IT in der Transportbranche/Ereignisgesteuertes Transport-Management (SCEM) auf dem Vormarsch

Mit SCEM die Lieferversprechen einhalten

25.10.2002
Bei der Transportsteuerung hat sich in den vergangenen Jahren eine neue Disziplin entwickelt: das Supply-Chain-Event-Management (SCEM). Grund: Das herkömmliche Lieferketten-Management (SCM) war auf einem Auge kurzsichtig; die Distributionsseite wurde im Gegensatz zur Planung stiefmütterlich behandelt. Von Manfred Krüger*

Wenn es darum geht, zeitnah in bereits angelaufene Transporte einzugreifen, bewähren sich SCEM-Systeme. Ihre Kernfunktion: Treten Störungen auf, die die Liefertermine gefährden, schlagen SCEM-Systeme Handlungsalternativen vor, und zwar raum-, zeit- und verkehrsträgerübergreifend.

Was ein ereignisgesteuertes Transport-Management in der Praxis zu leisten vermag, zeigt sich am Beispiel des Fahrzeugbaus. In der Automobilwirtschaft tun sich bei der Distribution von Neuwagen erhebliche Optimierungspotenziale auf. Denn obwohl die Beschaffungslogistiker den Materialtransport mit Just-in-Time- und Sequenzanlieferung bereits weitgehend im Griff haben, wird bei der Auslieferung der Neuwagen in der Regel erst einmal abgewartet, bis die Fahrzeuge fertig produziert sind. Erst danach fällt die Entscheidung, wie diese am besten zu transportieren sind. Da es auf dem Weg vom Bandende bis in den Verkaufsraum jedoch zahlreiche Hindernisse gibt, gerät die Einhaltung der Liefertermine entsprechend häufig zum Vabanquespiel.

Angesichts solcher Unwägbarkeiten lässt sich nur mit einer flexiblen Steuerlösung sicherstellen, dass ein in der gewünschten Farbe und Ausstattung bestelltes Auto auch zum vereinbarten Termin beim Händler ist. Für eine effizientere Zusammenarbeit muss die Kommunikation zwischen allen am Transport beteiligten Partnern eng geknüpft werden und in Echtzeit erfolgen. Denn je frühzeitiger die Spediteure konkrete Vorhersagen über Art und Umfang der anstehenden Aufträge erhalten, desto punktgenauer können sie die gewünschten Transportkapazitäten bereitstellen. Der Weg zu diesem ehrgeizigen Ziel führt über die Entwicklung des Netzdesigns, die Netzplanung der Volumenvorschau für die Produktion und eine stabile Übergabe am Bandende. Nebeneffekt für die Hersteller: Da die Produkte schneller das Werksgelände verlassen, wird weniger Stellfläche gebraucht.

Durchgängige Kostentransparenz

Dieser komplexe Steuerprozess erfordert ein durchgängiges Planungs- und Steuerungssystem, in dem sich sämtliche Prozessschritte abbilden lassen. Mit einer integrierten Management-Lösung können Dienstleister die Transportkapazitäten beschaffen und steuern sowie proaktiv in die Lieferkette eingreifen. Sobald die Lösung den kompletten Auftragszyklus von der Planung über den Versand bis zur Abrechnung umfasst, entsteht darüber hinaus durchgängige Kostentransparenz.

Die Wirksamkeit des SCEM steht und fällt mit der Qualität der Datenbank. Als Herzstück der Anwendung muss sie die Transportprozesse der Liefernetzwerke kundenspezifisch abbilden. Vor allem bei internationalen Transporten ist dies eine anspruchsvolle Aufgabe. Denn hier geht es nicht allein darum, Informationen zu Transportwegen, Maßeinheiten, Währungen und Adressstellungen sowie zu Dienstleistern, deren Angeboten, Fahrplänen und Preisen einzupflegen. Zusätzlich müssen die Informationen den jeweiligen Marktanforderungen angepasst werden. Allein die Abbildung der unterschiedlichen Postleitzahlensysteme fordert der Datenbank ein hohes Maß an Flexibilität ab. Und über die vielfältigen Landesspezifika hinaus muss ein globales Datenmodell auch sämtliche Zeitzonen unterstützen. Nur dann erhalten sämtliche Partner in der Transportkette exakte Statusinformationen.

Für die Transportpraxis ist entscheidend, dass die Lösung einen Steuerungsprozess zum Management von Störungen bietet. Hierzu liefert eine proaktive Schnittstellen-Kontrolle kontinuierliche Soll-Ist-Vergleiche. Das stellt sicher, dass Abweichungen über eine fest definierte Route mit allen möglichen Veränderungen und Alternativen kurzfristig ermittelt und Transporte neu geplant und vergeben werden.

Das Ereignis-Management kontrolliert die Abläufe, indem es Kriterien wie Transportart oder geografische Rahmenbedingungen mit dem Zeitplan der Sendung kontinuierlich abgleicht. Sollten während des Transportes Abweichungen auftreten, die ihn verspäten, wird nach Alternativen gesucht. Im Dialog liefern SCEM-Lösungen dem Disponenten konkrete Vorschläge. Diese Handlungsszenarien basieren auf zuvor hinterlegten Regeln. In das Kalkül gehen unter anderem die Merkmale Laufzeit, Kosten und Kundenwunsch ein. Sollte sich die Laufzeit einer (Teil-)Lieferung trotz der eingeleiteten Gegenmaßnahmen verspäten, so werden alle Glieder der Transportkette über die Änderung und voraussichtliche neue Ankunft umgehend informiert.

Der hohe Mehrwert von SCEM-Lösungen hat dazu geführt, dass die Nachfrage seit dem vergangenen Jahr deutlich angestiegen ist. So zählt das SCEM mittlerweile zu den wichtigsten Wachstumsträgern im gesamten Lieferketten-Management. Anfang Juni stellte Advanced Manufacturing Research (AMR), renommierter Industrieanalyst aus den USA, fest, dass der Lizenzumsatz von 55 Millionen Dollar im Jahr 2000 auf 156 Millionen Dollar (2001) anstieg. Dieses 182-prozentige Plus machte mehr als die Hälfte des Gesamtzuwachses im Bereich der Supply Chain Execution aus, die ihrerseits von 898 auf 1,084 Millionen Dollar zulegte.

Nachfrage verlagert

Unter Supply Chain Execution fasst man Lösungen zusammen, die Lieferkettenprozesse unterstützen. Durch den Boom im SCEM überholte der Execution-Bereich erstmals das Segment der Planungsapplikationen, das 2001 einen Rückgang um 14 Prozent von 1,131 auf 968 Millionen Dollar zu verkraften hatte.

Dass sich die SCM-Nachfrage nachhaltig vom Supply Chain Planning zur Supply Chain Execution verlagert, bestätigt AMR auch in der Vorhersage der kommenden Jahre. Während die Analysten dem Planungssegment ein jährliches Wachstum von gerade einmal neun Prozent zutrauen, sollen die Execution-Systeme mit 26 Prozent dreimal schneller wachsen. Angesichts der Dynamik gibt es viele Unternehmen, die auf den Markt drängen. (bi)

*Manfred Krüger ist Geschäftsführer der G-Log GmbH in Hürth-Gleuel.

Angeklickt

Nachdem zunächst vor allem kleinere spezialisierte Anbieter den Markt erschlossen haben, folgen mittlerweile auch etablierte SCM-Platzhirsche wie IBS, i2, Manugistics und SAP nach.

Zu den Anbietern der ersten Stunde zählen vor allem Descartes, G-Log, Manhattan Associates, Red Prairie und Viewlocity.