Installationszahlen eingesetzter Programme noch längst keine Garantie für gute Qualität:

Mit Standardsoftware vom Regen in die Traufe

25.06.1982

MÜNCHEN - Jeder Benutzer, der heute in seiner individuellen Softwarekrise steckt, versucht sich mit Hilfe von Standardprogrammen von den Problemen freizukaufen. Doch der Markt ist inzwischen dermaßen unüberschaubar geworden, daß allein die Auswahlentscheidung zu einem abenteuerlichen Unterfangen werden kann. Viele Anwender lassen sich denn auch zunächst von den Installationszahlen der Systemhäuser blenden. Aber selbst zuhauf eingesetzte Standardsoftware garantiert noch längst nicht für gute Qualität.

Wollen wir den Begriff der "neutralen Standardsoftware" so verstehen, daß jeder Anwender ohne Rücksicht auf seinen Hardwarehersteller eine Softwarelösung für ein bestimmtes Arbeitsgebiet (zum Beispiel Lohn-/Gehalt) sucht, so könnten mit Auswahlüberlegungen fast aufhören: Diesen Markt gibt es so gut wie nicht. Hardware, Betriebssysteme und Programmsprachen haben sich speziell durch Dialogeinsatz und differenzierte Zugriffsmethoden so herstellerabhängig entwickelt, daß universell einsetzbare Standardsoftware derzeit kaum mehr unter technisch und wirtschaftlich sinnvollen Gesichtspunkten realisierbar ist.

Man muß bei allen Überlegungen unterschiedliche Größenklassen und Herstellergruppen der Zielanlage für Standardsoftware berücksichtigen.

Installationszahlen sekundär

Die sehr häufig als Werbeargument für Standardsoftware genannte Installationszahl muß zunächst als Argument im entsprechenden Umfeld relativiert werden.

Die absolute Zahl sagt sehr wenig über die effektive Qualität, sie wird erst lebendig, wenn Vergleichszahlen für alternative Produkte vorliegen. Soll der Vergleich aber einen Anhaltspunkt über die Softwaregüte liefern, so muß wiederum die Summe aller Installationszahlen genügend groß sein, um zu einer statistisch vertretbaren Aussage zu gelangen.

Um die Vergleichbarkeit festzustellen, sollte der Benutzer sich alle ihm angebotenen Produkte genau ansehen. Die Beschreibungen in den Softwarekatalogen reicht hier absolut nicht aus. Allein bei der Lohn-/ Gehaltsabrechnung findet man Angebote unter gleicher Leistungsbeschreibung und ähnlichen Installationszahlen, die sowohl in einer Preisklasse um 9000 Mark als auch schon für 3000 Mark zu haben sind. Entweder sind die Produkte in ihrer tatsächlichen Leistung unterschiedlich und damit nicht vergleichbar oder diverse Vertriebsinteressen beeinflussen das Preisniveau, was zum Teil für den potentiellen Käufer zumindest qualitätsbezogen keine negativen Auswirkungen haben muß.

Eine dritte Möglichkeit: Anbieter und Nachfrager sind mangelhaft qualifiziert - der Markt ist (noch?) nicht in Ordnung.

Produktalter als Maßstab

Ein wesentlicher Einflußfaktor auf die Installationszahl ist zwangsläufig das Alter des Softwareproduktes. Eine junge Mutter kann noch nicht viele Kinder haben - mit ihrer Qualität hat das aber nichts zu tun.

Programmprodukte, die schon längere Zeit angeboten werden und es zu nennenswerten Installationszahlen gebracht haben, beinhalten zwar eine gewisse Reife. Es besteht jedoch häufig die Gefahr, daß diese "Senioren" nicht mehr auf dem technologisch aktuellsten Stand sind oder gar schlecht "geliftet" wurden. Ich habe aus Zeitmangel schon selbst die Sünde begangen, Batchsysteme auf "Dialog" umzustellen, ohne vorher die Grundkonzeption organisatorisch neu zu überarbeiten!

Mangelndes Know-how kann teuer werden

Die Vertriebsaktivität des Softwareanbieters hat ganz entscheidende Bedeutung für die Installationszahl und steht damit in enger Verbindung mit dem Preisniveau. Bei kleinen EDV-Anlagen ist die interne Individualprogrammierung weder existent noch vorgesehen. DV-Hersteller oder Softwarehäuser, die für diese im Auftrag arbeiten, bieten aber zu den jeweiligen Systemen meist passende Standardsoftware an. Die Installationszahlen sind somit fast linear abhängig von den Hardware-Installationszahlen. Eine qualitative Aussage durch Stückzahlen ist insofern isoliert für die Software kaum möglich. Die Qualität der Software sollte in diesem Bereich zwar ganz entscheidend sein, doch das Problem ist, daß bei diesem Anwenderkreis überwiegend das Urteilsvermögen über Hard- und Software hinter dem vertrieblichen Können des Anbieters herhinkt.

Exoten als Geheimtip

Im Bereich der mittleren und größeren EDV-Anwendungen ist die Vertriebsaktivität des Softwareanbieters ein wichtiger Faktor zur Beurteilung der Abhängigkeit von Qualität und Stückzahl.

Es gibt Softwareproduzenten, die qualitativ hervorragende Produkte vertreiben, aber aus Zeit-, Geld- oder Vertriebsprofilmangel nie zu nennenswerten Installationszahlen gekommen sind. Für manchen Anwender wäre es interessant, auf diese Produkte zu stoßen, zumal in diesem Marktsegment individuell eventuell erforderliche Anpassungen meist am wirtschaftlichsten realisierbar sind.

Vorsicht bei Teuer-Programmen

Ein weiterer Marktbereich besteht aus Softwareprodukten, die für individuelle Anwendungen entwickelt und jetzt zur Amortisation der hohen Investitionen als "Standardsoftware" zum weiteren Verkauf hochstilisiert wurden. Eine sehr niedrige Installationszahl und ein meist relativ hoher Preis sind eventuelle Erkennungsmerkmale. Wenn der Einsatzbereich des Softwareproduktes identisch ist, kann der Kauf trotz niedrigster Installationszahl positiv sein. Ergeben sich jedoch Abweichungen, so ist größte Vorsicht geboten, da diese Softwareprodukte meist nicht modular und/oder parameterisiert konzipiert sind.

Es bleibt dem Anwender meist nichts anderes übrig, als sich anhand von detaillierten Informationen ein Qualitätsurteil über die Software im konkreten Einsatzfall selbst zu bilden. EDV-Mann und Endanwender sollten zusammen die angebotenen Produkte in ihrem kompletten Umfeld auf Herz und Nieren testen.

*Wolfram Weiß arbeitet als freier Unternehmensberater in München.