Vom Pilotnetz zum Regelbetrieb

Mobilfunk-Turbo LTE im Reality-Check

18.10.2013
Von 
Dr. Harald Karcher ist freier Autor in München. Er testet mobile Geräte vom Handy bis zum Laptop und mobile Netze von WLAN bis zu LTE.
Allzeit mobil surfen mit 50 oder 100 Megabit? Das klingt gut. Doch kommt der versprochene 4G-Speed denn überhaupt? Und wenn ja, bei welchem Netzbetreiber? Wir haben ein paar praxisnahe Fälle durchgemessen.

Für unseren LTE-Test nahmen wir Anfang Mai drei baugleiche Samsung Galaxy S4 und bestücken diese mit der jeweils schnellsten LTE-SIM-Karte von o2, Telekom und Vodafone. Die drei LTE-Smartphones haben zudem identische Einstellungen, wie etwa: Kein Energiesparmodus, Displayhelligkeit Maximal, Display-Timeout 10 Minuten. Die Funksorten WLAN, Bluetooth, NFC und GPS werden abgeschaltet, um die LTE-HSPA-UMTS-EDGE-Messungen in keiner Weise zu beeinträchtigen.

Bei den Speed-Messungen in der S-Bahn liegen die drei Handys immer streng alphabetisch nach Provider sortiert: Links das weiße Samsung Galaxy S4 mit o2-SIM. Mittig ein ebenfalls weißes S4 mit Telekom-SIM. Rechts ein schwarzes aber ansonsten ebenfalls baugleiches S4 mit Vodafone-SIM.
Bei den Speed-Messungen in der S-Bahn liegen die drei Handys immer streng alphabetisch nach Provider sortiert: Links das weiße Samsung Galaxy S4 mit o2-SIM. Mittig ein ebenfalls weißes S4 mit Telekom-SIM. Rechts ein schwarzes aber ansonsten ebenfalls baugleiches S4 mit Vodafone-SIM.
Foto: Harald Karcher

Damit ausgestattet, fuhren wir Anfang Mai in der Flughafen-S-Bahn S8 vom Airport München durch die Vorstädte Hallbergmoos und Ismaning sowie die Fernsehstadt Unterföhring bis zum Münchner Ostbahnhof. Von dort führt die S8 teils oberirdisch und teils unterirdisch via Hauptbahnhof und Hackerbrücke bis zum ICE-Bahnhof Pasing einmal quer von Ost nach West durch München hindurch. Danach fährt die S8 südwestlich durch immer dünnere Besiedelung bis nach Herrsching an den Ammersee.

Die S8 führt über mehr als 30 Bahnhöfe vom Airport Munich rechts oben über den Münchener Ostbahnhof bis nach Pasing im Münchner Westen. Von dort geht’s teils durch hügeliges Gelände bis nach Herrsching am Ammersee
Die S8 führt über mehr als 30 Bahnhöfe vom Airport Munich rechts oben über den Münchener Ostbahnhof bis nach Pasing im Münchner Westen. Von dort geht’s teils durch hügeliges Gelände bis nach Herrsching am Ammersee
Foto: Harald Karcher

Auf dieser Strecke stößt ein LTE-Handy auf alle relevanten Mobilfunkarten von GSM, GPRS und EDGE über UMTS, HSPA und HSPA+ bis hin zu LTE-800 und LTE-1800. Hier kann jeder Netzbetreiber zeigen, wie gut er das LTE-Smartphone mit dem mobilen Internet aus der Luft versorgen kann. Natürlich ist die Strecke noch von keinem Netzbetreiber lückenlos mit LTE versorgt. So können die Smartphones und die Netzbetreiber auch gleich zeigen, ob sie schnell und ohne Abriss zwischen ständig wechselnden Mobilfunkarten umschalten können.

LTE von o2: Bester PR-Start anno 2010

o2 hat für seine LTE-Pilotnetze schon 2010 große Beachtung bekommen: Der Grund war eine gelungene PR-Aktion von o2 Germany zusammen mit den beiden Netzausrüstern Huawei und Nokia Siemens Networks sowie dem Router-Hersteller AVM aus Berlin: Schon Mitte Dezember 2010 nämlich wurde der Presse ein LTE-800-Testnetz im oberbayerischen Pfaffing bei Ebersberg live demonstriert. Die geladenen Journalisten durften dort auch selber zwei frühe LTE-Router testen, die „AVM FRITZ!Box 6840 LTE“ für LTE-800 und LTE-2600 sowie den „Huawei B390s-2“ Router für LTE bei 800 MHz. Aus beiden Routern, AVM wie Huawei, kamen schon damals Spitzenwerte von fast 50 Mbit/s im Download (DL) aus der 4G-Luft.

Zurück in München konnte der Autor abends in einem noch schnelleren LTE-2600-Testnetz im o2-Hauptquartier in München auch gleich satte 100 Mbit/s im DL messen, und zwar mit einem LTE-2600-Stick der Sorte „Huawei E398u-18“, an einem schnellen Laptop steckend. Damit war schon mal klar: LTE-800 schafft wirklich 50 Mbit/s - und LTE-2600 schafft 100 Mbit/s. Doch das waren damals zwei fast leere Testnetze mit optimalen Mess-Bedingungen, noch ohne kommerziellen Kundenverkehr. Es folgte eine sechsmonatige „Friendly User Trial“ Phase.

Anfang Juli 2011 hat Telefónica Germany dann zwar die kommerzielle Vermarktung des 4G-Netzes unter dem Namen „O2 LTE für Zuhause“ gestartet. Allerdings nur mit LTE-Geschwindigkeiten bis zu 7,2 Megabit pro Sekunde und auch nur für die „weißen Flecken“, also Gemeinden ohne DSL-Versorgung.

Ende März 2013 wurde das viel schnellere „o2 LTE 4G für unterwegs“ für die „Highspeed-Area München“ angekündigt. Dazu o2-Pressesprecher Markus Göbel: „Telefónica Deutschland setzt damit seinen LTE-Ausbau in den Großstädten konsequent fort. Nach den Highspeed-Areas Nürnberg, Dresden, Frankfurt, Leipzig und Köln werden dann auch o2 Kunden in München in der glücklichen Lage sein, eine deutlich höhere Geschwindigkeit von bis zu 50 Mbit/s beim mobilen Surfen zu nutzen. Die neuen Allround-Tarife o2 Blue All-In L und XL bieten dazu 2GB beziehungsweise 5GB Datenvolumen und unbegrenztes Telefonieren und Simsen“.

o2 in der S8 ohne 4G-LTE

Von diesem neuen Highspeed-Luxus war bei unserem Praxistest Anfang Mai kaum etwas zu spüren: Auf der gesamten S8-Strecke, immerhin über 30 S-Bahnhöfe, fand das mit einer o2-SIM ausgestattete Samsung S4 bei mehreren Rundfahrten von 13 bis 24 Uhr und insgesamt über 120 Messläufen an keiner einzigen Stelle ein 4G-Netz. LTE-Speed-Rekorde von 50 oder gar 100 Mbit/s sind damit gleich mal ausgeschlossen. Immerhin meldete das LTE-HSPA-UMTS-EDGE-Handy fast durchwegs eine HSPA-Funk-Versorgung mit guter oder ausreichender Signalstärke. Auch mit dieser Funkart könnte man im Prinzip weit oberhalb von 10 Mbit/s mobil surfen, sofern auch die Funk-Basisstationen schnell genug an das Kernnetz angeschlossen sind, der Provider den Internet-Hahn gut aufdreht, und nicht zu viele User gleichzeitig in der gleichen Funkzelle surfen.

Die Realität sieht aber anders aus: Über die gesamte S8-Mess-Strecke kam das Galaxy S4 mit der o2-SIM auf einen DL-Durchschnitt von 2,33 Mbit/s, auf einen UL von 0,81 Mbit/s und auf eine durchschnittliche Ping-Zeit von 688 Millisekunden. Damit kann man leben, großen Spaß macht dieser Speed beim Surfen aber nicht. Für die E-Mail-Synchronisation im Hintergrund reicht dieser Speed jedoch bestens, sofern es bei den E-Mails nicht auf jede Sekunde ankommt.

Nach einer langen Messfahrt von 13 bis 24 Uhr sowie zwei weiteren Mess-Terminen vor dem o2-Flagship-Store Marienplatz waren laut einer o2-SMS-Nachricht offenbar schon 80% des monatlichen o2-Surfvolumens von 2 GB verbraten. Also Vorsicht: Für stundenlange, hochauflösende YouTube-Videos sollte man lieber einen kostenlosen WLAN-Hotspot aufsuchen.
Nach einer langen Messfahrt von 13 bis 24 Uhr sowie zwei weiteren Mess-Terminen vor dem o2-Flagship-Store Marienplatz waren laut einer o2-SMS-Nachricht offenbar schon 80% des monatlichen o2-Surfvolumens von 2 GB verbraten. Also Vorsicht: Für stundenlange, hochauflösende YouTube-Videos sollte man lieber einen kostenlosen WLAN-Hotspot aufsuchen.
Foto: Harald Karcher

Bei drei von über 120 Messungen fand das Handy überhaupt kein Funknetz, und zwar südwestlich von München, zwischen Geisenbrunn und Weßling, also in hügeliger Topografie, kurz vor dem Ammersee. Bei 15 Messungen hat das Galaxy S4 mit der o2-SIM den Ping-DL-UL-Test entweder gar nicht, oder nicht bis zum Ende geschafft. Ein solches „Einfrieren“ empfinden auch ganz normale Endverbraucher als störend, die sich ansonsten nicht bis ins letzte Detail dafür interessieren, ob ihr Handy nun gerade über 2G, 3G oder 4G mit dem mobilen Internet betankt wird. Bei vielen weiteren Messungen tröpfelte zwar brauchbarer Datendurchsatz aus dem o2-Netz, aber nur bei zwei Messungen kamen auf der gesamten S8-Strecke mehr als 10 Mbit/s im DL, und zwar in den Münchener Stadtteilen Laim und Englschalking.

Es schmerzt den Münchner Autor durchaus, dass er dem Münchner Netzbetreiber o2 kein besseres Ergebnis attestieren kann. Bleibt nur zu hoffen, dass o2 just am Tag der Messung (den 8. Mai 2013) ausnahmsweise ein technisches Durchsatz-Problem auf der gesamten Messstrecke hatte. Vielleicht befindet sich das o2-Netz ja gerade stark im Umbau.

Bei den letzten 20 Messungen brachte das linke Samsung Galaxy S4 (o2-SIM)vor dem o2-Flagship-Store Marienplatz erstmals schöne DL-Raten bis 48 Mbit/s und UL-Raten bis fast 23 Mbit/s. Im Vergleich die Bestwerte aus der S8-Bahnfahrt von Telekom (mittig, 79 Mbit/s)und Vodafone (rechts, 46 Mbit/s).
Bei den letzten 20 Messungen brachte das linke Samsung Galaxy S4 (o2-SIM)vor dem o2-Flagship-Store Marienplatz erstmals schöne DL-Raten bis 48 Mbit/s und UL-Raten bis fast 23 Mbit/s. Im Vergleich die Bestwerte aus der S8-Bahnfahrt von Telekom (mittig, 79 Mbit/s)und Vodafone (rechts, 46 Mbit/s).
Foto: Harald Karcher

Immerhin: Nach mehrfachen Nachmessungen erreichte der Autor vier Tage später erstmals einen beeindruckenden Nettodurchsatz von 48 Megabit aus dem o2-Kundennetz. Allerdings nicht auf der langen S-Bahn-Strecke, sondern nur punktuell, 20 Meter vor dem noblen O2-Flagship-Store auf dem Marienplatz in München. Von zwei eindrucksvollen LTE-Testnetzinseln bis zu einem bundesweiten LTE-Regelbetrieb ist es offenbar ein langer Weg.