Mobile Computing: Der Frust, der aus der Steckdose kommt

21.10.1994

Von CW-Redakteur Juergen Hill

Die neuesten Informationen jederzeit verfuegbar, jederzeit ueber den neusten Tratsch im Unternehmen unterrichtet: Was versprechen die Hersteller dem modernen Nomaden nicht alles. Dank Mobile Computing mutiert selbst das langweiligste und abgelegenste Hotelzimmer zum produktivitaetsfoerdernden Arbeitsplatz, und der Rechner im heimischen Buero ist nur noch eine Telefonnummer weit entfernt.

Welcher aufgeschlossene Zeitgenosse kann wohl solche Vorzuege ignorieren, zumal wenn er bei seinen amerikanischen Geschaeftspartnern nicht den Eindruck hinterlassen will, hier komme einer dieser europaeischen Hinterwaeldler, die noch via Alphorn kommunizieren. Also E-Mail-Adresse, egal ob Compuserve, X.400 oder Internet, auf die neudeutsche Business-Card, denn schliesslich ist auch ein Europaeer ein Mann von Welt - besser gesagt: im Geschaeft.

Nun aber nichts wie los. Beim morgendlichen Spurt ueber die ausgedehnten Gaenge des Muenchner Flughafens werden die Arme laenger und laenger dank dem Equipment fuer das sogenannte mobile Buero. Muehelos fuellt sich der Aktenkoffer mit Notebook, Netzteil, Modem, diversen Kabeln sowie Adaptern fuer die ach so harmonischen EU- Steckdosen, die selbst einen Eurostecker zur Aufgabe zwingen.

Grinsen Sie nicht! Auch wir kennen die Hochglanzbroschueren mit den neuen Subnotebooks, die dank Hochleistungsakku so wunderbar leicht sein sollen und durch ihr PCMCIA-Faxmodem die Mitnahme diverser Kabel ersparen. Schoene neue Welt, um mit Huxley zu sprechen, doch haben Sie einmal versucht, bei Ihrem hauseigenen Controller das entsprechende Eintrittsgeld loszueisen, nachdem er Ihnen erst im vergangenen Jahr das neueste Notebook der Lite-Generation genehmigt hat, das freilich jedem Hantel-Training die Show stiehlt, aber das hatten wir ja schon - Schwamm drueber. Im Hotel eingecheckt und ab aufs Zimmer, mal sehen, welche Probleme die Kollegen zu Hause bedruecken, dank E-Mail koennen Sie ja aus der Ferne genuesslich daran partizipieren.

Doch vor dem Vergnuegen kommt die Arbeit: Telefonverbindung herstellen, Stromanschluesse finden. Dank Datenbuchse in amerikanischen Telefonen ist der Draht zum Carrier mit zwei Handgriffen schnell verlegt. Doch auch Notebook und Modem wollen die notwendige Energie aus der Steckdose haben. Also ab auf den Boden und unter den Schreibtisch zum modernen Informationsaustausch. Statt der erhofften Steckdose finden Sie dort nur ein paar Cent-Stuecke, die Visitenkarten Ihres Vorgaengers und zur Information ueber dessen Biergeschmack einen Kronenkorken.

Also Stehlampe aus der Steckdose, Notebook-Netzteil hinein. Wer kann bei so grellem Licht ueberhaupt arbeiten? Sollten Sie nun glauben, dass einem remoten Zugriff dank Pocket-Modem mit Batterieschacht nichts mehr im Wege steht, dann gehoeren Sie wohl zur Gattung der unverbesserlichen Optimisten. Denn zumindest die Entwickler unseres Modems scheinen nicht bedacht zu haben, dass die gespeicherte Batterieenergie eines Neun-Volt-Blocks begrenzt ist. Nach zehn bis 15 Minuten ist Sendepause. Bleibt nur der Griff zum Hoerer, um den Kollegen auf die klassische Art und Weise Bericht zu erstatten. War da noch etwas? Ach ja, die Zeitverschiebung!

Am naechsten Tag soll der Kauf eines Netzteils fuer die US-Spannung folgen. Doch das vom Verkaeufer angepriesene Stueck entlockt dem Modem nur ein muedes Blinken.

Also wieder losgezogen, um ein amerikanisches Modem samt Netzteil zu kaufen. Allmaehlich daemmert es einem, was es mit dem Begriff Mobile Computing auf sich haben koennte. Um Verbindung zum heimischen Rechner zu bekommen, wird der User sehr mobil beim Kauf von Adaptern, Netzteilen etc.

Endlich, nach anderthalb Tagen, gibt das Modem die heiss ersehnten Piepstoene beim Waehlen von sich. Welch herrliche Melodie ist das Gekraechze beim Verbindungsaufbau... Zu frueh gefreut, Verbindungsabbruch. Erneute Anwahl, es klappt, im Zeitlupentempo baut die Remote-Control-Software endlich den heimischen Windows- Desktop auf dem Notebook im Hotelzimmer auf. Nur Geduld, die Carrier wollen auch ihr Geld verdienen, und ueberhaupt, wer ist so vermessen und erwartet in einer Zeit, in der alle Welt von Informa-

tion-Highways im 100-MB/s-Bereich redet, dass eine simple Modemverbindung mit 14,4 KB/s ueber den Atlantik klappt?

Nach endloser Wartezeit ist es soweit, der Mauszeiger faehrt auf das E-Mail-Icon. Zweimal Klicken, und dann mal sehen, welche Probleme die Kollegen in der Heimat haben. Im Moment gar keine, wie sich herausstellt, aber der remote User hat eines: Der heimische PC ist dank der unvermeidlichen Oberflaeche des Herrn Gates mal wieder ins Nirwana der Bits und Bytes abgestuerzt. Wieder nichts mit Mobile Computing. Doch in einem haben die Marketiers zumindest recht: Der remote Computer ist sehr nah, zumindest fuer den zuhause gebliebenen Kollegen, der via Telefon die Aufforderung zum Rebooten des Rechners erhaelt - inklusive der erforderlichen Passwoerter, die eigentlich allzu experimentierfreudige Kollegen vom eigenen PC fernhalten sollten.

Beim zweiten Versuch klappt es endlich, der Anwender kann seine Geistesblitze nahtlos in den Produktionsprozess integrieren. Doch die Rechnung fuer die Experimentierfreudigkeit praesentiert der Hotelcomputer beim Auschecken: Mobiler als der remote User, protokollierte er jede telefonische Aktivitaet mit unerbittlicher Gruendlichkeit, selbst der fehlgeschlagene Einwahlversuch, so das Elektronengehirn, kostet bereits die Kleinigkeit von zwoelf Dollar.

Szenenwechsel: Zurueck in der Alten Welt, in England, das nicht nur die Wiege der europaeischen Demokratie, sondern auch die Geburtsstaette der europaeischen TK-Liberalisierung ist. Hier duerfte die remote Anbindung eigentlich kein Problem sein - meint man. Von wegen: In Sachen Datenbuchse heisst es nur Fehlanzeige. Aufschrauben des Telefons funktioniert auch nicht, denn eine Plombe haelt den gesetzestreuen CW-Redakteur von seinem Ansinnen ab. Bleibt nur die Suche nach der Telefondose, die sich nach einem Umbau des Hotelzimmers, Bett und Nachttisch bekommen einen neuen Platz, prompt findet. Statt der erhofften Western-Digital-Buchse (den Telekom-Alleingang TAE erwartet ja eh keiner) findet sich eine proprietaere englische Variante, die nach Tupfer und Skalpell - sprich: Schere, Luesterklemme und Isolierband - schreit, um das Telefonkabel zu zerschneiden, denn die Dose ist zumindest per Schraubenzieher nicht zu oeffnen.

Soviel also zunaechst zum Thema Mobile Computing im High-Tech- Zeitalter, wo die Kommunikation bereits ueber Satelliten im All abgewickelt werden soll, die Connectivity aber an Fuenfzig-Pfennig- Kram wie den Steckdosen scheitert. Fast koennte man glauben, die Standardisierung dieser simplen Anschluesse waere ein unloesbares Problem.