Dezentralisierung hemmt die Entwicklung einer DV-Gesamtstrategie

Mit Wolfgang Koppmeyer, Leiter des Bereichs Organisation und EDV bei der Schubert & Salzer AG, lngolstadt,

25.01.1980

Herr Koppmeyer, Sie haben in einem Leserbrief an die COMPUTERWOCHE die These aufgestellt, die DV müsse zentral Unternehmensprobleme lösen. Bezweifeln Sie den Nutzen der Dezentralisierung

In der Organisation gibt es unterschiedliche Aufgaben, die nur zentral abgewickelt werden können. Es geht hier darum, daß innerhalb eines Unternehmens die optimalsten Lösungen für Arbeiten erstellt werden, und das kann nur aus einer Hand kommen, Wir haben selbstverständlich in der Vergangenheit dezentrale Systeme aufgebaut, müssen aber heute feststellen, daß diese Systeme, die uns vor drei. vier Jahren behilflich waren, Organisationsprobleme schnell zu lösen, zu Hemmschuhen geworden sind und wir wieder zentrale Lösungen schaffen müssen.

- Nun bekanntlich die Endbenutzer dazu. ihre Probleme selbst lösen zu wollen, um so mehr, als ihnen heute sehr preisgünstige Datenstationen, Minicomputer- und MDT-Anlagen an die Hand gegeben Diversen können.

Die Benutzer in unserem Unternehmen neigen natürlich dazu. kostengünstige Hardware einzusetzen. Sie sehen aber heute mehr als je zuvor, daß dies zusätzliche Probleme in ihre Fachabteilung hineinträgt. Diese zusätzlichen Probleme sind, die Software, die Programme, das Betriebsystem und vor allen Dingen die installierte Hardware beherrschen zu müssen. Die Systeme, die wir dezentral im Hause haben, werden von den Fachabteilungen nicht beherrscht - das ist ganz eindeutig. Wir müssen zum großen Teil Hilfestellung geben, wenn es sich etwa um vertragliche Dinge, um Wartungsverträge, um Hardware-Dinge handelt. Wir müssen uns heute mit so vielen Firmen wie ICL, Nixdorf, und wie die alle heißen mögen, auseinandersetzen, so daß also, selbst wenn Anwendungen dezentral gefahren werden, die zentrale Organisationsabteilung weiter stark belastet wird, was die Entwicklung einer DV-Gesamtstrategie mehr hemmt als fördert.

- Kommen wir zu Ihrer zweiten These, das DV-Management gehöre in die Geschäftsleitung. Sie haben soeben gesagt, die Fachabteilung brauche die Unterstützung der zentralen EDV, und genau das ist es, was man dieser indirekt vorwirft: Die DV-Zentrale im klassischen Sinne habe gegenüber der Fachabteilung zu viel Einfluß.

Das ist ja auch richtig so. Dasjenige DV-Management, das heute lediglich quantitative Massenverarbeitung abwickelt, ist nicht das Management, das die zukünftigen Probleme eines Unternehmens lösen kann. Es kommt darauf an, daß die unternehmerischen Ziele, Planungen und Marktstrategien mit in die Datenverarbeitung, in die Organisation einbezogen werden, damit man feststellen kann, wofür denn die Datenverarbeitung im Unternehmen eigentlich eingesetzt wird.

Sie hat die Aufgabe, wesentliche Unternehmensprobleme lösen zu helfen und das quantitative Wachstum eines Unternehmens zu unterstützen.

- Was heißt das ?

Unter quantitativem Wachstum, verstehe ich, daß man mit immer geringeren Mitteln und immer Weniger Personal, wesentlich bessere und wesentlich kostengünstigere Lösungen realisieren kann.

- Was ist denn jetzt hier - aus der Sicht des EDV-Mannes -erst Wunsch und was bereits Wirklichkeit?

Wir haben die Grundlagen gelegt, um Datenverarbeitung betreiben zu können. Wir haben jahrzehntelang daran gearbeitet, Datenbanksysteme, grundlegende Dateien anzulegen, ob das Auftragsbestandsdateien, ob das Fertigungssteuerungsdateien oder ob das Bestelldateien sind. Wir haben uns in den vergangenen Jahren damit beschäftigt, diese Datensammlungen im Unternehmen zu forcieren und sie auf Großspeicher zu bringen. In den 80er Jahren wird Es darauf ankommen, diese Speicher Wirtschaftlich auszuwerten und für die Unternehmensziele einzusetzen.

- Zurück- zum Dezentralisierungstrend in der, Datenverarbeitung. Befürchten Sie, daß, der zentralen EDV durch Insellösungen, die in den Fachabteilungen realisiert werden, oder durch Lösungen auf Netzwerkbasis die Organisation aus dem Ruder läuft?

Eindeutig ja. Wenn die Organisation eine Managementfunktion im Unternehmen erfüllen soll, was ich als ihre wichtigste Aufgabe ansehe, dann können Entscheidungen für das gesamte Unternehmen nur zentral fallen, denn nur dort habe ich alle Informationen, alle Fäden in der Hand, um zu sagen, welche Unternehmensziele die wichtigsten sind und wie ich diese Ziele anstrebe. Habe ich jedoch unterschiedliche dezentrale DV-Systeme, so habe ich auch die unterschiedlichsten Lösungen, die niemals u Z einem optimalen Unternehmenszweck zusammengeschlossen werden können. Hier liegen die großen Probleme, die in den 80er Jahren anstehen.

- Zum Beispiel?

Ich möchte nur darauf hinweisen, daß wir durch DV-Organisation bis zu 50 Prozent Verwaltungstätigkeiten auflösen werden in den nächsten Jahren. Wie will man das realisieren, wenn jeder einzelne innerhalb eines Unternehmens sein eigenes Spiel betreibt? Das wird dezentral nicht machbar sein oder aber - wenn man dies koordinieren will - nur mit erheblichen Kosten.

- Es gibt Beispiele genug, daß Fachabteilung und EDV aneinander vorbeiarbeiten. Welchen Weg würden Sie einschlagen, um diese Kluft zu überwinden?

Wenn man sich diese Konfliktsituation zwischen Fachabteilung und Organisationsabteilung genau ansieht, dann läßt sich feststellen, daß es der Organisationsleiter ist. der noch nicht begriffen hat, worum es eigentlich geht. Eine Auseinandersetzung müßte es nicht geben, wenn das wesentliche begriffen wurde, daß die Organisation Hilfestellung für die Lösung unternehmerischer Probleme leisten muß.

- ...die von der -Fachabteilung oft gar nicht gewollt wird.

Es geht nicht darum, ob eine Fachabteilung einen eigenen Computer hat, ob ihr EDV-Problem schneller oder langsamer, gelöst wird; es geht vielmehr darum, daß ein Problem, das wesentlich für den Einhalt, für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens ist, daß dieses Problem als erstes gelöst wird. Wir sind in unserem Hause in der glücklichen Lage, daß wir eine mittelfristige und langfristige Organisationsplanung haben, die mit dem Vorstand abgestimmt ist. Und hier werden von der Vorstandsseite Informationen in die Organisationsplanung hineingetragen, worauf es im Unternehmen eigentlich ankommt, welche Problemstellungen wir in diesem, im nächsten, im übernächsten Jahr lösen wollen, Dann wird diese Zänkerei mit den Fachabteilungen "Kannst du mir die Statistik oder jene Auswertung nicht noch ein bißchen früher machen" im Prinzip gegenstandslos.

- Sie sagten, der Vorstand trägt in die EDV hinein, was in den nächsten zwei Jahren realisiert werden soll. Wie stellen Sie rechtzeitig sicher, daß die nötigen Kapazitäten innerhalb der EDV vorhanden sind, um diese Aufgaben angehen und lösen zu können?

Das ist meine Managementaufgabe, die laß ich mir von keinem wegnehmen, weder vom Vorstand noch vom Hersteller noch von Softwarelieferanten. Es ist meine Aufgabe, Prioritäten zu setzen und sie mit dem Vorstand zu diskutieren. Er sagt mir, wie er von seiner übergeordneten, zukunftsorientierten Warte die Schwerpunkte setzt, und ich realisiere diese Vorstellungen. Und zwar durch Hilfsmittel, die mir der Vorstand zur Verfügung stellt, sei es Personal, sei es Hardware, die dafür notwendig ist, oder aber Beratungsleistung, wenn ich die personelle Kapazität nicht habe.

- Nun sagen die Hersteller, wir haben das Know-how, und sie sehen Ausbildung und Beratung auch als ganz wesentlichen Bestandteil ihrer Dienstleistung an, der in Zukunft ein wesentlich er Umsatzträger sein soll.

Es kommt darauf an, daß die Mitarbeiter der Organisation und der Datenverarbeitung eine gezieltere Ausbildung erhalten, als sie sie heute bekommen. Ich meine, daß wir viele Schwierigkeiten in der Datenverarbeitung deshalb haben, weil wir uns ausschließlich auf Hersteller-Know-how verlassen. In unserer Datenverarbeitung ist es auch heute noch so, daß wir, wenn wir Probleme haben, Spezialisten vom Hersteller anfordern die uns dann "schlau" machen. Das verhindert eine langfristige Planung für die Software und die Hardware. Die Entscheidung wird wesentlich abhängig sein von einem Hersteller. Ich werde auch die Produkte, die auf dem Markt sind, gar nicht spezifizieren können, um sie für den Unternehmenszweck relevant einzusetzen. Es wird immer so sein, daß ich mich erst einmal auf den Hersteller konzentriere und sage: "Was hast du?", und dann werde ich mir das ins Haus stellen. Es kommt also darauf an, viel mehr unabhängige Informationen zu sammeln, viel gezielter auch größere Überblicke zu bekommen.

- Welche Kriterien bestimmen Ihrer, Meinung nach die Wirtschaftlichkeit der Datenverarbeitung? Haben Sie dabei die Arbeitskraftfreisetzungs-Komponente im Auge oder betrachten Sie es mehr unter dem Aspekt: Welchen Wirkungsgrad hat meine EDV-Abteilung selbst?

Mein Wirkungsgrad ist kein Faktor für mich. Es kommt darauf an, daß immer wieder die wichtigsten Probleme eines Unternehmens mit Hilfe der Datenverarbeitung gelöst werden. Wenn wir wissen, daß in Zukunft vielleicht 50 Prozent des Personals. das im Verwaltungsbereich tätig ist. durch Datenverarbeitung abgelöst werden kann. ist die Zielrichtung der Datenverarbeitung - von meiner Sicht aus - die Freisetzung von Personal. Man muß dann selbstverständlich nicht zu komplizierte Lösungen finden, die das restliche Personal überfordern; wir müssen hier mit systematischer Ausbildung eingreifen und Datenverarbeitungs-Kaufleute in die Fachbereiche einfügen, um den Informationsstand der Abteilungen zu heben, damit diese schließlich selbst ihre Anwendungen handhaben können.

- Rationalisierung der Verwaltung durch EDV und als Folge davon Freisetzung von Arbeitskräften: genau dies weckt Ressentiments in der Öffentlichkeit. Ist der EDV-Mann darauf vorbereitet, diese Ressentiments abzubauen klarzumachen, welche Aufgabe die EDV hat und welchen Nutzen sie bringt?

Nein, er ist nach meiner Meinung jedenfalls heute noch nicht dazu in der Lage, Ich glaube aber, daß eine ganz wesentliche Argumentation der Datenverarbeitungsfachleute sein muß, daß jedes einzelne Unternehmen sich gegen den internationalen Wettbewerb nicht durchsetzen kann, wenn es nicht rationalisiert. In der Produktion ist das komischerweise Oberhaupt kein Diskussionspunkt. Wenn ich heute NC-gesteuerte Werkzeugmaschinen, wie bei uns hier im Unternehmen, einsetze, dann habe ich eine Freisetzungsrate von mindestens 50, 60 Prozent. Das tut man. Ganz einfach, weil man sonst mit der Produktion nicht nachkommt. Aber wenn es um solche Spielwiesen wie Verwaltung und Organisation geht. dann wird man feinfühlig. Der Rationalisierungserfolg in der Verwaltung das kann man überall und immer wieder lesen - ist seit 1900 ausgesprochen gering. Jetzt aber hätten wir das Medium Datenverarbeitung in der Hand. das uns derartige Probleme lösen helfen könnte. Es kommt jetzt auf den Organisator und Datenverarbeitungsmann an, die richtige Sparstrategie für das Unternehmen Vorzuschlagen und zu realisieren.

- Steuern wir dann, nicht auf eine Situation zu. wie sie exakt in einem Gastkommentar, der COMPUTERWOCHE; kürzlich (vergleiche CW-NR. 112 vom 11. Januar 80) geschildert munde Es gibt eine Minderheit von Informatikern, von Datenverarbeitungsspezialisten. es gibt daneben eine große Zahl von Beschäftigten im Dienstleistungsbereich und es gibt viele Arbeitslose. Damit wird den Informatikern die Verantwortliche Aufgabe zugespielt. den Einsatz dieser neuen Technologie zu überdenken und Dinge nicht festzuschreiben, bevor ihre Auswirkungen bekannt sind.

Es ist für mich eine Tatsache, daß die Leute, die heute Datenverarbeitungs- und Organisationspositionen innehaben, zum großen Teil noch nicht qualifiziert sind, solche Probleme zu erkennen und langfristige Strategien zu entwickeln. Es ist die große Frage, ob sich die Mitarbeiter die sich heute um Datenverarbeitung kümmern über die nächsten fünf, sechs oder sieben Jahre in ihren Positionen halten werden oder ob es nicht eine ganz neue Entwicklung geben wird, daß nämlich wirkliche Manager, Manager im wahrsten Sinne des Wortes, die ein Problem nicht von Hardware und Software, sondern als solches anpacken, in solche Positionen hereinstreben werden. Viele Probleme sind ganz eindeutig von den Datenverarbeitungsleuten eben immer wieder auf den Computer geschoben worden und das waren nach meines, Vorstellung keine Lösungen, die ein Unternehmen braucht. Entweder wird sich also die Struktur des Organisators beziehungsweise Datenverarbeitungsleiters ändern oder es wird einen anderen Personenkreis geben. der sich übergeordnet um solche Probleme kümmert.

- Was für eine Lösung wünschen Sie sich?

Es muß so zu sehen sein, daß jeder einzelne, der sich um Organisation und Datenverarbeitung kümmert, ausreichende Informationen hat, über Datenverarbeitung, über Hersteller, über Verträge all diese Dinge sind ganz wichtig. Und jetzt müßte es nach meiner Vorstellung eine weitere Ausbildung des Informatikers schlechthin geben, damit er sich auch um Managementprobleme kümmern kann. Das wäre das Idealste, denn sonst gibt es wieder einen anderen Zwiespalt: Ich nehme einen starken Fachbereichsleiter und setze ihn über die Organisation und Datenverarbeitung, oder ich nehme einen Direktionsassistenten oder Einkaufsleiter oder einen Controller ? Dann wird wieder alles, was Organisation und Datenverarbeitung schlechthin heißt, irgendwo an die Wand gespielt werden, so daß man dann in vier, fünf oder sechs Jahren dort wieder ein Loch haben wird. Ich würde mir wünschen, daß der Datenverarbeitungsfachmann sich zusätzlich Wissen aneignen könnte, indem beste Fachseminare angeboten werden, denn das was auf dem Markt ist, ist nach meiner Meinung nicht mal ein grober Überblick. Die zukünftige Entwicklung wird meines Erachtens fast - Oberhaupt nicht angesprochen und dargestellt; er muß sich auf solche Dinge in den nächsten zwei, drei Jahren vorbereiten.

- Noch stehen die Chancen fifty-fifty. Was würden Sie gefühlsmäßig sagen, welche Tendenz sich durchsetzen wird? Werden wir zunehmend den Controller, den starken Fachabteilungsleiter haben, der sich zusätzliche Informatikkenntnisse aneignet und die EDV aus Fachabteilungssicht beherrscht, oder wird sich der EDV-Leiter dieses zusätzliche Management-Wissen noch rechtzeitig aneignen?

Wenn ich ein bißchen pessimistisch darüber, nachdenke, dann würde ich sagen, der EDV-Leiter schafft es ist nicht. Es ist so sehr in seinen täglichen Routineproblemen verhaftet, daß er in den letzten Jahren die Tendenzen gar nicht wahrgenommen hat, und er sich auf diese Dinge nicht vorbereitet hat. Der heutige Datenverarbeitungsmann, Leiter der Organisation oder der Datenverarbeitung, beschäftigt sich noch viel zu stark mit kaufmännischen Problemen. Die Probleme der Fertigung, Betriebsdatenerfassung, die Probleme der Kommunikation, der Textverarbeitung, der maschinellen Arbeitsplanerstellung, das gesamte Computer Aided Design, sind eigentlich für ihn noch nebulöse Dinge, die er am Rande betrachtet und sie lieber der mittleren Datentechnik oder aber der Konstruktions- und Arbeitsvorbereitungsabteilung überläßt. Das ist die falscheste Einstellung zu solchen Problem; er müßte aktiv daran mitarbeiten, denn es ist festzustellen: Ein Unternehmen übergibt einem Organisator immer nur dann Aufgaben, wenn der Mann dem Unternehmen das Gefühl gibt, daß er diese bestmöglich lösen kann. Aber hier ist er Oberhaupt nicht vorbereitet und deshalb kriegt er erst gar nicht diese Aufgaben zur Realisierung angeboten. Er hat nach meiner Meinung gar keine Chance.

- Nehmen Sie sich selbst aus?

Durch solche Überlegungen hoffe ich, mich auf die Zukunft vorzubereiten und ich hoffe, daß die Probleme, die hier im Unternehmen sind, durch meine Person ausreichenden Lösungen zugeführt werden - in allen Bereichen.