Weiterbildung/IT-Qualifizierung wird zunehmend vernachlässigt

Mitarbeiter haben für Weiterbildung keine Zeit

09.12.1998
Von Ina Hönicke* Das Dilemma in der Aus- und Weiterbildung ist groß: Zum einen setzt das hektische Tagesgeschäft die Mitarbeiter unter großen Zeitdruck, zum anderen wissen viele Bildungsverantwortliche nicht, welches Seminar überhaupt etwas bringt. Deshalb machen maßgeschneiderte Qualifizierungsprogramme und Learning by doing verstärkt das Rennen.

Vorstände, Ausbildungsexperten und Politiker werden nicht müde zu betonen, wie wichtig hochqualifizierte Fach- und Führungskräfte für den Unternehmenserfolg und den Standort Deutschland sind. Gleichzeitig erfordert die Cyber-Welt intensive Schulung. Doch die Realität sieht anders aus. Mit einem Gesamtumfang von jährlich rund 40 Milliarden Mark, davon zwei Milliarden für die IT-Schulung, stagnieren die Weiterbildungsbudgets in großen Unternehmen auf dem Niveau der Vorjahre.

Die Trainingsrate ist auf einem neuen Tiefpunkt

Noch alarmierender: Die Trainingsrate ist auf einem neuen Tiefpunkt angekommen. Laut einer Untersuchung von Meta Group standen den Mitarbeitern 1997 durchschnittlich nur noch 8,5 Fortbildungstage pro Jahr zu - im Vergleich zu zwölf Tagen im Jahr 1994. "Dieser Rückgang ist in der Tat bedenklich und kann oft nur durch gezieltes Outsourcing oder den Zukauf von punktuellem Know-how ausbalanciert werden", kommentiert Luis Praxmarer, Geschäftsführer der Meta Group Deutschland.

Praxmarer will den Schwarzen Peter aber nicht allein den IT-Verantwortlichen zuschieben: "Das Hauptproblem ist der Zeitdruck. Die Mitarbeiter sind fest in Projekte eingebunden und haben schlichtweg keine Zeit für irgendwelche Seminare." Selbst in den Firmen, die die Bedeutung der Weiterbildung erkannt hätten, würden Mitarbeiter oft nicht freigestellt. Den Meta-Group-Manager überrascht dies nicht: "Aufgrund der Jahreszahlenumstellung sowie der Einführung des Euro wissen die IT-Fachleute momentan nicht, wo ihnen der Kopf steht."

Andreas Weber, der an der pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd im Bereich Informatik/Computerunterstütztes Lernen tätig ist, benennt das Dilemma: "In konjunkturell guten Zeiten sind zwar die finanziellen Mittel für Aus- und Weiterbildung vorhanden, dafür fehlt aber die Zeit, die Mitarbeiter auf Schulung zu schicken." Lasse die Konjunktur nach, hätte man für Fortbildung Zeit, aber kein Geld mehr. Der schwäbische Arbeitsmarktexperte hält die Rotstiftpolitik vieler Unternehmen für kurzsichtig: "Mangelnde DV-Qualifizierung kann schnell zu einem Wissensschwund führen, der sich in ein paar Jahren bitter rächen kann. Auch wenn es die meisten Unternehmen derzeit nicht glauben können, es gibt auch eine Zeit nach dem Jahr 2000."

Weber empfiehlt eine Art Dauerfortbildung, betrachtet diesen Wunsch aber als nicht sehr realistisch. Der Grund für seine Forderung ist der rasante Verlust an Know-how im DV-Bereich.Bei einer Halbwertszeit zwischen zwei und fünf Jahren würden jedes Jahr zwischen 13 und 20 Prozent des vorhandenen DV-Wissens obsolet. Weber: "Eine Möglichkeit wäre, den Mitarbeitern einen gewissen Freiraum zu erteilen, in dem sie sich mit den ständig neuen Entwicklungen und Produkten auseinandersetzen können." Daß einige Beschäftigte diesen Freiraum ausnutzen, kann nach Ansicht des Ausbildungsfachmannes nicht völlig ausgeschlossen werden. Doch Weber hat eine Lösung parat: "Das beste Mittel gegen Mißbrauch jeglicher Art sind noch immer motivierte und selbstverantwortlich handelnde Mitarbeiter."

Für Weber steht fest, daß wegen des raschen Wandels der Computerwelt die DV-Trainer gefordert sind, ihre Lehrmethoden an den Status quo anzupassen. "Egal ob extern oder intern ausgebildet wird, alle DV-Ausbilder benötigen Menschenkenntnis sowie eine umfassende integrierte Sichtweise. Dazu gehören pädagogisches und psychologisches Einfühlungsvermögen", betont der Bildungsfachmann. Ein Trainer müsse den Stoff auch richtig "rüberbringen". Doch die Wirklichkeit sehe oft anders aus: Viele Mitarbeiter kämen nach vierzehn Tagen in das Unternehmen zurück und müßten einräumen, daß nur wenig hängengeblieben sei.

Interessante Ergebnisse in Sachen Aus- und Weiterbildung hat die Zeitschrift "Manager Seminare" in ihrem Jahrbuch "Seminare 98" zusammengetragen. Sie befragte 895 Weiterbildungsanbieter und 224 Weiterbildungsabteilungen in Unternehmen nach den Trends auf dem Markt. Das Fazit lautet: Immer mehr Firmen haben die Wichtigkeit qualifizierter Mitarbeiter entdeckt. Doch sehen sie dabei schärfer als früher auf die Kosten.

Qualifikation auf Vorrat ist Luxus

Als neuer Trend kristallisiert sich die "Instant"-Qualifizierung heraus. Langfristige, strategische Programme werden nur noch selten eingekauft. Von den Bildungsinstituten wird oft verlangt, selbst Kurzseminare noch einmal zu komprimieren. Qualifikation auf Vorrat gilt für die meisten Unternehmen als unerschwinglicher Luxus. Für die Zukunft prognostiziert "Manager Seminare", daß sich der Trend zu kurzfristigen, maßgeschneiderten Qualifizierungen fortsetzen wird.

Obwohl die Unternehmen darauf bedacht sind, die Kosten so weit wie möglich zu reduzieren, legen viele von ihnen bei der Auswahl des Seminaranbieters nach wie vor wenig Geschick an den Tag. Manfred Lang, Bildungsexperte bei Diebold: "Die meisten informieren sich über das Seminarangebot mit Hilfe von Katalogen." Kein Wunder, daß so manche Qualifizierungsmaßnahme zum Reinfall werde. Lang räumt ein, daß bei rund 5000 IT-Bildungsträgern die Wahl durchaus zur Qual werden könne. Um die Spreu vom Weizen zu trennen, empfiehlt der Diebold-Manager, zunächst einmal nur einen Mitarbeiter zum Kurs zu schicken. Wenn dieser das Seminar für gut befinde, könnten sich andere Kollegen auch dort schulen lassen.

Ferner sollten sich die Verantwortlichen genau überlegen, welche Ausbildung ihre Mitarbeiter überhaupt benötigen. Erst danach könne geklärt werden, ob es sinnvoller ist, die Betroffenen zu einem Schulungsinstitut zu schicken oder einen Trainer ins Haus zu holen. Schließlich spielen, so Lang, der Zeitaufwand, die Entfernung, die Qualität und der Inhalt des Kurses ebenfalls eine große Rolle. Darum müßten die Bildungsverantwortlichen im Unternehmen entsprechende Modellfälle definieren und bewerten. Dazu Lang: "Genau hier liegt aber das Problem. Die Planung ist unzureichend, es wird nach wie vor zuwenig vorbereitet und zuviel ad hoc entschieden. Die Folgen sind zu hohe Kosten."

Fast noch wichtiger als die Auswahl des Seminaranbieters sei indes die Motivation der betroffenen Mitarbeiter. Lang empfiehlt den Unternehmen, das Ziel eines Kursbesuches mit den Teilnehmern vorher gemeinsam zu besprechen. Daß dies meist nicht geschieht, weiß der Diebold-Mann aus langjähriger Beratungstätigkeit: "Die Dauer der Ausbildung würde sich um bis zu 20 Prozent verkürzen, wenn die Lernenden vorher richtig motiviert würden."

Für Meta-Group-Chef Praxmarer sind all diese Mißstände mitverantwortlich, daß das traditionelle Seminargeschäft zum Auslaufmodell wird. Dagegen würde das Training-on-the-job in den Unternehmen immer beliebter, aber auch professioneller. Praxmarer: "Kurse, die drei Tage oder länger dauern, werden doch kaum mehr besucht." Seiner Meinung nach ist es wichtig, daß Unternehmen sich intern eine Infrastruktur aufbauen, die das kontinuierliche Lernen im Hause unterstützt. Praxmarer fragt sich, was beispielsweise ein Unternehmen, das plötzlich auf Java umstellt, mit seinen Cobol-Programmierern macht, die nicht entsprechend weitergebildet wurden. In solchen Fällen bleibe oft nur die Lösung, den entsprechenden Bereich auszulagern oder Berater ins Haus zu holen.

Die Softskills kommen in der IT-Weiterbildung zu kurz

Der Münchner Meta-Group-Manager sieht bei der DV-Fortbildung noch ein weiteres ungelöstes Problem. In den Kursen würde vor allem technisches Basiswissen angeboten. Dabei tendiere die IT-Arbeitswelt zunehmend in Richtung Kundenorientierung und Beratungsleistung. So müßten die IT-Profis schnell und flexibel auf Anforderungen der Fachabteilungen reagieren können. Dafür seien Organisationstalent, mitunter auch Führungsqualität erforderlich. Die Vermittlung dieser "weichen" Fähigkeiten komme in der IT-Weiterbildung zu kurz. Für Praxmarer steht fest: "Die Arbeitswelt in der Informationstechnologie hat sich verändert - die Kursangebote hinken hinterher." Sollten die Trainingsanbieter ihre Seminare nicht stärker den Bedürfnissen der Unternehmen anpassen, könnte deren Bereitschaft zur Weiterbildung weiter sinken. "Die Unternehmen arbeiten unter einem solchen Zeitdruck, daß sie ihre Leute nur zu solchen Seminaren schicken, die ihrer Meinung nach wirklich etwas bringen", so Praxmarer.

Darüber hinaus würden immer mehr Firmen darauf drängen, daß die Verantwortung für Qualifizierung zunehmend an den einzelnen delegiert wird. Den Mitarbeitern müßte klargemacht werden, daß sie für das Firmenergebnis mitverantwortlich sind. Als Folge davon würden die Beschäftigten motivierter an ihrer Qualifikation arbeiten. Der ehemalige SNI-Chef Gerhard Schulmeyer sieht hier keine Schwierigkeiten: "Sich fortzubilden ist doch heutzutage so einfach. Wissensdurstige brauchen sich nur mit ihrem PC in ein Lernsystem einklinken oder durchs Internet surfen." Unterstützung erhält Schulmeyer von Werner Dostal vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit (BfA). Seiner Einschätzung nach hätten viele Arbeitnehmer diesen Trend bereits erkannt und würden von sich aus in ihre Weiterbildung investieren: "Das ist der Grund dafür, daß der häufig zitierte Wissensschwund in den Unternehmen noch nicht grassiert - obwohl der Rotstift bei den Weiterbildungsausgaben immer stärker angesetzt wird.

*Ina Hönicke ist freie Journalistin in München.