Ovum-Studie kritisiert zu hohe Kosten und technische Mängel

Mobilfunk bedroht den Erfolg der Satellitendienst-Anbieter

19.11.1998
MÜNCHEN (pg) - Iridium schreibt ein neues Kapitel in der Telekommunikation. Das Konsortium hat als erster Betreiber ein internationales satellitengestütztes Kommunikationssystem in Betrieb genommen. In die Freude über den Start mischen sich jedoch pessimistische Stimmen der Marktforscher.

Die Vision, an fast jedem Ort der Erde per Satellitentelefon erreichbar zu sein, ist seit wenigen Tagen - zumindest technisch - Realität. Nach elf Jahren Vorbereitung hat Iridium, ein Konsortium, dem Unternehmen wie Motorola, Hewlett-Packard, Sprint und Otelo angehören, seine globalen Kommunikationsdienste gestartet (siehe Kasten oben).

Ein Start mit Hindernissen jedoch. Ursprünglich für den 23. September geplant, mußte der kommerzielle Take-off auf November verschoben werden. Der Grund: Zu Problemen mit den Satelliten gesellten sich weitere Schwierigkeiten. Zum Beispiel erhielt der Betreiber bislang erst in 120 von 191 Staaten Sende- und Empfangslizenzen. Damit kann Iridium sein Versprechen, Dienste weltweit und flächendeckend anzubieten, nur eingeschränkt erfüllen.

Als Handikap erweist sich darüber hinaus die Technik. Für die Nutzung des Iridium-Netzes sind nämlich spezielle Handys erforderlich, die bisher nur von den Herstellern Motorola und Kyocera gefertigt werden. Der japanische Produzent Kyocera konnte seine Entwicklungsarbeiten jedoch nicht rechtzeitig zum geplanten Start des Satellitendienstes abschließen. Die Handys haben mit Softwarefehlern zu kämpfen.

Ursache ist ein Strategiewechsel des Iridium-Managements. Es warf Anfang 1997 kurzerhand die Pläne über den Haufen, Dienste ausschließlich über das Satellitennetz zu betreiben. Beschlossen wurde statt dessen eine Kooperation mit Mobilfunknetz-Providern wie etwa D1, D2 und E-Plus. Im Klartext heißt das: Dort, wo entsprechende terrestrische Netze verfügbar sind, führen Nutzer eines Iridium-Telefons ihre Gespräche über deren Infrastruktur. Verlassen sie den Versorgungsbereich der landgestützten GSM-Netze (Global System for Mobile Communications), loggt sich das Iridium-Handy ins Satellitensystem ein. Die Folge ist ein kompliziertes Abrechnungs- und Übergabesystem für die Telefonate, das den Herstellern Kopfzerbrechen bereitet.

An diesem Punkt setzt unter anderem die Kritik der Marktforscher von Ovum ein. In ihrer Studie mit dem Titel "Die Marktchancen für mobile Satellitenservices" warnen sie davor, mobile Satellitendienste mit Mobilfunkservices gleichzustellen. Iridium könne zwar ein ergänzendes Produkt zu den terrestrischen Mobilfunksystemen sein, bei den Übergängen habe der Anwender jedoch mit Einschränkungen zu rechnen. Die Service-Provider, so die Analysten, müßten die Kunden davor warnen, Leistungs- und Qualitätsmaßstäbe des Mobilfunks auch auf Iridium und künftig andere Mobile Satellite Services zu übertragen. Iridium hat weltweit mit 270 Vertriebspartnern Abkommen geschlossen.

Der Mobilfunk dürfte sich generell für Iridium und die anderen Konsortien wie Globalstar, Inmarsat, Intelsat, ICO, Odyssey und Teledesic als größtes Problem entpuppen. "Ende der 80er Jahre war die Idee gut, Reisenden ein global nutzbares Mobiltelefon anzubieten", erklärt Alex Nourouzi, Senior Analyst von Ovum. Zu diesem Zeitpunkt hätten im Mobilfunk weltweit über zehn proprietäre Standards existiert, die Roaming nahezu unmöglich machten. Die Entwicklung des GSM-Verfahrens, das unterdessen in vielen Ländern der Erde Verbreitung fand, sei damals nicht vorhersehbar gewesen. "Wir sehen GSM als größte Bedrohung für den Erfolg von Mobile Satellite Services", bringt Nourouzi eine der Kernaussagen der Studie auf den Punkt.

Richtig brisant dürfte die Lage für Iridium & Co. Ende 1999 werden, wenn TK-Provider den Service "Worldphone" einführen wollen. Für Mobilfunkteilnehmer, die auf Basis der Verfahren Advanced Mobile Phone System (AMPS), Digital Advanced Mo- bile Phone System (D-AMPS) sowie GSM kommunizieren, soll dann ein netzübergreifendes Roaming möglich sein. Damit würden 80 Prozent der Mobilfunknutzer erreicht. Ovum räumt in seiner Studie aber ein, daß es geraume Zeit dauern werde, ehe sich die dafür nötigen Telefongeräte am Markt durchsetzen.

Noch größeren Kummer dürfte den Satellitendienst-Betreibern die dritte Generation von Mobilfunksystemen bereiten. Normierer und Industrie arbeiten bereits am Universal Mobile Telecommunication System (UMTS), das gute Chancen hat, weltweit Anerkennung zu finden. Zahlreiche Netzbetreiber und Produzenten von Mobilfunktechnik haben sich bereits zu UMTS bekannt. Damit existiert vermutlich ab dem Jahr 2002 ein globales terrestrisches Konkurrenzverfahren zu den Mobile Satellite Services.

Großer Nachholbedarf beim Datentransfer

Zu dieser Konkurrenz gesellt sich die aus dem eigenen Lager. Im Laufe der nächsten drei bis vier Jahre wollen rund zehn Konsortien mit mobilen Satellitendiensten an den Markt gehen. Falls alle Systeme den Betrieb aufnehmen, werden deren Gesellschafter insgesamt rund 20 Milliarden Dollar investiert haben, um hauptsächlich sprachgestützte Orbit-Services zu vermarkten.

Um sich am Markt erfolgreich gegen die Mobilfunk-Wettbewerber zu behaupten, schreibt die Ovum-Studie den Satellitennetz-Betreibern die Lösung folgender vier Problemfelder ins Pflichtenheft:

- Entwicklung technisch hochwertiger Endgeräte;

- Verbesserung des Service-Angebots, insbesondere bei Datendiensten;

- Optimierung des Empfangs in und außerhalb von Gebäuden sowie

- Reduzierung der Kosten.

Beim ersten Punkt, den Telefonen, erreichen Iridium-Handys derzeit laut Ovum nicht annähernd den Standard von Mobilfunkgeräten. Sie sind größer, schwerer und haben einen weiteren schwerwiegenden Nachteil - nämlich sehr schwache Akkuleistungen.

Im Bereich der Datenservices müssen sich die mobilen Satellitendienste ebenfalls mit dem GSM-Niveau messen lassen. In Kürze wird über GSM eine Datentransferrate von 64 Kbit/s möglich sein. Dagegen nehmen sich die 2,4 Kbit/s des Iridium-Service bescheiden aus. Die Zielgruppe der professionellen Anwender, für die Datenkommunikation wichtig ist, wird sich mit dieser minimalen Transferrate kaum begnügen. Hier müssen die Satellitenbetreiber nachbessern.

Problematisch ist ferner der Empfang und die Abstrahlung von Iridium-Gesprächen. Nutzer müssen, um kommunizieren zu können, eine direkte und ungestörte Funkverbindung zum Satelliten haben. Eine Kommunikation in Gebäuden ist daher fast unmöglich und selbst in stark bebauten Stadtgebieten kritisch.

Als K.o.-Kriterium könnte sich darüber hinaus das gegenwärtige Preisgefüge bei den Endgeräten wie auch Gesprächstarifen erweisen. Derzeit kostet ein Satellitentelefon rund 3000 Dollar, eine Summe, die selbst bei professionellen Anwendern an der Schmerzgrenze liegt. Auch die Telefongebühren von knapp sechs Mark pro Minute dürften eher abschrecken. Es ist daher fraglich, ob Iridium in diesem Jahr noch die anvisierten 40000 Kunden schafft.

Den Analysten von Ovum zufolge werden sich die Tarife und Endgerätepreise an den im Mobilfunk gültigen Kosten messen lassen müssen. In einem Vergleich der beiden Systeme gelangen die Analysten zu dem Ergebnis, daß für Iridium-Kunden ein Telefonat bei der heutigen Preisstruktur nur in 14 Prozent der Fälle billiger ausfällt als im Mobilfunk. Eine solche Kosten-Nutzen-Rechnung hatte 1996, als die Tarife im Mobilfunk noch deutlich höher lagen, ein Verhältnis von 56 Prozent zugunsten von Iridium ergeben.

Angesichts solcher Werte bekommen einige Gesellschafter von Mobile-Satellite-Service-Konsortien kalte Füße. Der deutsche Carrier Otelo, eine Tochter der Veba AG und Teilhaber an Iridium, würde gern aus dem Projekt aussteigen. Ein Sprecher des Unternehmens sagte auf Anfrage der CW: "Wir wären nicht abgeneigt, unser Iridium-Engagement so schnell wie möglich zu beenden.

Iridium-Dienste

Iridium bietet seinen Kunden derzeit vier Basisdienste an. Im einzelnen sind dies:

- "World Satellite Service", der Kunden in Gebieten ohne terrestrische Netzinfrastruktur eine direkte Verbindung zu einem Satellitenhandy bei ein- wie auch abgehenden Gesprächen liefert.

- "World Roaming Service", der Anwendern ermöglicht, zwischen bislang inkompatiblen, drahtlosen Netzen zu kommunizieren. Dabei benötigt der Kunden nur eine Telefonnummer und erhält eine Rechnung für alle getätigten Anrufe, egal wo und in welchem Netz sie geführt wurden.

- "World Page Service", der alphanumerisches Messaging für Pager realisiert, sowie

- "World Calling Card", womit Teilnehmer in 58 Ländern von öffentlichen wie auch privaten Funk- oder Festnetztelefonen aus über Iridium Anrufe tätigen können.