"Mit Tageskram ist kein Blumentopf zu gewinnen"

15.04.1977

Christian Hollwich ist einer der drei CW-CeBIT-Gäste. Wir haben ihn in Ausgabe 15 bereits kurz vorgestellt und nach seinen Plänen in bezug auf die bevorstehende Messe befragt. Was der EDV-Vollprofi darüber hinaus zu dem gewiß aktuellen Thema "Distributed Processing" zu sagen hat, wollten wir den CW-Lesern nicht vorenthalten.

- Mit dem Agrob-Zentralrechner einer 370/125, sind über einen BSC-Anschluß drei Prozeßrechner gekoppelt, die ausschließlich zu kommerziellen Zwecken eingesetzt werden. Besteht eigentlich eine Dialog-Möglichkeit?

Die Prozeßrechner hängen zwar online an der 370/125 - ein Dialogverkehr ist jedoch nicht vorgesehen.

- Wofür werden diese "Prozeßrechner mit Terminalfunktion" eingesetzt?

Für ein Projekt, das wir AUBEST nennen, Auftrags- und Betriebssteuerung. Die Leute in den zuständigen Fachabteilungen arbeiten selbständig darauf. Sie machen dort Auftragserfassung, Lieferscheinschreibung und Rechnungsstellung.

- Wird von der Zentralrechnerseite her ständig abgerufen?

Nein, nur in der Nacht, wenn die Leitung billig ist. Dann ist da noch der Datensicherungsaspekt: Die Geräte laufen zwar bediener-, aber nicht benutzerlos - es sind ja die Fachabteilungsleute dran.

- Prozeßrechner ausschließlich für kommerzielle Aufgaben einzusetzen, das ist hierzulande immer noch eine unübliche Lösung.

Ich vertrete die Auffassung, daß wir die "großen Zahlenmühlen" in Zukunft nicht mehr brauchen werden auch nicht sinnvoll einsetzen können. Ich bin darüber hinaus der Meinung, daß man die Augenblicksfertigkeit der Information nur innerhalb bestimmter Arbeitsgebiete benötigt. Zum Beispiel in der Buchhaltung. Die sollte augenblicksfertig sein. Der Buchhalter muß den Dialog ermöglicht bekommen, in die maschinell gebuchten Zahlen "hineinschauen" zu können. Das Belegpinseln ist immer eine Crux der Datenverarbeitung gewesen.

Ein anderes Beispiel ist die Materialwirtschaft: Der Lagerbestand muß bekannt sein. In dem Moment, in dem er unter eine Bestellgrenze rutscht, ist es für den Disponenten wichtig, zu wissen, daß er nachkaufen soll und wo.

- Sollte der Kontakt zwischen den genannten Arbeitsgebieten "augenblicksfertig" gehalten werden - um in Ihrer Sprache zu bleiben?

Diese Augenblicksfertigkeit muß nicht pauschal gegeben sein. In den meisten Fällen ist es ausreichend, wenn man tagfertig ist. Unsere Verkäufer draußen müssen zwar wissen, wie groß das Kreditlimit eines Kunden ist - aber eben da genügt der Stand von gestern.

- Wie stehen Sie zu den Fachabteilungen?

Die sollen mit sich selbst zu Rande kommen. Die sollen vor ihren Bildschirmen sitzen und "sauber" arbeiten, vor allem in Ruhe arbeiten. Auch ungestört davon, daß einmal irgendwo hardwaremäßig etwas ausfällt oder in einem Nachbargebiet ein Bock geschossen wird.

- Daß beispielsweise das CICS runterfällt?

Genau. Ein EDV-Leiter begibt sich doch dauernd in die Situation, in der es heißt: "Wenn Sie so viele Anwendungen im CICS haben von unterschiedlichen Abteilungen, dann ist es kein Wunder, wenn die EDV Murks macht." In so einem Fall verbrüdern sich die Benutzer und stänkern so lange, bis endlich der Techniker da ist, der den Hobel repariert.

- Wenn für jedes Arbeitsgebiet ein eigener Rechner eingesetzt wird, ist das dann für Sie ein leichteres Arbeiten?

Selbstverständlich. Die Benutzer identifizieren sich ab einem bestimmten Zeitpunkt doch mit der Verarbeitung, die auf ihrem Rechner läuft. Und kommen dann, wenn sie wegen eines Maschinenausfalls einen halben Tag auf dem Trockenen sitzen, freundlich zu mir mit der Bitte: "Könnten Sie sich nicht darum kümmern, daß wir einen anständigen Techniker bekommen."

- Sie geben damit aber doch einen Großteil an Verantwortung ab. Fürchten Sie nicht um Ihre Position?

Im Gegenteil. Obwohl ich einen Kollegen habe, der den Trend zur Dezentralisierung auf keinen Fall mitmachen würde. Mit der Begründung, daß dort, wo programmiert werden kann, auch programmiert wird. Er mag sogar recht haben. Ich sage: "Dort soll sogar programmiert werden."

- Das müssen Sie uns schon näher erklären.

Den Tageskram, das Betreiben der Anlage mit dem Operator draußen gebe ich gerne ab: Damit kann man sowieso keine Blumentöpfe gewinnen. Das, wozu ich als EDV-Leiter aufgerufen bin, ist doch, für Agrob den jeweils optimalen Effekt herauszuholen. Und zwar mit den derzeit sinnvollsten Mitteln zur Informationsverarbeitung. Die erfindet aber nicht der, der an einem Satelliten sitzt.

- Vielleicht wird ihm von den Herstellern suggeriert, diese Fähigkeit auch zu besitzen?

Ich glaube nicht, daß es möglich ist unter Umgehung des fachbezogenen Know-Hows, von dem man hoffen, kann, daß es beim EDV-Leiter sitzt ressort-übergreifende Lösungen zu realisieren.

- Bei dieser Frage geht es wohl mehr um die Akquisitionspraktiken mancher Hersteller?

Das ist mir doch bloß recht, wenn ein VB einen Bildschirm oder ein paar K mehr "draußen" verkaufen will weil das anscheinend reibungsloser geht. Dann brauche ich mich nicht dauernd zu strapazieren. Da fragt man mich eben nur noch: "Ich brauche soundsoviel Bildschirme mehr, weil ich jetzt den und den Arbeitsaufwand habe - geht das?" Wenn ich dann nur noch ja sagen brauche, kann ich froh sein, nicht derjenige zu sein, der dauernd Investitionsanträge stellen muß, um Geld für Bildschirme freizubekommen. Was man allerdings verhindern muß, ist Eigenbrötelei der Fachabteilungen.

- Die Emanzipations-Bestrebungen der Ressorts kommen ja nicht von "ungefähr". Wie oft muß die EDV einen Benutzer vertrösten, "weil immer etwas anderes Priorität hat" - von dem "Zuviel" an Tagesarbeit, der Programmpflege etc. gar nicht zu reden. Da heißt es oft: "Ihr seid auf der Warteliste."

Solche Antworten muß ich - zugestanden - auch immer wieder geben. Aber das ist keine Rechtfertigung für unkontrollierte Aktivitäten in den Fachabteilungen, unter Umgehung des EDV-Leiters isolierte Insellösungen zu schaffen.

- What to do?

Ein EDV-Leiter, dem. das passiert, muß stark genug sein, aufzeigen zu können, daß da Mehrausgaben für das Unternehmen entstehen, die sich nie und nimmer auszahlen. Wer so schwach ist, daß er das nicht augenfällig machen kann, sitzt sowieso auf dem verkehrten Stuhl.

Agrob-Daten

Die Firma Agrob ist ein führender deutscher Keramik-Hersteller mit mehreren Werken in der Bundesrepublik. Die Hauptverwaltung und das kleinste Werk befinden sich in Ismaning bei München. Das Unternehmen mit derzeit etwas über 2000 Beschäftigten besteht seit l859. An Datenverarbeitungs-Equipment ist in Ismaning installiert: eine 370/125 mit 256 KB, vier Plattenlaufwerken 3340, zwei Bandstationen, Kartenleser, Drucker. Gefahren wird unter DOS/VS mit einer Online-Partition, auf der vier Bildschirme sitzen. Über einen sogenannten ICA (Integrated Communication Adapter) ist eine IBM-Datenstation 3735 angeschlossen, mit der in der Exportabteilung fakturiert wird. An diesem ICA hängen außerdem über einen BSC-Anschluß drei Modcomp-Prozeßrechner mit je 64 KB Hauptspeicher, die ausschließlich zu kommerziellen Zwecken eingesetzt werden.

Christian Hollwich (39)

macht in der Agrob nach seinen eigenen Worten "den ganzen EDV-Kram und die Organisation". Seit dreieinhalb Jahren. Die "andere Seite" hatte er zuvor eingehend studiert - fünf Jahre als Systemberater bei IBM.

Sein Ausbildungsgang: Diplom-Ingenieur der Nachrichtentechnik, Diplom-Wirtschaftsingenieur, Operations Research. Der Enddreißiger über EDV-Vertriebsrepräsentanten: "Was da so Feld-, Wald- und Wiesen-VBs bringen, das ist zu dürftig."