Mit neuem MVS-Betriebssystem und Prozessorkarte im Intel-PC Die IBM sieht S/390-Systeme als Server fuer Netzwerk-Computing

01.12.1995

MUENCHEN (kk) - Die IBM will mit ihrer Prozessorkarte "P/390", die zusammen mit einem Pentium-Server angeboten wird, im eigenen Revier wildern. Der Hersteller positioniert das System unter anderem als Filial- und Abteilungsrechner sowie als Ersatz fuer alte "4381"-Mainframes.

Schon im Sommer hatte die IBM ihre Prozessorkarte einem ausgewaehlten Kreis von Software-Entwicklern praesentiert und zu Sonderkonditionen angeboten (vgl. CW Nr. 23 vom 9. Juni 1995, Seite 33: "Der PC Server S/390 verlaengert das Leben der ESA- Architektur"). Die Steckkarte passt allerdings nur in ein entsprechendes IBM-Geraet, den "PC Server 500", der werksseitig mit einem Pentium-Chip und dem Betriebssystem OS/2 ausgestattet ist. Rund 8000 Mark soll die Zusatzkarte kosten, die den PC Server zum Zwillingsrechner fuer OS/2 sowie VSE, VM oder MVS macht.

Die P/390-Karte versteht IBM quasi als eigenstaendigen Rechner mit CMOS-CPU, eigenem Arbeitsspeicher und dem PROM-Speicher mit dem Startprogramm. Fuer die Kommunikation mit dem PC-Teil inklusive Festplatten und I/O-System sorgt ein Spezialchip. Die grafische Darstellung des MVS-Betriebssystems uebernehmen OS/2-Emulatoren und -Treiber - allerdings etwas langsamer als der Grossrechner selbst.

Als Anwendungsgebiete macht IBM drei Arbeitsfelder aus: Einmal sollen Software-Entwickler am PC Programme fuer Mainframes entwickeln und testen, ohne Host-Rechenzeit zu beanspruchen. Sie wuerden dabei von der grafischen Oberflaeche und den Hilfsprogrammen von OS/2 profitieren. Ein PC Server 500 koenne rund 100 Entwickler bedienen, schaetzt man bei IBM.

Die zweite Marktchance sieht der Hersteller in der Abloesung alter Geraete etwa vom Typ 4381. Schliesslich lasse sich ein PC-Server- 500-System auch als Filial- oder Abteilungsrechner nutzen, wenn in der Zentrale ein Mainframe stehe. Beispielsweise setzt die Karstadt AG bereits seit laengerem ein solches Modell als Anwendungs-Server in einigen Filialen ein.

IBM veranschlagt die Kosten fuer ein komplett ausgestattetes System inklusive Hard- und Software sowie Service auf 150000 Mark. Damit liege man um rund 100 000 Mark unter den Kosten, die ein VM-System jaehrlich ausmache; ein MVS-Rechner schlage derzeit allein fuer die Software-Lizenz mit mindestens 300000 Mark jaehrlich zu Buche.

Die P/390-Karte liefert IBM ab dem ersten Quartal 1996 mit dem neuen MVS-Betriebssystem aus, das unter dem Namen "OS/390" auf den Markt kommt. "Mit der neuen Systemsoftware wird die Kommunikation mit Workstations verbessert", erklaert Juergen Ley, IBM- Produktexperte fuer MVS. Das Betriebssystem hat einen neuen Kernel erhalten und integriert rund 25 Einzelprogramme. Alte MVS- Anwendungen sollen ohne Probleme auch unter der neuen Software ablaufen.

OS/390 soll den in Deutschland rund 1000 (weltweit 10 000) installierten S/390-Systemen neben einfacherer Installation auch neue Funktionalitaet verschaffen. Neben MVS koennen auch Unix- Anwendungen ablaufen. IBM bemueht sich derzeit um das X/ Open- Branding und erfuellt nach eigenen Angaben die Spec-1170-Norm. Eingehalten werden auch die Standards Distributed Computing Environment (DCE), Distributed File System (DFS) und Network File System (NFS) fuer die Kommunikation ueber unterschiedliche Netzwerke hinweg, sowie TCP/IP zusaetzlich zu SNA. Bei der Objektorientierung setzt IBM auf Corba.

Der neu angekuendigte "Internet Connection Server" fuer Grossrechner erlaubt den Plug-and-play-Anschluss von S/390-Systemen an das Internet. Sicherheitsmechanismen aus der Mainframe-Welt sollen vor unbefugtem Zugriff schuetzen. Ausserdem sollen Multimedia- Anwendungen wie etwa Video on demand moeglich sein. "Damit kann ein System/390 als Video-Server Hunderte von Workstations simultan mit Videosequenzen beliefern", erklaert MVS-Experte Ley zukuenftige Einsatzfelder.

OS/390, das die Datumsumstellung fuer das Jahr 2000 bereits beruecksichtigt, soll im ersten Quartal 1996 verfuegbar sein und danach etwa alle sechs Monate ueberarbeitet werden. Nach IBM- Angaben wird der Preis fuer die Software niedriger sein als die Wertsumme der integrierten Einzelprogramme.

Die ueberarbeitete Systemsoftware sieht Dieter Bierbrodt, Marketing-Leiter fuer Grosssysteme bei IBM in Deutschland, als weitere Massnahme, um den Mainframe als Anwendungs- und Netzwerk- Server in verteilten Umgebungen zu positionieren. Bei der Hardware erfolgte der Durchbruch 1994, als die CMOS-Prozessortechnik auch bei den Rechenboliden eingefuehrt wurde. Big Blue kann momentan die Nachfrage nach solchen Grossrechnern kaum befriedigen und muss der Kundschaft Lieferzeiten von drei bis sechs Monaten zumuten. Das liegt einerseits an der verringerten Produktionskapazitaet - in den Jahren der grossen Mainframe-Flaute wurden Kapazitaeten abgebaut - und andererseits an den Produktionsproblemen eines Zulieferers.

Derzeit verzeichnet IBMs Mainframe-Division ein jaehrliches Wachstum von rund 50 Prozent, gemessen in installierten Leistungseinheiten, und erzielt damit nahezu konstante Umsaetze. Das verdeutlicht die Situation, in der sich IBM und andere Mainframe-Anbieter befinden: Steigende oder zumindest gleichbleibende Rechenleistung bei einem drastischen Preisverfall.

So ist der Preis fuer ein Mips Leistung eines Mainframes vom Typ S/390 von rund 170000 Mark im Jahr 1990 auf zirka 30000 Mark in diesem Jahr gesunken. Gleichzeitig durchlief der Absatz installierter Leistungseinheiten zwischen 1991 und 1993 einen deutlichen Abwaertstrend. Bierbrodt macht als Gruende dafuer die gesamtwirtschaftliche Flaute in diesem Zeitraum aus sowie den Trend zur Abkehr vom Mainframe, der unter dem Schlagwort "Downsizing" durch die Unternehmen geisterte.

Deshalb wertet es der IBM-Mann als Erfolg, dass der Umsatz mit S/390-Systemen seit 1994 konstant gehalten werden konnte. Erstmals 1994 installierte IBM mehr Leistungseinheiten als 1991, das als Basis (1991 = 1) fuer die internen Berechnungen genommen wird (siehe Grafik). Fuer 1995 erwartet IBM eine Steigerung auf 1,9, also fast eine Verdoppelung der installierten Rechenknoten, und fuer 1996 prognostiziert man einen Wert von 2,9.

Auch fuer die Nachfrage nach mehr Mainframe-Rechenpower sieht der Marketing-Manager zwei Gruende: "1994 gab es mit der Einfuehrung der CMOS-Prozessoren bei Mainframes eine technische Revolution im Hardwarebereich, was zu Preisreduzierungen fuehrte. Ausserdem erfuellten sich oftmals die Hoffnungen der Downsizing-Kunden auf Kostensenkungen nicht." So entfallen nach einer IDC-Studie ueber 65 Prozent der Kosten im Midrange-Unix-Markt auf das Personal. Hier glaubt Bierbrodt, mit Mainframes rund 50 Prozent einsparen zu koennen.

Ein weiterer Trumpf, mit dem Mainframes stechen, ist die Verfuegbarkeit. Das Marktforschungsinstitut "International Technology Group" (ITG) errechnete eine durchschnittliche achtprozentige Ausfallzeit im Jahr bei PC-LAN-Strukturen, waehrend es heutige Mainframes auf eine Verlaesslichkeit von 99,9 Prozent braechten. Ausserdem, so der IBM-Mann, sei die Sicherheit bei Mainframes allein schon durch organisatorische Massnahmen wie die Datensicherung gewaehrleistet.