Die D1-Mission, der erste Ausflug ins All unter deutscher Ägide:

Mit Steinzeitmikros in den Weltraum und zurück

22.11.1985

Ellen Vakyli ist freie DV-Journalistin in München.

Mit uralten 64-K-Computern mußten sich die fünf Astronauten im Spacelab während ihres Siebentagefluges im November '85 abplagen. Die deutschen Betreuer auf der Erde waren besser ausgerüstet: Im Oberpfaffenhofener Kontrollzentrum verfügt man über eine opulente DEC-Anlage, die mehr als ein Dutzend Mainframes umfaßt.

In den Bergen von Presse-Infos, die die Deutsche Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DFVLR) während der D1-Mission herausgab, war von elektronischer Logistik kaum die Rede. Nur ein paar dürre Zeilen im D1-Report vom Oktober '84 gaben Auskunft über die Rechnerausstattung des von den Europäern gebauten Spacelab: ". . . sind Kontroll-, Steuer- und Datenverarbeitungsanlagen . . . untergebracht. Der Bordcomputer verfügt über 64-K- Speichervolumen . . ."

Einer der Softwarespezialisten der DFVLR war bereit, etwas mehr zum Thema EDV im Spacelab zu erzählen. "Das sind Rechner, die sind schon lange nicht mehr im Handel," erklärte Wolfgang Müller-Breitkreuz. Beschwichtigend fügte er gleich hinzu, "Sie dürfen nicht vergessen, daß diese ganze Entwicklung Anfang der siebziger Jahre angefangen hat und daß die Entwicklung gerade auf dem Sektor Computer stürmisch weitergegangen ist. Wenn man heute ein Spacelab bauen würde, dann würde man diese Rechner sicher nicht mehr nehmen nach fünfzehn Jahren. Aber damals waren das ausgezeichnete Rechner. "

Die drei Oldies im Spacelab sind Produkte des französischen Herstellers Cimsa und heißen Mitra 125. Diese Computer wurden Mitte der siebziger Jahre schon in die Nutzlast des Spacelab eingeplant und softwaremäßig auf die zu vernetzenden Geräte eingestimmt. "Wir hätten später das ganze EDV-Konzept ändern müssen, die ganzen experimentspezifischen Anschlüsse mit ihren Facilities - da war kaum noch was zu machen," entschuldigte auch der Chef des Pfaffenhofener Kontrollzentrums, Peter Piotrowski, die Misere mit den 64-K-Computern.

Zwei der Steinzeitmikros (der dritte Mitra blieb als Backup unbenutzt) mußten während des Weltraumfluges eine Menge Arbeit und Verantwortung übernehmen. Das "Scos" (= Subsystem Computer Operating System) war für die Überwachung der Spacelabsysteme zuständig, also für Raumtemperatur, Luftdruck etc. Die Software für diesen Rechner stammte von der NASA, die ja auch für die übrigen Computersysteme im Shuttle zuständig war. Wichtiger für die Spacelabmannschaft war der zweite Mitra "Ecos" (= Experiment Computer Operating System). Die Anwenderprogramme für Ecos waren ausschließlich von den Experte der DFVLR entwickelt worden. Auf Ecos ließen sich alle Low-rate-Daten (unter 5 KBit/s) sammeln und verarbeiten. Sie kamen von den verschiedenen Meßstellen in den Nutzlastsystemen und den Experimentiergeräten. Durch ein automatisches Timelining wurden die Experimentiersequenzen und die kritischen Parameter aus der Nutzlast überprüft. Der kleine Mitra diente also als Warnsystem, wenn es irgendwo brenzlich wurde. Im übrigen aber mußte er als elektronischer Helfer für alle fünf Wissenschaftler und deren mehr als siebzig verschiedene Forschungsprojekte herhalten.

Bedienung wie bei jedem normalen Bürorechner

Während der knappen Zeit, in der man Bodenkontakt hatte (etwa 35 Prozent der Flugzeit), ließ sich der Mitra zum intelligenten Terminal umfunktionieren. Dann war es möglich, Daten durch die I/O-Unit-Leitung über den Mulitplexer direkt nach Pfaffenhofen zu schicken. Genauso konnten die Betreuer im Kontrollzentrum ihre digitalen Informationen auf den winzigen Monitor im Spacelab schicken.

Zwei Drittel der Zeit war man allerdings von der Erde abgenabelt und auf das nun autonome Computersystem angewiesen. In diesen Stunden mußte der 64-K-Zwerg genauso bedient werden wie jeder normale Büromikro. Externe Speicherung war über die MMU (= Mass Memory Unit) auf Speicherplatten möglich. Das Handling mit der Software dürfte dabei recht kompliziert gewesen sein. Müller-Breitkreuz gab zu, daß man sich weitgehend mit einem "swapinswapout-Verfahren" behelfen mußte. Bei außerplanmäßigen Notfällen konnten die Astronauten im "Flight Data File" nachschlagen. Die meisten Kommandos, die über das Keyboard (DDU = Data-Display-Unit) einzutippen waren, hatte man lange vorher beim Training einüben müssen.

Über die Mitras liefen zusätzlich drei direkt mit den Prüfgeräten verbundene Prozeßrechner, die über Eingabeschalter bedient werden konnten. Die Chip-gesteuerten Meßwerte wanderten bei Bodenkontakt als digitale High-rate-Daten in Echtzeit sofort zur Erde. Oder man speicherte sie im High Data Recorder- dieser Massenspeicher konnte bei einem Datenstrom von maximal 48 MBit/s eine Stunde lang Daten aufnehmen.

Das "Gsoc" (=German Space Operating Center) in Oberpfaffenhofen war für den Empfang der Spacelab-Informationen optimal ausgerüstet. Die DEC-Anlage umfaßte mehr als ein Dutzend Mainframes, wobei die Eingangsrechner jeweils über zwei Backups verfügten. Eine teure Sicherheitsmaßnahme, die sich aber bezahlt machte, als während der D1-Mission einer der dicken Brummer plötzlich seinen Geist aufgab. "Für uns war das gar kein Problem," erinnert sich der Chef des Gsoc, Peter Piotrowski." Wir sind dann übers Netz einfach auf den zweiten Rechner gegangen. Das System ist mit internen Batteriepuffern so abgesichert, daß bei einem Hardwarezusammenbruch keine wichtigen Daten verloren gehen können."

Nachdem die Bitkolonnen aus dem Spacelab in einem langen Zickzackkurs (erst auf den US-Satelliten Telemat, dann herunter nach Houston, von hier aus nach Washington, wo man sie wieder hinauf auf den europäischen Satelliten Intelsat schickte, der sie dann endlich an das Gsoc weitergab) um die Welt gerast waren, landeten sie erstaunlich wohlbehalten (99,9 Prozent) fünf Sekunden später in den Großrechnern von Oberpfaffenhofen. Hier wurden sie solange sortiert, konvertiert und mit deutschen Anwenderprogrammen aufbereitet, bis sie schließlich als Grafiken oder Zahlenkolonnen auf dem Terminal-Bildschirm sichtbar wurden. Im Hauptkontrollraum mit den großen Projektionsflächen durften nur privilegierte Besucher die Spacelab-Aktivitäten hinter einer Glaswand verfolgen. Einer der prominentesten Gäste war F.J. Strauß. Der Bayerische Ministerpräsident zeigte sich tief beeindruckt, als er am 5. November neben Ulf Merbold seinem fliegenden Landsmann Ernst Messerschmid "den Dank des Vaterlandes" hinauf ins All schicken durfte.

Lob und Zustimmung hatten die fünf Wissenschaftler, die in ihrer engen Röhre im Zustand der Schwerelosigkeit mehr als 70 Experimente durchziehen mußten, gewiß verdient. Es ist zu hoffen, daß man sich bei der von Minister Riesenhuber schon für 1988 angekündigten D2-Mission überlegt, wie die veralteten Bordcomputer gegen eine neue und potentere Anlage ausgetauscht werden können.

_AU:Ellen Vakyli