Staerken vor allem in der Kommunikationsfaehigkeit und Erweiterbarkeit

Mit Microsofts Windows NT werden die Karten im Netz neu gemischt

23.04.1993

Im Oktober 1988 begann Dave Cutler, vorher bei Digital Equipment verantwortlich fuer die Konzeption des Betriebssystems VMS, bei Microsoft eine Mannschaft aufzubauen, deren Aufgabe es war, ein neues Betriebssystem zu entwickeln. "Unsere Ziele", so Cutler damals, "beinhalten Portabilitaet, Sicherheit, Posix- Uebereinstimmung, Kompatibilitaet, skalierbare Performance (Multiprozessor-Support), Ausbaufaehigkeit und einfache laenderspezifische Anpassung." Heute, ueber vier Jahre spaeter, laeuft im Zusammenhang mit diesem Produkt der bisher wohl groesste Betatest einer Softwarekomponente.

Ein Betriebssystem muss zwei Kriterien erfuellen

Ein Betriebssystem muss in erster Linie zwei fundamentale Kriterien erfuellen. Zum einen hat es die Hardware "gebrauchsfertig" zu machen. Zweitens ist es seine Aufgabe, die Ressourcen fuer den Anwender zugaenglich zu machen, etwa den Prozessor. Windows NT bewerkstelligt diese Aufgabenstellung als Multitasking-Betriebssystem mit vom System her definierten Prozessen, von denen jeder mindestens einen "Thread of execution" erhaelt. Die Vorteile eines Multitaskings fuer Single-User-Systeme liegen auf der Hand: So kann beispielsweise gleichzeitig ein Text bearbeitet werden, waehrend ein anderer gedruckt wird. Jeder Prozess erledigt seine spezifischen Aufgaben und laeuft fuer den Anwender simultan ab.

Ein wesentlicher Teil der Funktionalitaeten von NT liegt in der Aufteilung der internen Ablaeufe in einen Client und ein Subsystem. Die NT-interne Kommunikation zwischen beiden bietet dem Anwender eine Plattform, um Win32-, DOS-, 16-Bit-, Windows-, Posix- und OS/2-APIs nutzen zu koennen. NT ist also ein Betriebssystem, das es ermoeglicht, Applikationen, die fuer andere Plattformen entwickelt wurden, einzusetzen. Vorteil: Eine derartige Verlagerung der API in separate "Server" schuetzt vor Kollisionen und erlaubt die einfache Portierung weiterer APIs.

Fuer die Vernetzung mit NT bedeutet dies, dass fuer den Anwender kein Unterschied zwischen lokal und remote gestarteten Applikationen besteht. Jede Client- Anfrage wird vom Executive-Teil des Kernels aufgenommen und von dort in ein internes oder externes Subsystem weitergeleitet.

Ein weiteres Feature ist die symmetrische Multiprozessor- Unterstuetzung. So kann die Performance des Rechners weitgehend proportional zur Anzahl der eingesetzten CPUs veraendert werden.

Der Unterschied zum asymmetrischen Multiprozessing ist dabei, dass ein Prozessor das Betriebssystem sowie die Ein- und Ausgabeperipherie verwaltet, waehrend ein anderer die User-Threads steuert.

Beim symmetrischen Multiprozessing werden hingegen das Betriebssystem sowie die User-Threads inklusive der Devices von allen Prozessoren verwaltet. Lediglich die Nutzung des Systemspeichers erfolgt bei allen Prozessoren simultan. Generell kann NT in zwei Bereiche unterteilt werden: Den User-Mode-Bereich (das geschuetzte Subsystem) und den Kernel (vgl. Abbildung 1). Die einzelnen Subsysteme, auch Server genannt, verfuegen innerhalb dieser Architektur ueber keine direkte Zugriffsmoeglichkeit auf die Hardware. Auf diese Weise sind Systemabstuerze durch Softwarefehler ausgeschlossen. Zwar kann ein einzelnes Subsystem durch fehlerhafte Applikationen zum Absturz kommen, dies bleibt jedoch ohne Einfluss auf andere aktive Prozesse.

Ein weiterer wichtiger Bestandteil ist der Hardware Abstraction Layer (HAL), der als einzige Schnittstelle zur Hardware fungiert. Konsequenz dieser Konzeption: Kernel und Subsysteme sind komplett Hardware-unabhaengig. Fuer die Anwendungsentwicklung ergibt sich hieraus die Moeglichkeit, dass NT-Applikationen ohne Umstellungen portierbar sind. Der "NT Executive" setzt sich aus einer Reihe von Komponenten zusammen, die fuer sich wiederum in Systemservices und interne Schnittstellen unterteilt werden koennen.

Trotz dieser neuen Features praesentiert sich NT dem Anwender - mit der Ausnahme kleiner Aenderungen - nicht mit neuer Oberflaeche, sondern lediglich in Form des bekannten Windows-Presentation- Managers mit den zusaetzlichen Moeglichkeiten der 32-Bit-, OS/2- und Posix-APIs. Anwender, die das Netzwerk-Betriebssystem LAN Manager fuer OS/2 von Microsoft oder das schon 1984 vorgestellte "MS-NET" kennen, werden daher bereits bei der Installation eine Gleichheit der Oberflaechen feststellen.

Aber auch intern hat Microsoft mit der Weiterverwendung der bereits in MS-Net eingesetzten SMBs (Server Message Block) als Protokoll zwischen Redirector und Server die Kommunikation mit aelteren Systemen sichergestellt. SMB von NT bietet daher eine an die Faehigkeiten des Betriebssystems angepasste Vielfalt in bezug auf das NT-I/O-System sowie die Sicherheits-Features und ist dennoch abwaertskompatibel.

Darueber hinaus wurden die Funktionen von Redirector und Server beibehalten. Aufgrund der Layertechnik von NT ist der Server als Datei-Systemtreiber implementiert. Hierdurch hat der Server als Teil des NT-Executives direkten Zugriff auf den NT-Cache-Manager, um eine entsprechend hohe I/O-Transferrate zu ermoeglichen. Der Redirector stellt den Netzzugriff (von einem Subsystemum und startet ueber den Kernel des lokalen Rechners die Anfrage an den Server.

NDIS-Architektur in Windows NT implementiert

Gleichzeitig wurde die Architektur NDIS (Network Driver Interface Specification) weiterentwickelt und in NT implementiert. Auf diese Weise ist es moeglich, unterschiedliche Transportprotokolle unabhaengig von der eingesetzten Netzwerk-Karte zu nutzen, da NDIS eine Schnittstelle zwischen Hardware (Netzwerkadapter) und Transportprotokoll darstellt. Zudem wird ueber eine weitere Schnittstelle, den Transport Driver Interface (TDI), erreicht, dass auch Redirector und Server unabhaengig vom eingesetzten Transportprotokoll arbeiten (vgl. Abbildung 2).

Der Redirector ist somit nicht mehr auf die Kommunikation mit einem Protokoll eingeschraenkt, sondern kann simultan unterschiedliche Protokolle nutzen. Die derzeitige Version (Beta III) von NT beinhaltet die Protokoll-Stacks Netbeui, DLC und TCP/IP. Von Microsoft und anderen Anbietern sind ferner IPX/SPX-, Decnet-, Appletalk- sowie XNS-Stacks in der Entwicklung.

Bedingt durch diese Vielseitigkeit sowie die Schnittstellen NDIS und TDI kann der Anwender von seiner NT-Umgebung aus mit nahezu jedem Netzwerk kommunizieren, ohne dabei ueber Informationen bezueglich der remote eingesetzten Protokolle verfuegen zu muessen. Gerade an dieser Stelle ist jedoch die Frage nach der Administration und Bedienung berechtigt. Speziell fuer diese Belange hat Microsoft die Vorteile der grafischen Benutzeroberflaeche optimal genutzt. So ist mit einfachen Mauskommandos ein Protokoll zu installieren, zu starten und fuer den Anwender einheitlich zu bedienen. Die Moeglichkeiten der Local Security tun hierzu ein uebriges. So kann beispielsweise der lokale Rechner derart konfiguriert werden, dass der Anwender selbst keinen Zugriff auf diese Kontrollfunktionen hat.

Abgesehen von typischen Kinderkrankheiten in der aktuellen Betaversion ist Windows NT somit ein Produkt, das in der Kommunikation derzeit deutliche Alleinstellungsmerkmale aufweist, die jedoch primaer auf der Server-Seite zum Tragen kommen. Zumindest fuer den Standard-Arbeitsplatz zeigt sich das 32-Bit- System ueberproportioniert. Auch die Tendenz, dass bestimmte Funktionen im Netz zentral steuerbar sind oder zentral bearbeitet werden, spricht fuer einen vorwiegenden Einsatz von NT als Server. Deshalb ist ein Vergleich zu Netware 3.11 von LAN-Marktfuehrer Novell durchaus naheliegend - ein Vergleich, dem NT, bezogen auf seine Funktionen, durchaus standhaelt.

Die Verwaltung aller Netzdienste durch NT ermoeglicht eine dynamische Anpassung der Systeme an die entsprechenden Forderungen. So kann jeder Service temporaer gestartet oder gestoppt werden, beispielsweise die Zuschaltung eines Logging- Mechanismus ueber den Service Eventlog, um die Vorgaenge im Netz zu protokollieren. Ueber Features wie Backup, Datensicherheit, Plattenspiegelung und weitere technische Highlights verfuegen beide Systeme.

Ohnehin laesst sich eine detaillierte Gegenueberstellung beider Loesungen erst realisieren, wenn das erste offizielle NT-Release vorliegt. Novell kann auf jeden Fall aufgrund der relativ langen Netware-Historie auf einen groesseren Third-party-Support verweisen. Darueber hinaus verfuegt Netware mit seiner Verbreitung im Markt auch ueber ein sehr gutes Supportangebot und damit ueber ein Standing, das sich das neue Microsoft-Produkt erst noch erarbeiten muss.

Als eine geradezu ideale Netzumgebung stellt sich NT jedoch im Zusammenwirken mit dem DOS-basierten Windows for Workgroups (WfW) dar. Beide Systeme sind nicht nur von der Oberflaeche her nahezu identisch, sondern auch fuer eine Vernetzung aufeinander abgestimmt.

So laesst sich beispielsweise in dieser Konstellation ein zentrales Backup auf dem Server mit den lokalen Daten der einzelnen Arbeitsplaetze realisieren. Diese Art der "Peer-to-peer"-Vernetzung mit gleichzeitiger Nutzung eines High-end-Server-Systems wird mit Sicherheit ein starkes Argument fuer den Einsatz von NT sein.

Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass mit NT auch eine neue Technologiestufe in der Vernetzung realisierbar ist. Es bleibt abzuwarten, ob sich die technischen Moeglichkeiten auch im Alltagsbetrieb werden durchsetzen koennen und ob ein derartiges High-end-Betriebssystem fuer Kommunikationszwecke ueberhaupt grossflaechig eingesetzt wird. Schon jetzt befinden sich jedenfalls erste Erweiterungen in Betatests, darunter Microsofts Advanced Server, SQL Server und SNA-Services. Auch andere Hersteller wie Netmanage und Microdecisionware haben bereits die Testphase fuer eine ganze Reihe von Connectivity-Produkten fuer NT eingelaeutet.

Zudem enthaelt NT, aehnlich wie WfW, alle fuer die Vernetzung von PCs als Workgroups erforderlichen Komponenten. Dadurch kann der gemeinsame Zugriff auf Festplatten und Peripheriegeraete sowohl von WfW-Arbeitsplaetzen aus als auch von Umgebungen mit anderer Netzsoftware ohne weitere Komponenten realisiert werden. Diese NT- internen Netzdienste bieten somit eine vollstaendige Funktionalitaet fuer das Betreiben eines LANs.

Non-dedicated-Server als Resultat einer neuen Plattform? Sicher bietet NT durch das Zusammenspiel geschuetzter Subsysteme die Voraussetzungen dieser Einsatzfelder der Kombination von Server und Arbeitsplatz. Dennoch ist NT keine Alternative zu Artisofts Lantastic oder WfW. Das Peer-to-peer-System im 32-Bit-Mode von NT ist, realistisch betrachtet, als Anforderung ueberproportional zum Nutzen einzuschaetzen. Dennoch dokumentiert sich gerade in diesem Punkt die Kommunikationsfaehigkeit und Erweiterbarkeit von NT.

Die von Microsoft in juengster Zeit oft herausgestellten Faehigkeiten von NT vermitteln einen ersten Eindruck davon, dass das NT-Networking nicht nur das Zusammenspiel von PCs ermoeglicht. Vielmehr machen die in NT enthaltenen Features in puncto Kommunikation und Vernetzung deutlich, dass Netzfunktionalitaet aus Sicht von Microsoft mittlerweile zum Standardrepertoire eines PCs beziehungsweise einer Workstation gehoert. Somit haette nicht nur die Leistungsfaehigkeit der Hardware die Netze, sondern vor allem auch die Netze die Einsatzgebiete der Hardware veraendert.

Die Entscheidung pro oder kontra Netzwerk-Betriebssystem ergibt sich aus der Summe der Forderungen an die Kommunikation. Nicht die Plattenspiegelung oder die Performance, sondern die Bandbreite aller Features hat Novell zum fuehrenden Anbieter im LAN- Softwaremarkt gemacht. Gefragt sind also keine Inselloesungen mit Tools, sondern die Faehigkeiten zur Verbindung heterogener Strukturen.

Offene Architektur als Konkurrenz zur Netware

Die offene Architektur von Microsoft wird hier aller Voraussicht nach ein ernstzunehmender Konkurrent fuer das proprietaere Netware werden. Darueber hinaus sorgen die Connectivity-Optionen zwischen Netware- und NT-Umgebungen fuer zusaetzliche Chancen der Strategen in Redmond, in puncto Marktanteil Boden gut zu machen.

Blickt man ueber den Tellerrand eines blossen Systemvergleiches hinaus, haben die Mannen um Bill Gates ohnehin mit einer grossen Palette an Moeglichkeiten im Workgroup-Computing sowie der Erweiterung des Advanced Servers im technischen Bereich die Nase vorn. Class C2 level security, Trusted Domains, Portierbarkeit und weitere NT-Features waren bisher Fremdworte fuer den PC-Anwender, erst recht das stichwortorientierte Netzwerk-Betriebssystem. Hinzu kommt der Erfolg von Windows.

Betrachtet man also ausschliesslich die Produktseite, koennte Microsoft nach seinem Erfolg im PC-Betriebssystem-Sektor sowie bei den Oberflaechen und Applikationen jetzt auch im Networking dem Marktfuehrer ernsthaft Paroli bieten.

Integrationsfaehigkeit entscheidet ueber Erfolg

Allerdings wird wohl kaum ein Grossanwender sein Netzwerk- Betriebssystem aufgrund technischer Neuerungen oder Erweiterungen gegen eine neue Loesung austauschen - zumindest nicht, ohne dabei die damit verbundenen Aufwendungen zu kalkulieren. Kostenfaktoren wie etwa die Ausfallzeiten bei Umstellungen, Mitarbeiterschulungen, Hardware-Erweiterungen und Second-level- Support haben hier - um nur einige Parameter zu nennen - in vielen Faellen einen hoeheren Stellenwert als die technische Innovativitaet von Produkten; "Never touch a running system" steht oft im Gegensatz zu technischen Neuerungen. Nicht zuletzt wird daher die Integrationsfaehigkeit zu bereits vorhandenen Umgebungen kurzfristig ausschlaggebend fuer den Erfolg von NT sein.

*Eckhard Klockhaus ist bei der Duesseldorfer Microware GmbH verantwortlich fuer den Bereich DV-Management & Beratung.

Abb. 1: NT gliedert sich in den User-Mode-Bereich und den Kernel. Quelle: Klockhaus/Microware

Abb. 2: OSI-Modell und Windows-NT-Netzkomponenten. Quelle: Klockhaus/Microware