Mobilität kämpft noch mit Hindernissen

22.11.2007
Von Hadi Stiel
Die Voraussetzungen, von unterwegs auf hohem Niveau zu kommunizieren und zu handeln, sind weit weniger gut als im Festnetz.
Ob die Erwartungen erfüllt werden, hängt stark mit der mobilen Komponente von Unified-Communications-Lösungen zusammen.
Ob die Erwartungen erfüllt werden, hängt stark mit der mobilen Komponente von Unified-Communications-Lösungen zusammen.

Die Erwartung der Unternehmen, ihren mobilen Auftritt auszubauen, ist hoch. Unter steigendem Wettbewerbs- und Zeitdruck können sie mobilere Mitarbeiter gut gebrauchen", unterstreicht Andreas Essing, Experte im Bereich Systems Integration für Kollaborationslösungen bei Siemens IT Solutions and Services. Mobile Beschäftigte könnten schneller auf Anfragen aus dem eigenen Kollegenkreis, von Kunden und Geschäftspartnern reagieren. Darin steckten eine höhere Mitarbeiterproduktivität und ein besserer Service. "Vor allem von Unified Communications, mit oder ohne Videokonferenzen und Online-Collaboration, als neuer Kommunikations- und Arbeitsform erwarten sich die Entscheider viel", schildert Essing. Seine Einschätzung wird durch Frost & Sullivan bestätigt. Das Marktforschungsinstitut hat 950 Entscheider rund um den Globus befragt. 36 Prozent von ihnen erwarten von UC & Co. eine höhere Performance ihres Geschäfts, 26 Prozent deutliche Umsatzzuwächse, 29 Prozent erhebliche Einsparungen, 36 Prozent eine höhere Mitarbeiterproduktivität. 41 Prozent sehen die kollaborativen Prozesse, die Sprache, Daten und Video integrieren, als Serviceverbesserer. Essing: "Ob die Erwartungen der Unternehmensführer aufgehen werden, wird sich im mobilen Bereich entscheiden." Nur der hinke deutlich hinter der Bürokommunikation und den dort eingesetzten Endgeräten her.

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inwiefern Anspruch und Realität der mobilen Kommunikation weit auseinanderklaffen; warum Smartphones Notebooks und Tablet-PCs noch nicht ersetzen können; was WLAN UMTS und anderen mobilen Breitbanddiensten voraus hat.

Für Uwe Welzel, Solution Principal bei HP Services, geht es bei der mobilen Kommunikation vor allem um eines: "Die Verringerung der menschlichen Latenz im Geschäftsprozess, also der Zeit, die es braucht, um Kollegen und Geschäftspartner miteinander kommunizieren und arbeiten zu lassen." Das heiße, die mobile Kommunikation als nur eine Komponente eines ganzheitlichen Ansatzes von Unified Communications zu analysieren, zu planen und umzusetzen. "Die technischen Probleme sind zwar noch Hindernisse", qualifiziert Welzel. "Die werden aber mit der Zeit überwindbar sein." Denn die eigentliche Herausforderung sei weniger die Technik, vielmehr der Nachweis eines messbaren geschäftlichen Nutzens mobiler UC-Szenarien: "Deshalb müssen die Prozesse, Menschen und Geschäftsziele im Vordergrund der Planung stehen." Die Kunst bestehe darin, ein stimmiges Gesamtkonzept für den kompletten Aktionsradius zu entwickeln. Es müsse die Prozessanalyse, das Veränderungs-Management und die gesamte IT-Architektur einschließen, gibt Welzel zu bedenken.

Er spricht von UC als einer strategischen Vision, die entwickelt und mit Blick auf das Mach- und Bezahlbare abgeklopft werden muss. Für den HP-Manager ist UC ein typisches Business-IT-Alignment-Projekt: "Erst wenn der Gesamtrahmen verlässlich steht, ist die Produktauswahl dran." Mobile Geräte wie Handys und PDAs sieht Wenzel nicht als vollwertig für Videoconferencing und Web Collaboration an. Außerdem hätten sie dafür die Kamera auf der falschen Seite. Er sieht deshalb die mobilen Mitarbeiter weiterhin zu Notebooks und Tablet-PCs, beide mit integrierter Konferenzeinheit, greifen.

Geringere Verfügbarkeit und Stabilität

Gründlich analysieren und bewerten, das gilt vor allem für die mobile Seite. Hier sind die Unternehmen mit einer im Vergleich zum Festnetz geringeren Verfügbarkeit und Performance konfrontiert. Beides kann zu hohe Erwartungen schnell durchkreuzen. "Auch wenn von den Mobilfunkbetreibern an der Verfügbarkeit von UMTS gearbeitet wurde: Sie liegt weit von der von Festnetzen entfernt", kommentiert Hartmut Becker, Director Marketing Enterprise Solutions Division bei Alcatel-Lucent Deutschland. Zudem ziehe UMTS hinsichtlich der Zugangsbandbreite eindeutig den Kürzeren. Das werde im Vergleich mit den Endgeräteanschlüssen in den lokalen Firmennetzen besonders deutlich. "Erste Unternehmen haben bereits PC-Anschlüsse von 1 Gbit/s installiert, um die bandbreitenfordernden Echtzeit-Videoströme verkraften zu können", so Becker. Anders auf mobiler Seite mit UMTS als Endgeräteanschluss: Hier sei im Idealfall bei 2 Mbit/s, einem Fünfhundertstel davon, Schluss. Aber durch dieses Nadelöhr müssten alle mobilen Kommunikationsteilnehmer, die sich ins Videoconferencing und in Online-Collaboration einklinken wollten. Dazu kämen die Umsetzungs- und Konvertierungsprozesse innerhalb des Provider-Gateway, um zwischen der klassischen Mobiltelefonie und dem SIP (Session Initiation Protocol)-basierenden IP-Netz sowie parallel dem leitungsvermittelten ISDN zu übersetzen. Becker: "Das verzögert für den Mitarbeiter unterwegs die multimediale Kommunikation zusätzlich und führt an den mobilen Endgeräten zu Einbußen bei der Ausgabequalität." Den gleichen Effekt bekomme der Mitarbeiter am Festnetz zu spüren, der mit seinem mobilen Kollegen kommuniziere. "Solche Qualitätseinbußen sind gerade bei Videokonferenzen mit ihrem hohen Anspruch an die Synchronität von Sprache und Bewegtbildern nicht tolerabel", warnt Becker.

Als viel versprechender stuft er Wireless LANs ein. "Sie kommen durch ihre Nähe zum Standard-Ethernet-LAN und zur IP-Telefonie ohne solche Konvertierungen aus und bieten im Vergleich zu UMTS das Dreifache an Bandbreite."

Schrittweise Migration empfohlen

Dietmar Holderle, Vice President Continental Europe bei Foundry Networks, rät angesichts der klassischen Mobiltelefonie mit ihren vielen Klippen den Unternehmen zu einer Migration in Schritten. "Sie sollten zuerst die Integration von Sprache via IP und Anwendungen wie IP-Telefonie, CTI (Computer Telephony Integration) und UC vorantreiben, bevor sie sich Höherem, mobilen Videokonferenzen und Web-Kollaborationen, widmen." Die Telefonie verbrauche nur wenig Bandbreite. Geringe Verzögerungen bei reiner Sprachausgabe seien eher tolerabel, erklärt er. Für Performance-Verbesserungen innerhalb der Firmen-LANs empfiehlt er Multi-Layer-Switches. "Damit können über Flussüberwachungs- und -steuerungsmechanismen auf Applikationsebene hohe Servicequalitäten wie für die Telefonie und später für Videokonferenzen durchgehalten werden." Spätestens mit dem Übergang ins Mobilfunknetz endeten jedoch solche Servicequalitäten jäh, stellt er fest. "Selbst dazwischen, über die Leitungsverbindungen der Carrier Backbone und Zugänge , sind hohe Flussqualitäten selten durchzuhalten", moniert Holderle. Denn Carrier setzten meist noch auf klassische Router und Switches. Über sie seien lediglich Verfügbarkeits- und Performance-Garantien für Verbindungen bis zu den Kundennetzeingängen möglich. Ein weiteres Problem sind nach Holderle die gemischten Telefonie-Installationen aus Voice over IP (VoIP) und ISDN. "Das erschwert bereits innerhalb der Firmen-LANs eine durchgehende Flussüberwachung und -kontrolle sowie ein umfassendes IT-Service-Management, mit negativen Rückwirkungen auf die mobile Kommunikation."

Hohe Anforderungen an die Administration

"Die Migration ins konvergente Unternehmensnetz sollte im eigenen Interesse zügig vorangetrieben werden", pflichtet Lars Weimer bei, verantwortlich für den Bereich Informationssicherheit im Bankenumfeld bei Ernst & Young. "In diesem Fall können Sprach- sowie Sprach-/Daten-integrierende Applikationen wie UC nicht nur innerhalb der LANs, sondern auch mobil einfacher und unter geringeren Kosten umgesetzt werden." Er hält bereits mit der IP-Telefonie die Zeit für ein professionelles IT-Service-Management für gekommen, um den Fluss der Sprache und damit ihre Ausgabequalität zumindest innerhalb der Unternehmensdomänen hinreichend abzusichern. Daneben sieht er, vorangetrieben durch den erweiterten mobilen Auftritt und immer mehr persönliche Endgeräte, die Unternehmen unter wachsenden Personalisierungs- und Zugriffskontrolldruck geraten. "Alle Identitäten der Mitarbeiter und ihre Geräte müssen zentral stets eindeutig und vollständig geführt und administriert werden. Nur auf dieser soliden Basis kann über den kompletten Aktionsradius eine umfassende und zugleich lückenlose Zugriffskontrolle etabliert werden." Er plädiert dafür, neben den Daten die anderen Kommunikationsformen wie Sprache und Video in puncto Angreifbarkeit keinesfalls zu vernachlässigen. "Für das Geschäft wichtige Telefonate sind, unabhängig davon, von wo aus sie geführt werden, gleich schutzwürdig wie sensible Datenprozesse", mahnt Weimer. "Durch Videokonferenzen und Web-Collaboration-Prozesse, an denen immer mehr mobile Mitarbeiter partizipieren werden, wird sich der Personalisierungs- und Zugriffskontrolldruck weiter erhöhen." Denn darin seien alle drei Kommunikationsformen involviert. Allerdings, so der Berater weiter, müssten auch die Carrier und Mobilfunkbetreiber innerhalb ihrer Domänen mehr für die Stabilität, Performance und Abhörsicherheit von Kundeninformationen tun. Außerdem müssten beide eine durchgehende IP-Kommunikation für Sprache, Daten und Video ernsthaft vorantreiben.

Durchgängige Konvergenz auf Grundlage von IP

T-Systems-Manager Ulrich Kemp vertritt die Ansicht, dass künftig Applikationen wie IP-Telefonie, Unified Messaging, Videokonferenzen und Online-Collaboration nur dann für Unternehmen sinnvoll und wirtschaftlich vertretbar seien, wenn sie durchgängig auf einer IP-Infrastruktur aufsäßen. Ein leistungsfähiges IP-Backbone und eine Multi-Service-Plattform gewährleisteten dabei eine ähnlich hohe Qualität wie über das leitungsvermittelte ISDN. Über ein spezielles Bandbreiten-Management könnten flusskritische Ströme wie die Telefonie priorisiert gesteuert werden.

Dank breitbandigen symmetrischen IP-Leitungszugängen, DSL bis 4 Mbit/s inklusive Bandbreitenreservierung, könne die hohe Ausgabequalität auch im Zugangsbereich durchgehalten werden, verspricht Kemp, bei der Telekom-Tochter verantwortlich für das Geschäft mit Groß- und Mittelstandskunden.

Durchgängig IP spreche auch UMTS, wenn auch dieser Mobilfunkdienst nicht in die Konvergenz einer SIP-basierenden Kommunikation passe, wie Kemp einräumt. Er schwört für den mobilen Auftritt der Unternehmensmitarbeiter auf die vermittelnden Gateways. Sie übernähmen im Hintergrund "ohne spürbare Verzüge" sämtliche Konvertierungsarbeiten. Dazu, so Kemp, gehöre auch die Umsetzung von Leistungsmerkmalen für eine durchgehend komfortable Telefonie. WLANs als echte konvergente Zugangstechnik räumt er neben dem Mobilfunk "eine wachsende Bedeutung" ein. Und das leitungsgebundene PSTN (Public Switched Telephone Network) für die ISDN-Telefonie? "Wir werden es nicht von heute auf morgen abschalten, weil unsere Geschäftskunden es weiterhin dringend brauchen", sagt Kemp unter Verweis auf eine Gartner-Studie.

Nur allmählicher Umstieg auf IP-fähige TK-Anlagen

Das Marktforschungsinstitut prognostiziert, dass im Jahr 2010 erst 40 Prozent der Unternehmen ihre Migration ins konvergente Netz mit durchgehend IP-fähigen Kommunikationsanlagen vollständig abgeschlossen haben werden. Für den Mobilfunk gehen Insider von einer noch langsameren Ablösung aus. Kemp: "Für die Zeit bis dahin offerieren wir ein so genanntes IAD (Integrated Access Device). Es hält, trotz Migration ins konvergente IP-Netz, den Kontakt zu den klassischen Anlagen." (mb)