Unified Communications im Uniklinikum München

Mobile Patientenüberwachung auf der Intensivstation

20.06.2016
Von 
Christiane Pütter ist Journalistin aus München.
Zweimal pro Jahr hospitiert Kurt Kruber, IT-Chef am Klinikum der Universität München, auf Station. Sein guter Draht zum Krankenhausbetrieb hat ihm auch bei einer großen Operation geholfen: der Umstellung auf Unified Communications.
  • Besucher des Klinikums dürfen ihr Handy benutzen - eine eigens durchgeführte Studie belegt die Unbedenklichkeit
  • Ein Problem bei Krubers Unified Communications-Projekt war die hohe Fluktuation von Ärzten und Pflegekräften
  • Hersteller medizintechnischer Geräte bringen das Klinik-Personal auf ihre Seite und die IT unter Druck
Der promovierte Maschinenbau-Ingenieur Kurt Kruber verantwortet die IT der Uniklinik München.
Der promovierte Maschinenbau-Ingenieur Kurt Kruber verantwortet die IT der Uniklinik München.
Foto: Uniklinik Muenchen

Auf einmal geht alles schnell. Nach Stunden voller Angst und Stress ist das Baby da. Die Krankenschwester legt die klitzekleine Laura in den Arm des Vaters, der sofort sein iPhone zückt. Keine zehn Minuten nach der Geburt haben alle verwandten und Freunde das erste Bild des Mädchen auf ihren Geräten. Im Klinikum der Universiität München ist eine solche Szene keine Ausnahme mehr, da die Handynutzung generell erlaubt ist. "Wir können doch hier keine Parallelwelt aufbauen", kommentiert Kurt Kruber, der die IT verantwortet, "draußen laufen die Leute ja auch mit dem Handy herum."

Als CIO auf der Kinderstation

Der promovierte Maschinenbau-Ingenieur kam Ende 2012 ins Klinikum mit seinen rund 10.000 IT-Anwendern. Krubers Titel lautet Leiter MIT, für Medizintechnik und IT. Er führt beide Bereiche zusammen. Das geht nicht ohne Kenntnis der Abläufe in einer Klinik. Kruber verbringt einige Tage im Jahr zum Hospitieren auf Station bei den Pflegekräften und Ärzten. "Ich war in der Augenklinik sowie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie", erzählt Kruber.

Diese Bereiche habe er sich bewusst ausgesucht, weil er einerseits bisher wenig mit der Augenklinik zu tun hatte und andererseits die Kinder- und Jugendpsychiatrie wenig mit IT zu tun hat. Beides eine gute Gelegenheit, ein Klinikum dieser Größe immer besser zu verstehen. Eine weitere Hospitanz hatte einen aktuellen Anlass: "Irgendwann wurde ich Opa", lächelt Kruber, "und dann bin ich natürlich in die Kinderklinik gegangen."

Größtes zusammenhängendes OP-Zentrum Europas

Im gesamten Krankenhausbetrieb herrscht eine hohe Fluktuation unter Ärzten und Pflegekräften. Ein Umstand, der in eines von Krubers größten Projekten mit hineinspielte. "In der Telefonie muss jeder Arzt und jede Pflegekraft immer zu finden sein", sagt Kruber. Schon 2010 hatte sich eine Projektgruppe rund um diese Problematik gebildet. Technik-affine Mediziner wie Anästhesiologen und Notfall-Ärzte waren von Anfang an dabei.

Den konkreten Ausschlag für das "Unified Communication"-Projekt gab dann die bevorstehende Einweihung des neuen OP-Zentrums im September 2014. Mit 32 Sälen und vier ambulanten OP-Räumen verfügt das Klinikum der Münchner Uni jetzt über das größte zusammenhängende OP-Zentrum Europas. Mit der alten Telefonanlage hätte schlicht nicht jeder Mitarbeiter einen eigenen Anschluss gehabt.

Binnen zwei Jahre stellte Kruber die Festnetzkommunikation auf Voice over IP um, ersetzte die Krankenhauspiepser durch Mobiltelefone und Smartphones und integrierte diese Geräte mit der neuen Festnetztelefonie. Mit diesem Projekt qualifizierte er sich als einer der Top-Ten-Preisträger für den Wettbewerb "CIO des Jahres 2015".

Laut Philip Moscoso, Professor für Operations Management an der IESE Business School in München, bleibt nur jedes dritte Projekt im Zeit- und Kostenrahmen. Krubers musste eines davon sein. "Das OPZ wurde ja zum Stichtag eröffnet, das konnte nicht verschoben werden", sagt er. Dass er und sein Team noch nicht einmal Zeit zum Feiern hatten - die nächsten Baumaßnahmen gingen ja sofort weiter - bedauert er heute.

Bei dem Unified-Projekt ging es auch um eine zukunftsweisende App für die Patientenüberwachung auf einer Intensivstation. Die Vitaldaten der Intensivpatienten gelangen im Alarmfall nicht nur auf die klassische Stationszentrale, sondern parallel auf das Smartphone von Ärzten und Pflegern. Der Arzt muss nicht mehr über den klassischen "Piepser" angefunkt werden und nicht ständig in unmittelbarer Nähe des Patienten sein. Eine solch mobile Überwachung hat noch kein Krankenhaus zuvor realisiert, wie Kruber betont.

Kurt Kruber musste dafür kämpfen, dass mobile Kommunikation auch für Besucher möglich wird. Zunächst einmal nahm er sich der Hard Facts an, der Sicherheitsbedenken also. Der Leiter MIT ließ eigens eine Studie durchführen, die die Unbedenklichkeit von Handynutzung in Räumen mit medizinischen Geräten belegt. Dennoch gilt: im OP wird nicht mobil telefoniert. Muss dort ferngesprochen werden, helfen Raum-Mikrofone.

"Da mussten wir eben sprechen mit den Leuten"

Die Soft Facts konkretisierten sich in Unkenrufen. Dann werde ja auf den Geburtsstationen nur noch telefoniert und gefilmt, hieß es. "Da mussten wir eben sprechen mit den Leuten", schmunzelt Kruber. Eines habe schließlich jedem eingeleuchtet: ein Handyverbot, das sowieso heimlich ignoriert wird, nützt keiner Organisation. Schreibt ein Klinikum dagegen die Mobilnutzung in der Hausordnung fest, halten sich alle dran. Und letztlich wog die Aussicht auf den notwendigen Technologiesprung schwerer als die Bedenken.

"Sprechen mit den Leuten" dient Kruber oft als Heilmittel. In Anlehnung an ITIL (IT Infrastructure Library) arbeitet er mit einem Change Advisory Board. Seine Mitarbeiter positioniert Kruber wie Key Accounter. "MIT - eine für alle", lautet das Mission Statement seiner Abteilung. Der Leiter MIT selbst schätzt die Arbeitszeit, die er für die Kommunikation mit den Fachabteilungen aufbringt, auf rund ein Fünftel. Regelmäßige Gespräche sollen die Wahrnehmung der MIT als Partner verstetigen.

Nach Stationen in verschiedenen Branchen weiß Kruber, dass die Arbeit als Klinik-CIO eine bittere Pille mit sich bringt. Dargereicht wird sie von Medizintechnikfirmen, und sie führt zu "viel gehobenem Halbwissen" bei manchem Krankenhausmitarbeiter. Nebenwirkung: diese Mitarbeiter erzählen Kruber, Patienten müssten sterben, wenn nicht das Gerät von Hersteller XY zum Einsatz kommt. Weitere Symptome sind Aussagen wie "Mein Sohn würde das bis morgen fertig kriegen, warum brauchen sie so lang".

Insgesamt stellt Kruber seine Arbeit in einen großen Zusammenhang. Er sagt: "Natürlich kann man sich auch einen Job in der Automobilindustrie suchen. Aber wir arbeiten an der Gesundung von Menschen!"