Der Einsatz von Kleinrechnern in Großunternehmen verändert die Informationsstruktur:

Mit Mikros traditionelle DV-Konzepte ablösen

11.05.1984

Im Bereich der Informationstechnologie vollzieht sich insbesondere in Großunternehmen derzeit die Entwicklung, miniaturisierte, hochleistungsfähige Hardware einzusetzen. Traditionelle Aufgaben von Büro oder Textverarbeitungssystemen werden in steigendem Maß von Mikrocomputern übernommen. Die Rechenzwerge werden heute zum Teil schon bei Anwendungen eingesetzt, die noch vor wenigen Jahren Großrechner bewältigen mußten. Für den DV-Leiter bedeutet dies, neue Integrationskonzepte zu erarbeiten, um durch den Einsatz der Mikros den Zentralrechner zu entlasten, eine effiziente Kommunikationsstruktur aufzubauen und dadurch die Fachabteilungen dichter an die Datenverarbeitung heranzuführen.

In den Unternehmen vollzieht sich gegenwärtig ein Wandel in den Organisationsstrukturen. Der Faktor Informationsverarbeitung bekommt immer größere Bedeutung, was mittlerweile auch vom Topmanager der Unternehmen erkannt wird. Die herkömmlichen Strukturen, die die Eingliederung der Datenverarbeitungsabteilung, der Nachrichtenabteilung und der Organisationsabteilung betreffen, eignen sich nicht mehr, den steigenden Anforderungen an eine wirtschaftliche Informationsverarbeitung gerecht zu werden. Ansätze sind in den Unternehmen vorhanden, um dieses wichtige Instrument in den Griff zu bekommen. Konzepte wie Informationsmanagement, Informationscenter, lokale Netzwerke, Einsatz von Mikrocomputern und neue Kommunikationsdienste zeigen den Trend.

In vielen deutschen Unternehmen drückt der Schuh der zentralen Datenverarbeitungsabteilung vor allem bei folgenden Problemen:

- Die zentralen Rechenanlagen sind oft zu langsam für viele bildschirmorientierte Anwendungen.

- Das zu verarbeitende Datenvolumen steigt enorm an.

- Es gibt immer komplexere Zusammenhänge der Daten untereinander.

- Die Fachabteilungen fordern mehr Rechnerleistung am Arbeitsplatz.

- Die Fachabteilungen fordern mehr Softwareentwicklungsleistungen.

Diese Probleme werden meist gelöst durch

- den Einsatz von mehr, größerer und schnellerer zentraler Hardware,

- die Erhöhung der verfügbaren Plattenspeicherkapazitäten,

- den Aufbau von Datenbanken,

- mehr Bildschirmgröße in den Fachabteilungen und

- den Einsatz von Softwarewerkzeugen.

In zunehmendem Maße planen die Unternehmen, diese bestehenden Probleme durch Mikrocomputer in den Fachabteilungen zu lösen. Dabei kommt der Verbindung von zentraler Hardware und Mikrocomputern besondere Bedeutung zu.

Im Rahmen eines strategischen Gesamtkonzeptes ist von dieser Mikro-Mainframe-Verbindung vor allem zu fordern, daß der Mikrocomputer sich wie ein vorhandener Bildschirm am Großrechner verhalten muß (Terminalemulation). Es muß die Möglichkeit bestehen, Dateien zwischen Mikro und zentraler Datenverarbeitung zu übertragen (Filetransfer). Zudem sollte ein direkter Zugriff des Mikrocomputers auf einzelne Daten einer zentral verwalteten Datenbank möglich sein (Feldtransfer).

Während die Terminalemulation technisch gesehen keine großen Probleme mehr aufwirft, läßt der Komfort bezüglich des Filetransfers noch sehr zu wünschen übrig. Das Ausfiltern einzelner Daten ist zum Teil noch nicht realisiert. Diese Form des Datenaustausches setzt Anpassungen der Betriebssysteme und der Systemsoftware in den Zentralrechnern voraus.

Die größten Chancen beim Einsatz von Mikrocomputern aus der Sicht der Datenverarbeitungsabteilungen in den Großunternehmen liegen eindeutig bei "herstellereinheitlichen Lösungen". Damit ist gemeint, Mikrocomputer oder Mainframe-Rechner kommen vom gleichen Hersteller.

Die Hersteller von Mikrocomputern und Großrechnersystemen sollten also die Lösungsmöglichkeiten für Rechnerkopplungen verständlich machen und damit den DV-Managern die Angst nehmen, der Mikro könne mit dem Zentralrechner nicht zusammenarbeiten. Diese Aufklärung bietet sich durchgängig an, auch wenn es noch keine konkreten Forderungen gibt, den Mikrocomputer in jedem Falle anzuschließen. Das Problem der Terminalemulation wird sich bis Ende 1984 erledigen. Die Filetransfermöglichkeiten werden zunehmend komfortabler, so daß sie voraussichtlich ebenfalls noch in diesem Jahr professionell eingesetzt werden können. Der Zugriff auf Datenbestände in Feldebene wird noch zwei bis drei Jahre auf sich warten lassen, denn hierbei ist es notwendig, daß nicht nur der Mikrocomputer den Hostrechner kennt, sich also auf Timesharing und Terminalemulation zurückziehen kann, sondern, daß der Host (also das Betriebssystem und die Software des Host) für den Mikrocomputer Kommunikationsschnittstellen anbietet, die auf Schichten oberhalb der Softwaredriver liegen.

Die Voraussetzungen der Hostrechner gehen davon aus, daß am Ende einer V.24-Schnittstelle ein Mensch zu finden ist - mit all seinen Schwächen, Daten einzugeben oder Daten aufzunehmen. Befindet sich am anderen Ende ein Rechner, so ergeben sich veränderte Anforderungen für Übertragungsgeschwindigkeiten und bei Abhandlung der Hand-shake-Prozeduren. Datensicherung, Downloading, Front-end- und Back-end-Anschluß können mit Übertragungsgeschwindigkeiten von 4800 Baud oder 9600 Baud nicht sinnvoll realisiert werden. Hier ist Software notwendig, die echte Rechner-Rechner-Kopplungen bearbeiten kann.

Gebrauch von Standardsoftware

Die derzeit angebotenen Mikrocomputer arbeiten mit unterschiedlichen Betriebssystemen. Am meisten haben sich die Betriebssysteme MS-DOS, CP/M-86 und Unix durchgesetzt. Obwohl ein Trend zum Betriebssystem Unix zu beobachten ist, können die Mikrohersteller sich nicht erlauben, nur dieses Betriebssystem einzusetzen. Mit den bestehenden Betriebssystemen MS-DOS und CP/M-86 gibt es eine große Zahl von Standard-Softwarepaketen, die Voraussetzung für die Vermarktung des Mikrocomputers im großen Stil. Diesen Softwarebereich kann ein Hersteller nicht links liegen lassen. Eigenentwicklung auf dem Sektor der Arbeitsplatzrechner durch den Softwarezuwachs wird nur schwer möglich sein. Daher werden in der nächsten Zeit auf den gängigen Mikrocomputertypen alle drei Betriebssysteme verfügbar sein.

80 bis 90 Prozent der Mikrocomputeranwendungen in den Fachabteilungen der Großunternehmen sollten über Standardsoftware abgewickelt werden, wobei gleich ist, ob diese Standardsoftware vom Mikrocomputerhersteller, vom Softwarehaus oder im eigenen Unternehmen entwickelt wurde. Fachabteilungen sollten nicht programmieren, wobei mit dem Wort "programmieren" der Gebrauch von prozeduralen Sprachen (Cobol, Fortran, PL/1) gemeint ist. Der Einsatz von Reportgeneratoren, von Query-Systemen, Spread-sheets oder etwa Multiplan und Visicalc gehört in den Bereich der nicht-prozeduralen Sprachen, dem großen Anwendungsfeld der Fachabteilungen.

Beratung und Ausbildung der Fachabteilungen stellt im allgemeinen für den Hersteller im Verhältnis zu dem Profit beim Verkauf eines Mikrocomputers einen zu großen Aufwand dar. Prinzipielle Probleme aber wie Anschluß eines Mikros an den Großrechner, Einsatz unterschiedlicher Betriebssysteme oder die Kombination verschiedener Standardsoftware, stellen eine Angelegenheit zwischen Hersteller und Zentralstelle eines Unternehmens dar. Eine solche Zentralstelle sollte als Informationscenter in der Datenverarbeitung aufgebaut werden und zur Aufgabe haben, den Kontakt zu den Herstellern im Bereich Rechnermöglichkeiten wie auch den Kontakt zur Fachabteilung für Ausbildung, Einweisung und Nutzung von Mikros und Standardsoftware aufrechtzuerhalten und zu nutzen.

Schafft eine Fachabteilung einen Mikrocomputer an, so liegt das Risiko höchstens darin, daß die Kosten, die hierfür ausgegeben worden sind, vielleicht in den Sand gesetzt werden; empfiehlt die Datenverarbeitungsabteilung, also die Experten im Bereich der gesamten Informationsverarbeitung, einen bestimmten Mikrocomputertyp, wiegt eine solche Entscheidung sehr viel schwerer.

Die Mikros werden die Datenverarbeitungslandschaft, die Informationsstruktur und die Strukturorganisation in den Unternehmen (Organisation, Datenverarbeitung, Nachrichtentechnik) in wesentlichen Punkten verändern. Das geschieht aber nicht durch verschiedene Spielarten von Mikrorechnern, sondern durch deren generellen Einsatz im Unternehmen. Welcher Typ verwendet wird, bleibt für die großen Veränderungen unerheblich. Stellt sich der EDV-Leiter bei Beantragung von Mikrorechnern den Fachabteilungen in den Weg, ist dies ein Zeichen, daß er sich mit dem Thema noch nicht genügend beschäftigt hat. Die Entscheidung muß fallen, um nicht in den Fachabteilungen Wildwuchs zu erzeugen. Wenn sie dann getroffen wurde, ist es die Aufgabe der Datenverarbeitung, im großen Stile Mikrorechner einzusetzen.

Genau hier liegt eine Chance für die DV, Probleme wie Rechnerkapazitätsengpässe, Responsezeiten, Rechnerauslastungen, Softwarestau der zentralen Datenverarbeitung zu beheben und ebenfalls eine große Chance für Mikrocomputer, Standardsoftware und nicht-prozedurale Systeme. Die Fachabteilungen werden auch in Zukunft nicht das Know-how besitzen, auf der Ebene der Programmierung in Cobol, Fortran oder Basic EDV-Systeme zu entwickeln. Die Mitarbeiter, die sich diese Fähigkeiten erworben haben, wandern in zunehmendem Maße in die EDV-Bereiche. Wie sich der EDV-Leiter vom Herrscher über alle Rechner zum Koordinator der verschiedenen Datenverarbeitungswerkzeuge und Informationsverarbeitungsgeräte wandeln muß, wird sich der Sachbearbeiter in den Fachabteilungen ändern müssen. Er wird selbständiger in der Nutzung der Datenverarbeitungssysteme. Er wird durch nicht-prozedurale Sprachsysteme wie Querys, Report- und List-Generatoren, Multiplan, Spread-sheets, Kalkulationsprogramme, Geschäftsgrafik, lokale Mikrocomputer und Datenbanken in der Lage sein müssen, seine Probleme direkt zu bearbeiten. Denjenigen Fachabteilungen, die bereits zusammen mit Datenbanksystemen und Query-Abfragesprachen des Zentralrechners über Bildschirmgeräte verfügen, haben zuerst die Gelegenheit mit Mikrorechnern im großen Stil einzusteigen. Denn sie sind geübt und gewohnt, sich mit dem Computer konzeptionell auseinanderzusetzen. Der einfache Buchhalter, der Lagerverwalter, der Kostenrechner und das allgemeine Verwaltungspersonal werden wohl auch in nächster Zukunft nicht den großen Boom im Einsatz von Mikrorechnern in großen Unternehmen auslösen.

Software in der Krise

Voraussetzung für die Verringerung der "Softwarekrise" bedeutet vor allen Dingen den Einsatz von unmodifizierter Standardsoftware. Nicht die Software sollte sich den bisherigen Arbeitsabläufen anpassen, sondern die Mitarbeiter an die Software.

Als Mikrocomputer-Standardsoftware sind hier besonders zu nennen:

- die Kalkulationsprogramme

- die Textverarbeitung

- Geschäftsgrafik

- Datenbanksysteme

- Entwicklungssoftware/Tools.

Während die genannten Programmsysteme heute meist unabhängig vom Zentralrechner arbeiten, werden sie demnächst mit Datenbeständen versorgt werden müssen, die aus dem integrierten DV-System der zentralen Datenbank kommen.

Klassische DV-Arbeitsgebiete wie Lohn und Gehalt, Finanzbuchhaltung und Materialwesen werden auch in naher Zukunft in Großunternehmen nicht auf Mikrocomputer verlagert, da die umfangreichen Datenbestände und die benötigten Mengen an Druckausgaben für derzeitige Mikros noch Probleme darstellen.

Vor allem jedoch die Nutzung von "Standardwerkzeugen" gilt als geeignetes Mittel, um aus der Softwarekrise herauszukommen. Die gute Benutzerführung und ausgezeichnete Dokumentation sind dabei entscheidende Kriterien für den Einsatz.

Hauptsächlich liegt der Nutzen in

- der Entlastung der zentralen DV-Anlagen

- der Reduzierung des Softwareentwicklungsaufwandes,

- der Anwendung der Softwarewerkzeuge direkt durch die Fachabteilungen und

- der Realisierung der neuen Kommunikationsmöglichkeiten.

Ohne Verbindung von Mikrocomputer und Mainframe in Großunternehmen allerdings ergeben sich für die Zukunft nur geringe Verbesserungen durch Mikros.

Informationskonzept

Einen weiteren Komplex stellen mögliche Veränderungen innerhalb von Unternehmen dar, um ein strategisches Konzept zum Aufbau des Informationswesens erstellen zu können. Dabei sollen

- Aufbau einer Informationsstruktur,

- Neuorganisation der Unternehmensstruktur in den Bereichen Datenverarbeitung, Nachrichtentechnik und Organisation,

- Neuverteilung der Aufgaben bezüglich der Informationsverarbeitung,

- Festlegung der Betriebsmittel zur Informationsverarbeitung und

- Erstellung von Richtlinien zum Einsatz von DV-Systemen in Betracht gezogen werden.

Zum Aufbau einer Informationsinfrastruktur gehört ein Informationsartenkatalog mit Angabe der Beschaffung der Daten, der Verteilung, der Art der Aufbereitung und der Speicherung ebenso wie der Vereinheitlichung sich ähnelnder Daten bestände. Die Unternehmen müssen dazu übergehen, in ihrer Informationsverarbeitung Rahmenpläne, strategische Ziele, Entwicklungskonzeptionen zu erarbeiten. Dabei ergibt sich in der Datenvereinheitlichung ein Arbeitsaufwand, der sicherlich nicht in kürzester Zeit bewältigt werden kann.

Um den Stein ins Rollen zu bringen, könnte schon ein eindeutiges Statement von der zentralen DV, welcher Mikrocomputer, welches Betriebssystem unterstützt, dahin führen, daß im Unternehmen bereitwilliger Mikrorechner eingesetzt werden. Dann ist die Linie, vorerst jedenfalls, klar. Der DV-Leiter hat mit seiner Stellungnahme den Weg gewiesen. Welcher Mikro und welche Systemlösung im einzelnen ausprobiert wird, ist dabei für die Fachabteilungen nicht entscheidend. Die Erfahrung der DV-Abteilungen mit einzelnen Mikrocomputern können bei der Entwicklung von Systemkonzepten helfen. Für einen Rechner, der etwa die Betriebssysteme MS-DOS, CP/M-86 und Unix anbieten kann, ergibt sich das Problem der Einschränkung aus der Sicht der Systemsoftware nicht mehr. Das Problem der Rechner-Rechner-Kopplungen wird dagegen nicht so schnell abzuhandeln sein. Dieser Fragenkomplex muß aber nicht gelöst werden, bevor Mikrorechner ins Haus kommen; hier sind die Wege parallel weiterzuverfolgen.

* Lutz Ockert ist DV-Leiter bei der Thyssengas GmbH in Duisburg.