Erste Geräte sollen um 2500 Mark kosten

Mobilfunk: Anwender müssen weiterhin auf Endgeräte warten

01.11.1991

MÜNCHEN/GENF - Interessenten für den digitalen Mobilfunk müssen sieh weiter in Geduld üben. Vier Monate nach dem offiziellen Startschuß - zumindest des D1-Netzes der Telekom - ist das Thema Mobiltelefon durch die Messen in Genf und München zwar wiederbelebt worden, Handfestes, nämlich zugelassene Endgeräte, gibt es aber immer noch nicht.

Weiterhin kurios stellt sich die Situation im Mobilfunk hierzulande dar. Zwar hat der Infrastrukturrat mit seiner Entscheidung, die Gebührenvorschläge von Minister Schwarz-Schilling als bindend zu erklären, einen vorläufigen Schlußstrich unter den Streit zwischen dem Minister und der Telekom über die für Mannesmann gültigen Leitungstarife gezogen, allgemeine Verwirrung herrscht jedoch nach wie vor in Sachen Endgeräte.

"Die Zulassung ist der wunde Punkt im Mobilfunk", erklärt Reinhard Scheller, Leiter des Produktionsbereichs Funksysteme bei Alcatel/SEL, das Hauptproblem, warum Dl und D2 ins Stocken geraten sind. Tatsache ist, daß sich zur Zeit die vermeintlichen Anbieter von Endgeräten und das Münchner Unternehmen Rohde & Schwarz GmbH & Co. KG gegenseitig den "Schwarzen Peter" zuschieben. Der Grund: Die Nachrichtentechniker aus München wurden von der Telekom und Mannesmann beauftragt, einen Systemsimulator für den Mobilfunk zu entwickeln, sind aber vermutlich wegen der Verzögerung bei der Standardisierung sowie der Komplexität der Materie in Entwicklungsnöte geraten. In einem Statement des Unternehmens für die COMPUTERWOCHE zum Thema Systemsimulator heißt es: "Die Rohde & Schwarz GmbH & Co. KG tritt dem Vorwurf, Verzögerungen bei der Einführung der D-Netze gingen zu ihren Lasten, mit Nachdruck entgegen. Aufgrund zahlreicher Interdependenzen sind die Ursachen nicht isoliert bei den Endgeräteherstellern, den Netzbetreibern oder Rohde & Schwarz als Lieferant von GSM-Typabnahmesystemen zu suchen."

Die Ankündigungen mancher Hersteller, bereits über Endgeräte zu verfügen, sind jedenfalls mit gewisser Vorsicht zu genießen. Produkte haben derzeit, soviel steht fest, Motorola und Siemens. Diese Devices müssen aber ebenso wie alle anderen Geräte auch erst noch das Testverfahren durchlaufen, um die Zulassung zu bekommen.

Insider Scheller spricht auch das eigene Lager, die Industrie, nicht von Schuld an der bestehenden Situation frei. "Keiner will jetzt mit Endgeräten in den Markt gehen", räumt der Experte ein. Die Ursache: Die Produktionskosten sind vielen Anbietern momentan noch zu hoch, weil der Aufbau des paneuropäischen Groupe-Special-Mobile-Netzes (GSM) noch Jahre dauern wird und deshalb keine Massenmärkte vorhanden sind.

Kritik an den Herstellern übte in diesem Zusammenhang auch der Vorstandsvorsitzende des schwedischen TK-Konzerns Ericsson, Lars Ramqvist. Er sagte in Genf anläßlich der Telecom '91: "Bei den digitalen Handtelefonen hat jeder in der Branche geblufft."

Kein Anbieter, so der Top-Manager, hätte für 1991 die Fertigung großer Stückzahlen versprechen dürfen, weil sich die Entwicklung der GSM-Spezifikationen deutlich verzögert habe.

Die Schweden werden laut Ramqvist vermutlich im zweiten Halbjahr 1992 in der Lage sein, ein entsprechendes Kompakttelefon auf den Markt zu bringen. Auch bei der Philips Kommunikations Industrie AG geht man davon aus, im Laufe des nächsten Jahres ein Handtelefon anbieten zu können. Produkte für den Festeinbau im Fahrzeug wird es dagegen schon früher geben. So kündigte zum Beispiel Bosch Telecom noch für den Herbst mit" Cartel M" ein Gerät für das Auto an, Ericsson und weitere Anbieter führten in Genf entsprechende Erzeugnisse vor.

Trotz der angespannten Gerätesituation geben sich die Netzbetreiber von D1 und D2, die Telekom und Mannesmann Mobilfunk GmbH, zuversichtlich. Jürgen von Kuczkowski äußerte in München auf der Systems gegenüber der COMPUTERWOCHE die Hoffnung, daß es möglich sein werde, schon Ende November oder Anfang Dezember für die Endgeräte eine vorläufige Zulassung zu erhalten .

Eine Gefahr für die Mannesmann Mobilfunk GmbH, wegen der Verzögerung bei den Endgeräten in finanzielle Bedrängnis zu kommen, sieht Kuczkowski nicht. Mannesmann habe sich nie auf den Starttermin 1. Juli 1991 festgelegt, immer vor möglichen Problemen gewarnt und die Budgetplanung entsprechend vorsichtig ausgelegt. Dennoch geht das Mitglied der Geschäftsführung davon aus, daß D2 noch dieses Jahr für reguläre Kunden geöffnet werde. c

"Die Mobilkommunikation ist einer der wenigen Wachstumsmärkte schlechthin", begründet Kuczkowski seinen Optimismus, die bislang geleisteten Investionen von rund einer Milliarde wieder einzufahren. In diesem Punkt besteht auch Einigkeit mit dem D1-Betreiber, der Telekom. Deren Geschäftsbereichsleiter für den öffentlichen Mobilfunk, Hans Kerler, rechnet aufgrund einer EG-Studie bis zur Jahrtausendwende mit 15 bis 18 Millionen GSM-Teilnehmern. Nach Ansicht von Kerler werde allein ein Drittel davon auf Deutschland entfallen .Angesichts dieser Prognose, so Kerler, sei Euphorie durchaus berechtigt.

Die tragbaren Endgeräte werden sich dem Telekom-Vertreter zufolge zunächst preislich in der Größenordung der fest einbaubaren Devices bewegen. Sowohl Mannesmann als auch die Telekom gehen von einem Einstiegspreis von rund 2500 Mark aus.

Kuczkowski ließ aber keinen Zweifel daran ,das die für Preise Endgerade in Zukunft fallen und sich Preise für Endgeräte in Zukunft fallen und sich die Netzbetreiber sowie Service Provider in der Gebührenstruktur deutlich unterscheiden werden.

"Gewinner wird der Benutzer von D 1 und D2 sein", äußerte Kerler auf der Systems seine Überzeugung hinsichtlich der Zukunft des Mobilfunks. Vermutlich werden beide Netzbetreiber bald weitere Konkurrenz bekommen, weil laut Minister Schwarz-Schilling bei 1,8 Gigahertz ein neuer Frequenzbereich für den Mobilfunk erschlossen wird.