An angestrebte Marktbeherrschung mag niemand mehr glauben

Mitbegründer Compaq und SCO verlassen das ACE-Konsortium

08.05.1992

MÜNCHEN - Das mitgliederstärkste Industriekonsortium der DV-Geschichte fällt ein Jahr nach seiner Gründung auseinander. Die Gruppe Advanced Computing Environment (ACE) verliert mit Compaq Computer Corp. und Santa Cruz Operation (SCO) zwei Gründungsmitglieder, die finanziell und technologisch zu den wichtigsten Trägern der Gruppe zählten.

Gleich eine der ersten regulären Sitzungen des erst nach langem Hickhack um Richtlinienkompetenzen vor wenigen Monaten berufenen Advisory Boards der ACE sollte einen unvorhersehbaren Verlauf nehmen: Compaq, seit wenigen Wochen unter neuer Führung, verkündete am 27. April 1992 eine Abkehr von den Zielen des gefeuerten Geschäftsführers und ACE-Förderers Rod Canion.

Das Unternehmen erklärte, es werde entgegen früheren Erklärungen in diesem Jahr keine Rechner auf der Basis des von der ACE neben Intels CISC-Serie zum Standard erkorenen RISC-Chips R4000 von Mips auf den Markt bringen. Zugleich verkündete Compaq das Ausscheiden aus der ACE.

Daraufhin reagierte auch die Softwareschmiede SCO, die schon knapp sechs Wochen zuvor bei der Übernahme von Mips durch Silicon Graphics ganz offensichtlich Mühe hatte, nach außen das Bild eines loyalen ACE-Mitglieds abzugeben. Das Unternehmen teilte ebenfalls den Rückzug aus der ACE-Initiative mit. Alle Entwicklungsarbeiten an einer Version der Betriebssystem-Umgebung SCO Open Desktop für Mips-basierte Rechner würden gestoppt. SCO wolle sich künftig auf Intel-Chip-Systeme konzentrieren.

Die Begründungen von Compaq und SCO für das Ausscheiden aus ACE sind in einem Punkt ihrer Erklärungen identisch. Beide gaben an, eine wachsende Zahl von ACE-Mitgliedern verschiebe die Gewichtung der Initiative auf Mips-Hardware, was die ursprünglich gleichrangige Intel-Welt innerhalb der Gruppe an den Rand dränge.

Dies stehe im Gegensatz zu eigenen Marktbeobachtungen, wonach die Zersplitterung im Markt für RISC-Systeme zu Verwirrungen -auf der Anwenderseite geführt habe. Deshalb setzten die Anwender verstärkt ihre Hoffnungen auf Weiterentwicklungen der Intel-Prozessoren.

Gary Stimac, Senior Vice-President Systems Division von Compaq, meinte: "Angesichts der dominierenden Rolle von Intel im kommerziellen Marktbereich und der Aggressivität bei der Entwicklung künftiger Prozessoren haben uns die Kunden wissen lassen, daß sich das Interesse für Alternativen auf RISC-Basis sehr stark abgeschwächt hat."

RISC-Massenmarkt noch lange nicht in Sicht

Nach Ansicht von Stimac ist die Markteinführung von leistungsstärkeren RISC-Prozessoren verspätet erfolgt. Er wies darauf hin, "daß eine ganze Reihe von Betriebssystemen auf Intel-Plattformen portiert werden". Dabei nannte er die Zusammenarbeit von Novell und USL, die Aktivitäten von Sun Microsystems und die Neuorientierung von Next Computer. Mit "Destiny", "Solaris" und "Nextstep" würden zeitgleich drei leistungsfähige Unix-Systeme auf Intel-Prozessoren portiert.

SCO-Mitbegründer und -Präsident Larry Michels erklärte: "Die Intel-Chips sind heute den meisten RISC-CPUs überlegen. Zudem ist nach den Entwicklungen der letzten Monate nicht abzusehen, daß es in nächster Zeit zu einem RISC-Massenniarkt kommen wird. In dem Moment, in dem ein RISC-Massenmarkt sich tatsächlich abzeichnet, werden wir uns diesem Thema wieder zuwenden."

Damit hält Michels seinem Unternehmen ein Hintertürchen in Richtung einer anderen RISC-Plattform offen, nämlich dem Alpha-Chip von Digital Equipment. SCO hatte in den letzten Monaten mit Hinweis auf die gemeinsame OSF/1-Basis verstärkt auf DEC einzuwirken versucht, die Zusammenarbeit zu verstärken.

So wird in einer Presseerklärung von SCO anläßlich des Austritts aus ACE Digital neben Compaq als "strategischer SCO-Partner" umarmt. Als Begründung für den Austritt nennt SCO an gleicher Stelle die "Ankündigung von Digital Equipment und Microsoft, Betriebssystem-Software für den Alpha-Chip von DEC auf den Markt bringen zu wollen". Der SW-Schmiede SCO, an der Microsoft 20 Prozent Anteile hält, käme es sehr gelegen, für diesen Chip neben Windows NT von Microsoft die alternative Unix-Betriebssystem-Umgebung beizutragen.

Doch DEC, wo man nach Worten von John Smith, des zweiten Mannes hinter Firmen-Chef Ken Olson, "die Vorgänge in der ACE bedauerlich" findet, ist selbstbewußt. Das Unternehmen kann sich nach dem Zusammenbruch von ACE als einer der Gewinner betrachten, denn das Interesse der Industrie am Alpha-Chip steigt in dem Maße, wie das Vertrauen in Mips und ACE sinkt.

So erklärte Achim Apel, der für Alpha verantwortliche Manager der deutschen Digital-Tochter in einer Stellungnahme für die COMPUTERWOCHE: "Die Position von Digital ist ganz klar: NT und ein DEC-OSF/1-basiertes Unix sind für die Plattformen Intel, Mips und die technologische Erweiterung Alpha das, was wir realisieren wollen."

Das Unix-Lager könnt könnte den Anschluß verpassen

Apel kritisierte den ACE-Austritt von SCO: "Das ist ein strategischer Fehler von SCO. Denn Windows NT wird dadurch bei Desktop-Systemen überstark. SCO war für mich der Garant für die Unix-Seite bei den Intel-basierten Desktops. Das ganze Unix-Lager muß derzeit höllisch aufpassen, daß es den Anschluß in Richtung Desktop nicht verliert. Ich sehe da NT eindeutig gewinnen."

Im Gegensatz zu Compaq gibt der DEC-Manager Unix keine positiven Prognosen für die Etablierung als Desktop-Betriebssystem: "Der Gegner heißt NT. In der Polarisierung beim Desktop hat NT aufgrund des Intel-Erbes die bessere Position, weil Unix nicht zu der Stärke gefunden hat, die wir uns mit der ACE-Initiative für den Desktop versprochen haben. Aufgrund der Upgrade-Möglichkeiten aus Windows wird der Anwender wohl auf NT setzen, und ich glaube nicht, daß eine Unix-Version die erste Wahl sein dürfte."

Im Rückzug von Compaq vermag Apel hingegen durchaus eine - für Digital im übrigen angenehme - strategische Orientierung erkennen, obwohl die Festlegung auf Intel zunächst unsinnig erscheine. "Genau wie die VAX-Technologie hat die von Intel einen begrenzten Horizont. Daß diese CISC-Architektur etwa ab 1996/97 nicht mehr so ausbaufähig sein wird wie die RISC-Technologie, weiß die Branche. Die Compaq-Verantwortlichen sehen jedoch angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Schwierigkeiten derzeit keine Möglichkeit, mit Mips-Chips eine zweite Rechnerschiene aufzuziehen. Also setzen sie vorerst weiter auf Intel und warten ab, welche Möglichkeiten ihnen Alpha bietet, um nicht erst auf Mips setzen zu müssen."

Die Compaq Computer Corp. hatte am Tage ihres Austritts aus ACE Einbrüche bei Umsatz und Gewinn im ersten Quartal 1992 melden müssen. Der Umsatz sank von 970,8 auf 783 Millionen Dollar, der Nettogewinn rutschte gar von 114,3 auf 45 Millionen Dollar ab.

Compaq-Präsident Eckard Pfeiffer erwartet vorerst weiter rückläufige Ergebnisse. Er rechne erst im vierten Quartal mit positiven Einflüssen der jüngsten Strukturierungsmaßnahme auf die Bilanzen.

Rückendeckung der Industrie für ACE

Daß mit den Austritten von Compaq und SCO aus ACE nicht nur faktisch das Konsortium geplatzt sei, sondern sich auch die Basis für die RISC-Chips aus dem Hause Mips zugunsten von DECs Alpha-CPU geschmälert habe, mag der betroffene Chip-Hersteller indes nicht glauben. Willi Haas, Sprecher der deutschen Mips-Tochter, meinte zwar, es sei "schade, daß die Austritte erfolgt sind", ergänzte aber: "Es sind noch genügend Mitglieder übrig."

Immerhin seien auch nach den beiden Rückzügen neben Mips noch 13 andere Unternehmen stark in Sachen ACE engagiert. Denn im ACE-Leitungsgremien, dem Advisory Board, seien weiterhin Silicon Graphics, DEC, NEC, Sony, USL, Microsoft, Acer, Control Data, Epson, Olivetti, Tandem, Toshiba, SNI und Mips vertreten.

Diese Unternehmen zeigen sich bemüht, dem Konsortium zumindest verbal beizustehen. Ruth Bachmann, Sprecherin der deutschen Microsoft-Tochter, erklärte: "Die Austritte von Compaq und SCO sind bedauerlich. Aber der Austritt zweier Gründungsmitglieder kann nicht ein Grund dafür sein, daß die ganze Initiative jetzt zusammenbricht." Weiterhin gebe ACE für Microsoft und Windows NT "die Rückendeckung, der Industrie".

Zum Vorwurf der Mips-Lastigkeit meinte sie: "Es ist in der ACE nicht beabsichtigt, den großen Massenmarkt der Intel-basierten Systeme beiseite zu schieben. Wenn die Intention darin besteht, Windows NT auf Systeme vom Notebook bis zum Server zu bringen, läßt sich nicht einfach sagen, Intel sei nicht mehr relevant. Das wäre, als würde Microsoft von heute auf morgen die Unterstützung von Word für DOS einstellen und nur noch die Version für Windows fortsetzen."

Nur eine von vielen Hersteller-Initiativen

Auch Olivetti, - die Italiener haben erst wenige Tage vor den Austritten den ersten Rechner einer Mips-basierten Reihe auf den Markt gebracht -, sieht die Intel-Basis in ACE nicht vernachlässigt. "Olivetti ist sich darüber klar, daß die RISC-PCs frühestens ab 1993 eine größere Marktbedeutung erreichen werden", erklärte Franz-Albert Neuburg.

Der bei der deutschen Olivetti-Tochter für Hardwareplattformen verantwortliche Senior Product Manager schränkte die Bedeutung der ACE allerdings etwas ein: "ACE ist nur eine Initiative unter vielen neuen Standardisierungsinitiativen. Sie lebt als Initiative unabhängig vom Austritt oder Eintritt einzelner Mitglieder. Olivetti wird auch in Zukunft sinnvolle Aktivitäten zur Standardisierung im IT-Markt unterstützen."

Die Control Data Corp. nimmt die Austritte allerdings nicht ganz so leicht. Auf Anfrage ließ die deutsche Geschäftsleitung verlauten: "Natürlich haben Mitgliederaustritte - egal, aus welchem Konsortium nicht gerade eine imagefördernde Wirkung in der Öffentlichkeit. Die Aktivitäten von ACE sehen wir jedoch dadurch nicht beeinträchtigt." Control Datas Engagement bei der ACE-Initiative sei unverändert.

Das Unternehmen nahm Bezug darauf, daß der Austritt von SCO eine Reaktion auf den wachsenden Einfluß der Unix System Laboratories (USL) sei, die erst vor knapp einem halben Jahr ACE beigetreten war: "Es bleibt bei der geplanten Entwicklung der Betriebssysteme für ARC-kompatible Rechner mit dem Unterschied, daß neben Microsoft jetzt USL statt SCO maßgeblich daran beteiligt ist. Dadurch erfährt die Mips-RISC-Architektur automatisch eine größere Bedeutung." Von der USL, die als Siegerin aus den ACE-internen Rivalitäten mit SCO um den Unix-Standard hervorgegangen ist, war keine Stellungnahme zu erhalten.