BUSINESS REPORT

Mobile TV - das WM-Chaos

23.05.2006
Der Anpfiff auf dem Handy erfolgt weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Von CW-Redakteur Jürgen Hill

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Wenn Sie diese Ausgabe in den Händen halten, dann sind es noch knapp zwei Wochen bis zum Anstoß des Eröffnungsspiels der Fußball-WM. Parallel dazu sollte eigentlich der Anpfiff für das Mobile-TV-Zeitalter in Deutschland erfolgen, so hatten zumindest einige Mobilfunkgrößen noch im Februar auf der Branchenmesse 3GSM Worldcongress in Barcelona getönt.

Wirrwarr der Standards

Durch Regulierungszank und das Setzen auf die falsche Technik droht Deutschland jedoch in die Abseitsfalle zu laufen - während Italiens Tifosi bereits zur WM die Ballkünste ihrer Mannschaft auf dem Handy verfolgen können. Auf der einen Seite fehlen hierzulande teilweise die Endgeräte, oder erforderliche Sendelizenzen wurden nicht erteilt, auf der anderen Seite kann der Fußball-Fan jedoch fünfminütige Spielzusammenfassungen auf seinem Handy betrachten oder TV-Shows um das runde Leder anschauen.

Das deutsche Chaos in Sachen Mobile TV versteht nur, wer sich etwas eingehender mit den damit verbundenen Business-Modellen und der zugrunde liegenden Technik befasst. So konkurrieren gleich vier verschiedene Techniken um die Gunst der Programmveranstalter und Zuschauer: T-DMB, DVB-H, MediaFlo und IP-Multicast.

Die einfachste Methode, bewegte Bilder auf das Handy zu bringen, ist in der Theorie das IP-Videostreaming über breitbandige Mobilfunknetze wie HSDPA oder UMTS. Mit dieser Technik liefert beispielsweise Vodafone nach eigenen Angaben bereits neun Millionen Fernsehminuten pro Monat über 30 Kanäle aus. Und zur WM wollen die Düsseldorfer mit "Vodafone Freistoss" und Berichten von Premiere dem Fußball-Fan rund um die Uhr WM-Feeling in bewegten Bildern auf das UMTS-Handy bringen. Ähnliches plant der Konkurrent O2. Die Münchner übertragen während der WM unter anderem täglich eine von Exprofi Thomas Helmer moderierte TV-Show. Ferner können die O2-Kunden kurz nach dem Abpfiff vierminütige Zusammenfassungen von den Highlights jeder Begegnung anschauen. Dies sind nur zwei Beispiele, wie die Mobilfunker bereits heute mit IP-Videostreaming über UMTS mobiles Handy-Fernsehen realisieren.

Auf den ersten Blick spricht damit vieles für das Streaming-Verfahren: Die entsprechenden UMTS-Handys sind auf dem Markt verfügbar, und der breitbandige Ausbau der Mobilfunknetze schreitet schnell voran. Allerdings hat die Technik einen entscheidenden Nachteil: "Sie skaliert mit wachsenden Benutzerzahlen sehr schlecht", kritisiert Tero Koivunen, Verantwortlicher für Intels Strategie der Mobile Wireless Group und Mitglied des Standardisierungsgremiums der Mobile DTV Alliance. "Wenn in einer Mobilfunkzelle mehrere Benutzer unterschiedliche Videoprogramme anschauen, dann ist die Kapazität der Basisstation schnell erschöpft", verdeutlicht Tom Gufler, Senior Product Manager Business Development bei O2, das Problem.

Abhilfe versprechen hier neue Entwicklungen wie MBMS (Multimedia Broadcast Multicast Service), an denen etwa Ericsson arbeitet. Dabei sollen durch den Einsatz von Point-zu-Multipoint-Verbindungen die Netzressourcen und -kapazitäten effizienter genutzt werden. Auf diese Weise, so heißt es bei Ericsson, kann eine größere Anzahl von Teilnehmern in einer Mobilfunkzelle mit Fernsehprogrammen versorgt werden. Branchenkenner rechnen allerdings erst ab 2008 mit einer breiten kommerziellen Verfügbarkeit von MBMS.

Broadcast statt Streaming

Letztlich ist vom heutigen Stand der Technik her eine Rundfunktechnik besser geeignet, um Millionen Handy-Nutzer gleichzeitig mit Fernsehen zu versorgen, als eine Mobilfunktechnik, bekennt Pressefrau Marion Stol- zenwald von Vodafone. Siegmund Redl, Senior Director Business Development bei Qualcomm, sieht es ähnlich: "Für die Mobilfunker ist es billiger, 1 MB Fernsehen über Broadcast statt UMTS zu transportieren." Schließlich wollen die Mobilfunkbetreibe, angesichts der Milliarden-Hypothek für die UMTS-Lizenzen ihre Netze lieber mit höherwertigen Datendiensten auslasten als mit TV-Sendungen.

Vorteil DMB

Als mobile Broadcast-Verfahren für das Handy-TV stehen derzeit weltweit die drei Techniken T-DMB, DVB-H und das von Qualcomm entwickelte MediaFlo zur Diskussion. Hierzulande liegt dabei T-DMB, auch schlicht als DMB bezeichnet, zum Auftakt der Fußball-WM mit 1:0 in Führung. Lediglich für diese Technik wurden bereits bundesweit entsprechende Sendelizenzen vergeben. Lizenzinhaber ist die Mobiles Fernsehen Deutschland GmbH (MFD) mit Sitz in Köln und Düsseldorf. Diese will ab dem 31. Mai in ausgewählten WM-Städten mit der Ausstrahlung von Fernseh- und Rundfunkprogrammen beginnen. Das TV-Programm erstellt die MFD dabei unter anderem in Zusammenarbeit mit dem ZDF, MTV, der ProSieben-SAT.1-Gruppe und verschiedenen TV-Produktionsgesellschaften. Dabei wird ein TV-Abo vermutlich zehn Euro pro Monat kosten und beispielsweise über Debitel erhältlich sein. Der Mobilfunk-Provider will mit seinem Angebot in acht WM-Städten starten und die vom ZDF übertragenen Spiele ausstrahlen.

Während die MFD die Entscheidung der deutschen Medienpolitik zugunsten von DMB in ihrer Eigenwerbung damit feiert, "dass Deutschland weltweit zu den ersten Nationen gehört, die über diese innovative Technologie verfügen wird", lästert die internationale IT-Branche, Deutschland hätte sich für die schlechteste der zur Wahl stehenden Handy-TV-Lösungen entschieden. So hätten nicht technische Argumente im Vordergrund gestanden, sondern lediglich der politische Aspekt, die im Zuge des Eureka-Projekts der EU getätigten Millioneninvestitionen in das Digitalradio DAB (Digital Audio Broadcast) endlich rechtfertigen zu können. Bislang erwies sich DAB, das auf 80 Prozent der Fläche in Deutschland verfügbar ist, mit 100 000 Nutzern als Flop. Durch die Einführung von DMB, aus technischer Sicht eine Erweiterung von DAB um visuelle Inhalte, könnte der DAB-Technik aber neues Leben eingehaucht werden. So sind beispielsweise DMB-Empfänger in der Lage, auch DAB-Signale zu decodieren.

Endgeräte sind Mangelware

Dass DMB zur Fußball-WM in Deutschland ein Massenpublikum erreichen wird, ist unwahrscheinlich. Fraglich ist nicht nur, ob die Kunden zahlen und darüber hinaus auch neue Endgeräte anschaffen wollen, sondern auch, ob MFD zum Sendestart überhaupt genügend Geräte bereitstellen kann. Das Gros der Handhelds soll angeblich bereits nach China verkauft worden, da sich die Asiaten bei der Einführung des Handy-TVs entscheidungsfreudiger gezeigt hätten als die Deutschen, frotzeln vor allem DVB-H-Befürworter hinter vorgehaltener Hand. Auch die ersten DVB-H-Ausstrahlungen, so es sie zur WM gibt, werden weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. "Wir werden für den Piloten wohl über ein DVB-H-Gerätekontingent im dreistelligen Bereich verfügen", dämpft O2-Manager Gufler zu hohe Erwartungen. Ferner war es bis Redaktionsschluss noch offen, ob die Mobilfunker überhaupt ausstrahlen dürfen. Bislang haben sie nämlich keine Sendelizenz. Jedoch gibt es eine Absichtserklärung von vier Landesmedienanstalten, DVB-H zur WM zu erproben, weshalb die Mobilfunker zuversichtlich sind, dass es doch noch klappt.

Vergabegerangel

Mit einer endgültigen Vergabe von DVB-H-Lizenzen rechnet die Branche erst nach der Regional Radio Conference (RCC) im Juni. Dann, so die Hoffnung, werden eventuell einige der DVB-T-Frequenzen, die TV-Sender gebunkert haben ohne sie zu nutzen, für das Mobile-TV freigegeben. Ein Anliegen, das beispielsweise die Bundesnetzagentur unterstützt, während sich die Landesmedienanstalten, in deren Verantwortungsbereich in Deutschland die Rundfunkausstrahlung liegt, noch bedeckt halten. Hier wünscht sich beispielsweise Kristina Irion, bei O2 für Regulierungsfragen zuständig, mehr Unterstützung durch die Politik, beispielsweise bei der bundesweiten Vergabe der DVB-Frequenzen.

Konsortiallösung geplant

Insgesamt streben die vier deutschen Mobilfunker in Sachen DVB-H eine Konsortiallösung an, sprich, sie wollen das Netz gemeinsam aufbauen und sich die Investitionskosten für die Infrastruktur teilen. Diese schätzt Yannick Lévy, CEO beim Mobile-TV-Chiphersteller Dibcom, für ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland auf rund 500 Millionen Euro. Später wollen die Mobilfunkanbieter dann die Sendekapazität von 16 Kanälen untereinander aufteilen, so dass jeder vier Programme ausstrahlen könnte. Für die Bereitstellung werden die Betreiber von ihren Kunden dann eine Gebühr verlangen.

Lässt man einmal die medienrechtliche Problematik beiseite, so spricht vieles für DVB-H als die technisch bessere Lösung im Vergleich zu DMB. Während DMB etwa mit vier Fernseh- und zwei Radioprogrammen an den Start geht, soll DVB-H dem mobilen Fernsehzuschauer von Beginn an 16 Kanäle offerieren. Später ist bei DVB-H zudem je nach verwendeter Technik ein Ausbau auf 30 bis 40 Kanäle möglich. Ferner beträgt der Stromverbrauch bei DVB-H mit etwa 50 Milliwatt nur ein Drittel der Leistungsaufnahme von DMB (150 Milliwatt). Ein Punkt, der besonders im mobilen Einsatz von Bedeutung ist, denn die Laufzeit eines DVB-H-Gerätes soll mit fast vier Stunden bei gleicher Akkuleistung doppelt so hoch liegen wie bei DMB.

Die DVB-Verwandtschaft

Auf einen anderen Aspekt weist Dibcom-Chef Lévy hin: "Durch die enge Verwandtschaft mit DVB-S, DVB-C oder DVB-T ist bei DVB-H weniger Entwicklungsaufwand hinsichtlich der Codecs erforderlich." Gerade angesichts der technischen Nähe zu DVB-T, das ja auch für den mobilen Einsatz geeignet ist, stellt sich manch einer die Frage, wozu für das Handy-TV noch eine eigene Infrastruktur notwendig ist. "Die Antwort ist ganz einfach", erklärt Lévy, "DVB-T würde mit seiner Bandbreite von rund 3 Mbit/s die Leistungsfähigkeit der Handy-CPUs überfordern und wäre nicht sonderlich ökonomisch." Zur Darstellung eines gestochen scharfen Bildes auf dem Handy-Display genügt bereits eine Übertragungsrate von 300 Kbit/s. Damit wäre DVB-T für das Handy ein Overkill, der nur unnötige Batterieleistung bei der Verarbeitung des Datenstroms fressen würde. DVB-T, so sind Dibcom-Chef Lévy und Intel-Mananger Koivunen überzeugt, wird im Auto sowie auf mobilen Endgeräten wie Notebooks oder dem Ultramobile-PC seine Berechtigung haben.

Punkten kann DVB-H noch in anderer Hinsicht: Die Indoor-Coverage, also die Versorgung innerhalb von Gebäuden, ist deutlich besser als bei den anderen mobilen Fersehtechniken. Und zu guter Letzt weist DVB-H noch einen Vorteil auf, den vor allem die Mobilfunker schätzen: Die Technik ist besser für interaktive Dienste geeignet, um Fernsehen und mobile Datenübertragung miteinander zu verknüpfen.

Die technisch beste Lösung, zumindest auf dem Papier, stellt das von Qualcomm entwickelte MediaFlo dar. Das Verfahren wurde im Gegensatz zu anderen Techniken von Beginn an mit Blick auf das mobile Fernsehen entwickelt. So beträgt bei Flo etwa die Umschaltzeit auf einen anderen Sender nur 1,5 Sekunden, während der DVB-H-Zapper rund fünf Sekunden warten muss. Zudem wird bei Flo am Rande einer Funkzelle das Bild nur langsam schlechter und verschwindet nicht sofort wie DVB-H, ein Verhalten, das im Fachjargon als "graceful degradation" bezeichnet wird. "Unter ökonomischem Aspekt kostet die Netzbetreiber der Aufbau einer Flo-Infrastruktur nur die Hälfte im Vergleich zu DVB-H, da sich die gleiche Fläche mit deutlich weniger Sendern abdecken lässt", preist Qualcomm-Manager Redel einen weiteren Vorteil der eigenen Entwicklung an. Alle diese Trümpfe können jedoch über eines nicht hinwegtäuschen: Qualcomm ist mit seiner Flo-Technik im Prinzip ein Einzelkämpfer. Lediglich in den USA konnte das Unternehmen bislang mit Verizon einen Partner finden, der ein großes Netz aufbaut.