Anwenderschulung/Unternehmen stärken Eigenverantwortung der Mitarbeiter

Mit Lernen im Netz zum lernenden Unternehmen

14.11.1997

Die heutigen und zukünftigen Anforderungen an betriebliche Bildung lassen sich mit traditionellen Mitteln allein nicht mehr bewältigen. Um dem ständigen Wandel und den höheren Qualifikationsanforderungen gerecht zu werden, müssen Unternehmen Weiterbildung zeitlich und örtlich flexibler gestalten. Dazu ist es notwendig, permanent sein Wissen auszubauen und stärker mit der Praxis zu verknüpfen.

Vernetztes Lernen als neue Form der Wissensvermittlung garantiert allein noch keinen Erfolg. Denn nicht alles, was via Netz transportiert wird, hat auch Qualität. Die Vorteile fruchten nur, wenn bestimmte Anforderungen erfüllt sind:

- Die Inhalte: Die angebotenen Lerneinheiten müssen modular aufgebaut und flexibel nutzbar sein, damit der Lernende je nach Bedarf und Niveau auswählen kann. Didaktik und Methodik haben dem Medium zu entsprechen; dazu gehört auch ein benutzerfreundliches Screen Design.

- Die Organisation: Weiterbildungsstellen bieten die Lerneinheiten auf dem Trainings-Server an, so daß der Mitarbeiter leicht darauf zugreifen kann. Der Lernende darf nicht alleingelassen werden; er sollte zwischen Selbstlernen, Einzel- oder Gruppen- unterricht wählen und Kontakt zu seinem Trainer sowie anderen Kursteilnehmern aufnehmen können. Empfehlenswert ist, Wissen und Erfahrungen zu dokumentieren und in einer Wissensdatenbank bereitzustellen.

Die Trainer: Ihre Aufgabe ist es, fachlich und pädagogisch die Zusammenarbeit der Teilnehmer und den Lerntransfer zu unterstützen. Gleichzeitig fungieren sie als Berater und Wissens-Manager. Da an diese Lernorganisatoren weitgehend neue Anforderungen gestellt werden, brauchen sie eine spezielle Ausbildung.

- Die Technik: Für den Teilnehmer ist es optimal, wenn er sowohl asynchrone (Brief, Fax, E-Mail) als auch synchrone (Telefon, Videokonferenz) Kommunikationsmöglichkeiten nutzt. Der Vorteil der synchronen Kommunikation liegt darin, daß eine sofortige Auskunft möglich ist, sofern man den Gesprächspartner erreicht. Ein Pluspunkt der asynchronen Kommunikation: Jeder Teilnehmer entscheidet, wann er Zeit und Ruhe hat, die Nachricht zu bearbeiten. Der einzelne Teilnehmer bestimmt, welche Kommunikationsform die jeweils angemessene ist; dabei spielt sicherlich auch der Kostenfaktor eine Rolle.

Individuelle Betreuung durch Online-Trainer

Online-Training bietet dem Lernenden mehr Gestaltungsmöglichkeiten. Im Netz eignet sich der Mitarbeiter Wissen und Informationen (inter)aktiv an, indem er auf verschiedene Quellen zugreift, etwa auf den Trainer oder auf Lerneinheiten. Letztere können Audio- und Videosequenzen, Softwaresimulationen, Grafiken, Animationen oder Textdokumente sein. Über Diskussionsforen ist darüber hinaus ein Erfahrungsaustausch, zum Beispiel mit mitlernenden Kollegen, möglich. Interaktives Lernen im Netz fördert somit den Wissensaustausch. Kenntnisse und Erfahrungen einzelner Mitarbeiter werden zum nachvollziehbaren Unternehmenswissen auf allen Ebenen. Die Vision des lernenden Unternehmens mit eigenverantwortlichen und teamfähigen Mitarbeitern bekommt auf diese Weise Konturen.

Lernen im Netz ist in mehrfacher Hinsicht von Vorteil

- Unabhängigkeit vom Ort: Lernen und Informieren kann am Arbeitsplatz ohne aufwendige zusätzliche Hard- und Softwarelösungen erfolgen. Damit läßt sich auch jener Teil der Belegschaft erreichen, der keine Zeit hat, mehrtägige Seminare zu besuchen.

- Praxisnähe: Lernen geschieht an konkreten betrieblichen Pro- blemen in übersichtlichen Trainingseinheiten. Wissen auf Halde, das nicht angewendet wird und schnell veraltet, wird nicht an- gehäuft. Statt dessen ermöglicht die individuelle Betreuung durch einen Online-Trainer den häu- fig vernachlässigten Praxistransfer.

- Effektivität: Selbst erarbeitetes Wissen hält länger vor. Lernen im Netz ist attraktiv, da zwischen verschiedenen Lernmedien und -methoden gewählt werden kann. Jeder Mitarbeiter erarbeitet sich die Inhalte individuell. Beschäftigte können jederzeit auf Trainingseinheiten zugreifen, wenn sie Know-how benötigen, oder bei Bedarf die Unterstützung des Trainers in Anspruch nehmen.

- Aktualität: Das in einer Datenbank bereitgestellte Wissen läßt sich jederzeit ergänzen und modifizieren; die Informationen sind also immer aktuell.

- Kostenfaktor: Ausgaben für externe Dienstleister lassen sich reduzieren, Reisekosten entfal- len, Ausfallzeiten gehen zurück. Zu bezahlen ist nur die bearbeitete Einheit und nicht der ganze Kurs.

Zunächst spielt sich Lernen im Netz überwiegend in hausinternen Netzen (Intranets) ab. Doch auch das Internet bietet immer bessere Möglichkeiten, Video und Ton schneller und kostengünstiger zu übertragen. Lernen im Netz erfordert eine spezielle Lernumgebung, wie sie beispielsweise Lotus mit "Learningspace" Release 2 auf den Markt gebracht hat. Das Programm besteht aus sechs Notes-Datenbanken, die verschiedene Zugangsmöglichkeiten erschließen:

- Die Schedule-Datenbank ist eine Übersicht der Kursstruktur. Von dort navigiert der Lernende durch das Angebot und greift auf die modular gegliederten Lerneinheiten zu.

- Das Media-Center enthält alle Lerneinheiten sowie Verweise auf externe Informationsquellen wie das World Wide Web. Der Teilnehmer nutzt es auch als eine Art elektronischen Ratgeber und greift auf die Trainingseinheiten nach Stichworten oder über Volltextrecherche frei zu.

- Im virtuellen Klassenzimmer "Course Room" findet die Interaktion zwischen Teilnehmern und Trainer statt. Hier tauschen sie Informationen aus und arbeiten gemeinsam an Aufgaben.

- Die Profiles-Datenbank sammelt Informationen und Daten über den beruflichen Hintergrund und persönliche Interessen der Teilnehmer und Trainer. Die Angaben der Teilnehmer sind freiwillig.

- Der Assessment-Manager ist ein Instrument für den Trainer, um Tests zu entwickeln, auszuwerten und zu verwalten. Die Tests können den Teilnehmern als Selbstkontrolle oder Abschlußprüfung zur Verfügung gestellt werden.

- Die Konfigurations-Datenbank schließlich dient dem Kurs-Manager dazu, die Zugriffsrechte der Teilnehmer und Trainer zu verwalten.

Ein Beispiel soll das Vorgehen erläutern: Die Firma Berlin Chemie unterhält in ganz Deutschland ein Netz von 300 Pharmareferenten. Da das Unternehmen eine neue Software zur Vertriebsunterstützung und -steuerung einsetzt, sind alle Pharmareferenten dafür zu schulen. Notebooks mit der neuen Software und ein Modem für den Datenabgleich stehen zur Verfügung.

Der klassische Weg sähe nun folgendermaßen aus: Ein externer Dienstleister stellt ein Trainerteam zusammen, das sich in die Materie einarbeitet und die Pharmareferenten einige Tage auf deren Besuchstour begleitet. Nach der Analyse erstellen die Trainer Seminarunterlagen, Trainerleitfäden und Folien. Anschließend finden sich die Pharmareferenten gruppenweise an verschiedenen Standorten zusammen und werden im Rahmen einer dreitägigen Schulung von zwei Trainern in das System eingeführt. Neben den Kosten für die externen Trainer fallen Reisekosten und Ausfallzeiten an.

Die Lernumgebung Lotus Learningspace ermöglicht einen anderen Weg: Die Pharmareferenten erhalten ein vorbereitetes Notebook, auf dem Learningspace installiert ist. Das System begrüßt die Lernenden mit einer Videosequenz, anschließend beginnt die Einführung in das System. Bei der ersten konkreten Tourenplanung stößt ein Pharmareferent auf eine Frage, die er ins Diskussionsforum stellt. Abends wird der Datenbestand abgeglichen, und innerhalb von drei Stunden beantwortet ein Online-Trainer die Frage. Am nächsten Morgen erhält der Pharmareferent die Antwort und möglicherweise auch Anmerkungen anderer Teilnehmer zum Problem.

Bei diesem Modell entfallen Reisekosten ganz, und Ausfallzeiten werden reduziert. Die entstehenden Kosten für den externen Dienstleister lassen sich zudem senken. Nicht zuletzt kommt es durch die Ad-hoc-Unterstützung des Trainingssystems - Lerneinheiten plus kooperativ erarbeitetes Unternehmenswissen - zu weniger Support-Anfragen.

Ob Bildungs-, Personal- oder EDV-Verantwortlicher, ob Trainer oder Mitarbeiter - alle sind gefordert, sich mit den neuen Lerntechnologien vertraut zu machen, um effektiver zu arbeiten. Offenes, vernetztes Lernen fordert von allen Beteiligten ein hohes Maß an Bereitschaft zum organisatorischen Lernen.

Ein innovatives Unternehmen könnte zum Beispiel jedem Mitarbeiter pro Jahr ein bestimmtes Weiterbildungsbudget zuteilen, das dieser selbständig "anlegen" muß. Dabei kann er in die Lernformen investieren, die ihm am besten liegen beziehungsweise für die Lösung seiner Probleme am geeignetsten sind: Online- oder klassisches Training, CBT oder Fachbuch.

Angeklickt

Online-Training gibt dem Lernenden mehr Gestaltungsmöglichkeiten. Im Netz eignet sich der Mitarbeiter Wissen und Informationen interaktiv an, indem er auf verschiedene Quellen zugreift, zum Beispiel auf Lerneinheiten oder einen virtuellen Trainer. Die Firmen Berlin Chemie ist dabei, mit diesen neuen Formen der Wissensvermittlung über das Netz zu experimentieren. 300 Pharmareferenten werden deutschlandweit per Notebook und Modem geschult.

* Jörn Oelze ist Geschäftsführer bei der SPC Computer Training GmbH in Hamburg.