage zunächst um zehn Wochen verzögerte.

Zu geringe Erfahrung im Management komplexer Erstausrüstungsaufträge gilt unter Experten als Ursache für das Scheitern. Jetzt will man erst einmal eine Plattform für ein Navigationssystem auf die Beine stellen, die sich an die Bedürfnisse unterschiedlicher Kfz-Hersteller anpassen soll.

"Das Fehlen eines offenen Standards für die Integration der unterschiedlichen Software- und Hardwarekomponenten wirkt sich negativ auf die Entwicklungsgeschwindigkeit aus", ist Christian Popp überzeugt. Der Verantwortliche für die Business Line Automotive bei der Xcc Software AG kritisiert, dass die einschlägigen Initiativen bislang entweder zu breit angelegt seien oder auf dem halben Wege stoppten. "Ohne Standard lassen sich multimediale Services für das Automobil aber kaum mit vertretbarem Zeit- und Kostenaufwand realisieren", so der Karlsruher Embedded-Spezialist.

Dabei klingen die Zielsetzungen hinter Com-Car (Communication and Mobility by Cellular Advanced Radio), Drive (Dynamic Radio for IP-Services in Vehicular Envronments) oder MCP (Multimedia Car Platform) zunächst recht sinnvoll. Die eng miteinander verwobenen Com-Car und Drive sollen in ihren Grundzügen die Übertragung multimedialer Services via Internet Protocol in die Fahrzeuge realisieren. Abhängig von Datenmenge, Bandbreite und Verfügbarkeit sollen die Infos künftig transparent unter Einsatz von GSM, GPRS, UMTS, DAB (digitaler Rundfunk) oder DVB-T (digitales Fernsehen) hin- und herflitzen und von den unterschiedlichen Download-Geschwindigkeiten profitieren. Noch beansprucht die erforderliche Elektronik hierzu erheblichen Platz, wie ein Blick in den Kofferraum des Demonstrations-Fahrzeugs - ein Mercedes-E-Klasse-Modell T - auf der vergangenen IFA offenbarte.

Auf Java basierende Middleware

Eine solche Kommunikationsvielfalt unterstützt auch das EU-Projekt MCP, vorerst indes nur auf dem Papier. Darüber hinaus sollen auf einer Standardarchitektur sämtliche Anwendungen und Services für Kommunikation, Navigation und Unterhaltung ihren Platz finden. Pate bei dem Anfang 2000 gestarteten europäischen Forschungsprojekts MCP stand die von ETSI (European Telecommunications Standards Institute) spezifizierte Standard Multimedia Home Platform (MHP), die unter den proprietären Konzepten für Settop-Anwendungsplattformen aufräumt. Die auf Java basierende Middleware soll Service-Providern die Möglichkeit bieten, einen breiten Reigen an unterschiedlichen TV-Dienstleistungen auf Basis eindeutiger Standards zu kreieren.

MCP nutzt die Ergebnisse von MHP und nimmt nur dort Erweiterungen vor, wo spezifische Belange wie der Zugang zu Fahrzeugdaten oder Navigation dies erfordern. Allerdings lief das Projekt nach zwei Jahren ordnungsgemäß aus und wird hierzulande im eher lose geknüpften MCP-Forum weiter vorangetrieben. Dabei arbeitet die Gruppe aber explizit nicht an einer Referenzplattform, sondern konzentriert sich allein auf die Weiterentwicklung eines Demonstrators.

Seit kurzem erhält MCP zudem Konkurrenz vom eigenen Vorbild: Das MHP-Gremium ergänzt den bislang vorwiegend stationären Ansatz, wie der Interessenverband Deutsche TV-Plattform zu diesjährigen CeBIT kundtat, um Aspekte der mobilen Anwendungen. Im Rahmen der DVB MHP Automotive bemüht man sich nun, die kommerziellen Anforderungen für die MHP im Fahrzeug zu entwickeln.

Noch keine wirkliche Befreiung

Trotz der verbalen Annäherung an MCP ("Wichtige Vorarbeiten dazu wurden in der so genannten Multimedia Car Platform geleistet") gibt es einen kleinen Unterschied: "Im MHP-Umfeld konzentrieren sich die Hersteller auf die Spezifikation 1.0x des Standards als Basis, während das Interesse an der Implementierung von MHP 1.1 - Grundlage von MCP - äußerst gering ist", erläutert Popp. Damit fehlen aber so wichtige Dinge wie Internetzugriff über DVB-HTML, die Unterstützung lokal gespeicherter Prozeduren, Sprachunterstützung sowie die Unterstützung der automobilinternen Vernetzung. Nach dem Urteil Popps werden die aufgeführten Standardarchitekturen den Anforderungen aus der Praxis, insbesondere hinsichtlich der Performance, nicht gerecht: "Sie stellen noch keine wirkliche Befreiung aus den proprietären Fesseln dar." Dabei müsse eine verlässliche Standardplattform für die Softwareentwicklung im Interesse aller Beteiligten sein, um sich durch die Vielzahl der Implementierungen in den Einzelkomponenten nicht mit einem unnötigen Zuwachs an Komplexität für die Erstellung von Software und Services plagen zu müssen.

Als Vorbild mag hier der offene Standard OSEK/VDX für ein modulares, statisches Echtzeit-Betriebssystem dienen, das für Steuerungssysteme zum Einsatz kommt. Dabei stammt das von BMW, Bosch, Daimler-Chrysler, Opel, Siemens, VW und der Karlsruher Uni 1993 initiierte OSEK (Offene Systeme und deren Schnittstellen für die Elektronik im Kraftfahrzeug) aus hiesigen Gefilden, während Peugot und Renault VDX mit "Vehicle Distributed Executive" zunächst eine eigene Initiative im französischen Raum betrieben. Schon bei dem künftigen Bus-Standard als schnelles Übertragungsmedium hört die Gemeinsamkeit aber wieder auf, da das von Daimler-Chrysler und BMW propagierte Flexray mit der unter anderem von Audi, PSA und Volvo genutzten Busarchitektur TTA (Time-Triggered Architecture) konkurriert.

In Ermangelung einer Standard-Softwareplattform für Telematik-Dienste müssen die Hersteller und Zulieferer derzeit mit proprietären Konzepten vorlieb nehmen. Wer wie Harman/Becker eine Framework-basierende Softwarearchitektur sein Eigen nennt, die als inhärenter Bauplan die übergeordnete Daten- und Kontrollstruktur beinhaltet, darf sich heute glücklich schätzen.

Pragmatisches Vorgehen

Xcc propagiert für die Integration von Einzelsystemen zusätzlich ein in einschlägigen Projekten schon bewährtes pragmatisches Vorgehen, das direkt auf der Basis der jeweiligen Systeme ansetzt. Ohne Umweg über eine Middleware werden die jeweiligen Standard-Software-Bibliotheken (Object-Files) der einzelnen Systemkomponenten an den benötigten Stellen der beteiligten Systemen integriert. Dies bedingt natürlich, dass die Systeme einander "verstehen". Die Beschreibung der einzelnen Schnittstellen in XML eröffnet an dieser Stelle die erforderliche Flexibilität. (bi)

*Gabi Visintin ist freie Autorin in Tübingen.

Angeklickt

Auf dem Weg zur technischen Standardplattform für das multimediale Auto tummeln sich zur Zeit noch unterschiedliche Standardisierungsgremien:

- Com-Car (Communication and Mobiity by Cellular Advanced Radio): Zielt auf die Konzeption und die prototypische Realisierung eines mobilen Kommunikationsnetztes.

www.comcar.de

- Drive (Dynamic Radio für IP-Services in Vehicular Environments): Entwicklung von hochqualifizierten Multi-Media-Diensten im Fahrzeug.

www.ist-drive.org

- MCP (Multimedia Car Plattform): Basierend auf Teilen der Multimedia Home Plattform (MHP) wurde eine Softwareplattform spezifiziert, die den Anforderungen im Kfz besser gerecht wird.

Mcp.fantastic.ch

- OSGi (Open Services Gateway Initiative): Ursprünglich mit Fokus auf Anwendungen im Bereich Haus und Umgebung initiiert, dann ergänzt um den Blickwinkel Kfz.

www.osgi.org