Mit Vertragspausen laesst sich die Abhaengigkeit reduzieren

11.02.1994

Eine der verbreitetsten Outsourcing-Varianten ist der Fremdbezug von Standardsoftware ueber einen Dienstleister. Weil SAP- Spezialisten noch immer knapp sind, macht eine solche Entscheidung Sinn. Allerdings, so argumentiert Ron Dietz*, sollte darauf geachtet werden, dass sich die Abhaengigkeit in Grenzen haelt. Zu jedem Zeitpunkt muesse eine Rueckabwicklung moeglich sein.

"Make or Buy?" ist eine der zentralen Fragen, wenn es um Lean Management geht. Zunehmend wird sie auch mit Blick auf die Datenverarbeitung gestellt. Die Zeiten sind vorbei, in denen die Informationstechnologie als Superabteilung fuer Rationalisierung, organisatorische Entlastung und Erzielung entscheidender Wettbewerbsvorteile als unantastbar galt.

Unter dem Stichwort Outsourcing ist ein neuer Markt fuer Systemleistungen entstanden. Die Fremdvergabe kosten- und zeitintensiver Produktions- und Wartungsleistungen an externe Spezialisten bringt durchaus positive Effekte. Outsourcer integrieren die Leistungen, die den Kunden von Hardware- und Softwareherstellern sowie von Systemanbietern erbracht wurden.

Die oeffentliche Diskussion um das Thema wird auch deshalb aktiv gefuehrt, weil im Rahmen der Vertraege oft nicht nur das Equipment, sondern auch die DV-Mitarbeiter den Arbeitgeber wechseln. Das Management diskutiert die Frage, inwieweit sich Unternehmen - vor allem bei Einfuehrung beziehungsweise Einsatz von SAP- Standardsoftware - in die Abhaengigkeit externer Know-how-Traeger begeben sollen. Der Trend zum Erwerb und Einsatz integrierter, leistungsstarker Standardsoftware scheint unaufhaltsam. Die Ursachen liegen in den nicht mehr zu rechtfertigenden Kosten fuer Entwicklung und Wartung von Individualloesungen. Eine vollstaending eigengestrickte DV-Organisation laesst sich wirtschaftlich kaum noch vertreten.

SAP: Die Parametrisierung bereitet den Kunden Sorge

Fuer den Einsatz von Standardsoftware auf der Basis von Standard- Betriebssystemen spricht daher heute vor allem ein Argument: Die Kosten fuer Entwicklung und Wartung der Software werden vom Hersteller beziehungsweise von einer Vielzahl von Anwendern getragen.

Gewinner dieser Entwicklung sind in erster Linie die Anbieter integrierter Softwarepakete, allen voran die Walldorfer SAP AG. Sie ist derzeit groesster deutscher Hersteller von Standardsoftware fuer den Mainframe-Sektor (R/2) und sie schickt sich an, mit R/3 eine aehnliche Position im Unix-Umfeld einzunehmen. Zu den Vorteilen integrierter Software-pakete, wie SAP sie anbietet, zaehlt die Organisation des Informationsflusses, die weit besser ist als bei einer reinen Verknuepfung einzelner Softwareprodukte via Schnittstelle. Erfolge verbucht die Software aber auch deshalb, weil sie sich ueber ein ausgefeiltes, intelligentes Parameterkonzept sozusagen massgeschneidert an nahezu alle Branchen anpassen laesst. Bei der Parametrisierung beginnen jedoch auch die Probleme, die oft nur hochkaraetige Spezialisten loesen koennen.

Die Parametrisierung eines SAP-Programms (R/2) ist recht komplex. Nur eine begrenzte Anzahl von Spezialisten ist in der Lage, das Programm an die organisatorischen Ablaeufe eines Betriebes anzupassen. Erfahrungsgemaess nimmt schon die Implementierung eines SAP-Programmes einen grossen Teil der Zeit in Anspruch. Das heisst, wer sich fuer R/2 entscheidet, geraet zwangslaeufig in eine gewisse Abhaengigkeit von SAP-Spezialisten. Diese benoetigen haeufig drei bis fuenf Jahre Ausbildungs- und Praxiszeit, ehe sie wirklich eigenstaendig und effizient arbeiten koennen. Diese Abhaengigkeit hat sowohl fuer SAP-Kunden als auch fuer Outsourcing-Dienstleister Konsequenzen. Beide benoetigen hochspezialisierte Fachkraefte, die in langjaehrigen Kursen die Kunst der Parametrisierung erlernt haben und die SAP-spezifische Programmiersprache der vierten Generation beherrschen.

Diese Spezialisten sind auf dem Arbeitsmarkt noch immer absolute Mangelware, sie werden nach allen Regeln der Kunst umworben. Vielen Unternehmen gelingt es zwar, solch hochdotierte SAP- Experten fuer das eigene Haus zu gewinnen, aufgrund der hohen Abwerbungsquote koennen sie aber nur wenige halten.

Daher sehen sich die Unternehmen in zunehmendem Masse gezwungen, externe Berater fuer Implementierung und Wartung der Standardsoftware hinzuzuziehen. Das Parametrisierungs-Know-how muss also zugekauft werden. Auf den Outsourcing-Markt wirkt sich diese Nachfrage aus. Ein neuartiges Angebot ist entstanden, das "Applications Facilities Management" (AFM). Dieses Geschaeft ist speziell auf die Know-how-intensiven Bereiche Beratung, Entwicklung, Wartung, Installation und Support von IT-Anwendungen zugeschnitten.

Die im einzelnen realisierten Outsourcing-Modelle im AFM-Bereich koennen unterschiedlichste Formen annehmen, je nachdem, welche Art der Zusammenarbeit mit dem Dienstleister der Kunde wuenscht. Leistungen koennen vom Anbieter direkt in den Org./DV-Abteilungen der Kunden erbracht werden, sie lassen sich aber auch extern vom Dienstleister beziehen. Die einzelnen Vertraege sind unterschiedlich gestaltet. Sie regeln, ob und in welchem Umfang Mitarbeiter, Hardware oder Software vom Kunden oder vom Outsourcer uebernommen oder anderweitig integriert werden. Die Vorteile des Outsourcings wissensintensiver Bereiche basieren nicht nur auf reinen Kostenargumenten. Zu den Pluspunkten zaehlt auch, dass sich Fehler, die mit Standardsystemen einmal irgendwo beim Dienstleister gemacht worden sind, im eigenen Betrieb mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht wiederholen. Positiv zu bewerten ist ferner der unverstellte Blick des externen Beraters, der von der in DV-Abteilungen oft weit verbreiteten Betriebsblindheit nicht angesteckt ist.

Der Kauf umfassender Dienstleistungen aus einer Hand ist allerdings auch mit Risiken behaftet. Nicht nur, dass die Implementierung mit der Faehigkeit des beauftragten AFM- Unternehmens steht und faellt, ebenso sind Kommunikationsprobleme mit dem gewaehlten Partner nicht auszuschliessen. Schwierigkeiten gibt es auch, wenn Projekte zeitlich in Verzug geraten.

Was passiert, wenn der Partner nicht in der Lage ist, neuere Entwicklungen flexibel umzusetzen, Fehler rasch zu beseitigen oder eigene Programm-Modifikationen wieder herauszunehmen?

Mangel an SAP-Spezialisten trifft auch die Outsourcer

Noch schlimmere Situationen entstehen, wenn der Outsourcer ebenfalls von der Fluktuation unter den SAP-Spezialisten betroffen ist, wenn also fuer seinen Kunden die Ansprechpartner staendig wechseln. Dies sind typische Probleme, mit denen viele Unternehmen, die erste Outsourcing-Versuche unternommen haben, bereits vertraut sein duerften. In der Presse mehren sich die Berichte ueber Unternehmen, deren Outsourcing-Bemuehungen erst im zweiten Anlauf mit Erfolg gekroent wurden.

Aus den Erfahrungen der ersten Outsourcing-Fehlschlaege und aus den daraus resultierenden Bestrebungen, die Probleme in den Griff zu bekommen beziehungsweise sie im Keim zu ersticken, lassen sich Grundsaetze fuer eine erfolgreiche Outsourcing-Praxis ableiten. Ein Grossteil dieser Erfahrungen hat mittlerweile Eingang in die juristischen Klauseln der recht komplizierten, weil ungewoehnlich detaillierten Outsourcing-Vertragswerke gefunden. Einige sollen hier genannt werden:

----Rahmenvertraege regeln die Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern, Auftragsvolu- men, -durchfuehrung, Abnahmebedingungen, Verguetungs-, Haftungs-, Sorgfalts- und Geheimhal-tungsfragen.

----Praeambeln legen allgemeine Zielvorstellungen fest, fuer den Fall, dass neue Streitfaelle auftauchen, die bisher nicht juristisch geklaert wurden.

----Dienst- oder Werkvertraege regeln die Leistungen, die der Outsourcer seinem Kunden erbringt. Empfohlen wird meist sogar die Zuhilfenahme technischer Regelwerke, damit Fachbegriffe von vornherein eindeutig definiert und Leistungen eindeutig messbar gemacht werden.

----Miet- und Dienstleistungsvertraege und nicht zuletzt eine eventuelle Uebertragung von Arbeitsverhaeltnissen muessen ebenfalls - meistens nach zeitaufwendigen Gespraechen im Vorfeld - in Einzelvertraegen geregelt werden.

Um eine uebergrosse Abhaengigkeit vom Outsourcer zu verhindern, sollten Unternehmen grundsaetzlich stets die Bereitschaft und Faehigkeit aufrechterhalten, bei Bedarf und vor allem im worst case die DV-Aktivitaeten wieder ganz oder partiell in Eigenregie zu erledigen. Diese Moeglichkeit ist auch im Vertragswerk zu verankern und in Gespraechen zu betonen.

Outsourcer und Unternehmen tun gut daran, die zu erbringende Dienstleistung genau abzugrenzen und zu spezifizieren, wobei besonderer Wert unter anderem auf den Know-how-Transfer vom Outsourcer zu den Mitarbeitern des Unternehmens gelegt werden sollte, etwa in Form von ausgefeilten Schulungskonzepten und deren Umsetzung in die Praxis. Um die Abhaengigkeit vom Berater nicht zu gross werden zu lassen, halten es viele Unternehmen - je nach Spezifikation und Umfang des Outsourcing-Vertrages - fuer ratsam, Unterbrechungszeiten im Anschluss an befristete Vertraege einzuplanen: beispielsweise eine halbjaehrige Beratungspause nach dreijaehriger Vertragsdauer.

Vortragspausen foerdern "Hilfe zur Selbsthilfe"

Kommt das Unternehmen in dieser Zeit im alltaeglichen Geschaeft auch ohne den Dienstleister gut ueber die Runden, so hat der Know-how- Transfer gut funktioniert. Warum sollte man nicht dasselbe Unternehmen, vorausgesetzt, Preisvergleiche und Handlungsbedarf sprechen dafuer, noch einmal engagieren?

Durch diese Kunstpause kann in vielen Faellen sichergestellt werden, dass sich der Outsourcer von Anfang an darum bemueht, die beruehmte Hilfe zur Selbsthilfe auch tatsaechlich zu leisten. Schliesslich ist er an einem Folgeauftrag im Anschluss an die Pause interessiert. Seine Handlungsfreiheit sollte das Unternehmen auch dadurch absichern, dass es Schluesselpositionen im eigenen Unternehmen behaelt.

Im Klartext: Niemals sollte ein externer Berater allein die Hauptverantwortung fuer ein Projekt tragen. Letztlich ist es das Unternehmen, das mit den Folgen des Outsourcings umgehen muss. Verantwortung, Kontrolle und das betriebswirtschaftliche Know-how duerfen nicht komplett ausgelagert werden. Schliesslich ist es wichtig, die Qualifikation des Beratungsunternehmens beziehungsweise seiner Mitarbeiter gruendlich zu pruefen. Auf dem Markt fuer Outsourcing ist mittlerweile eine recht heterogene Anbieterstruktur entstanden: Neben den sehr erfahrenen Anbietern mit Allroundreferenzen gibt es eine Reihe von Dienstleistern, die Erfahrungen in einzelnen Bereichen, etwa nur im DV/Org.-Umfeld oder nur bei Rechenzentren, vorweisen koennen. Auch versuchen einige unerfahrene Dienstleister, im letzten Moment auf den Outsourcing-Zug aufzuspringen. Auch wenn die Gespraeche zeitaufwendig sind: Auf keinen Fall sollte ein Unternehmen mit nur einem einzigen Anbieter in Verhandlungen treten.

Zusammenfassend laesst sich sagen: In die Entscheidung fuer oder gegen die Einfuehrung von integrierten Standardsoftwarepaketen sollte auch die Verfuegbarkeit von derzeit knappem SAP-Know-how kritisch einbezogen werden.

Grundsaetzlich kann dabei das Outsourcing, das heisst die Auslagerung der Verantwortung fuer einen Teil der Anwendungen an externe Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen als eine solide Quelle fuer das benoetigte SAP-Know-how in Betracht gezogen werden.

Das Risiko, sich hierbei in eine Abhaengigkeit vom Dienstleister zu stuerzen, kann bei nuechterner Betrachtung als gering eingestuft werden, da mittlerweile sowohl in bezug auf Vertragswerke als auch hinsichtlich des Managements von Outsourcing-Partnern eine Reihe von verwertbaren Erfahrungen vorliegt und in der Praxis Verwendung findet. Das Abwaegen von Kosten und Nutzen integrierter Standardsoftware ist komplizierter geworden, aber lohnenswert ist es allemal geblieben.

Die IT-Revolution frisst ihre Kinder

- wenn diese wichtige Trends verschlafen. Kein Zweifel: Outsourcing ist auch dort ein Thema, wo Org./DV-Leitungen ihre Strategie nicht an den technischen Moeglichkeiten, sondern an der Produktpolitik ihres Haus- und Hoflieferanten ausrichten.