Wissens-Management/Knowledge-Management als Erfolgsfaktor

Mit KM zahlt sich Wissen aus

23.08.2002
Informationen sollen vielfach nutzbar gemacht werden. Um diesen Prozess möglichst einfach zu gestalten, integrieren die Unternehmen mehr oder weniger komplexe Knowledge-Management-(KM-)Systeme in ihr Intranet. Doch was steckt eigentlich hinter dem schwammigen Begriff? Von Gerda von Radetzky*

"Wenn Siemens wüsste, was Siemens weiß." Dieser zum geflügelten Wort avancierte Spruch spornte die Münchner einst an, einen Direktor einzustellen, der die Unternehmenskulturen zusammenführen sollte. Doch der Anspruch, das gesamte Wissen, das in Aktenordnern und Köpfen, auf Datenbanken und Notizzetteln weltweit verstreut bei Tausenden von Mitarbeitern lagert, auf einen Nenner zu bringen, war wohl zu hoch. Inzwischen gibt es in diversen Geschäftsbereichen der AG zahlreiche Projekte zum Wissenstransfer.

KM-Nachfrage wird sich erhöhen

Seit Menschengedenken wird Know-how gesammelt und archiviert, um angezapft werden zu können. Langsam setzt sich im Westen die japanische Unternehmensphilosophie durch, wonach nicht das Volumen des Kapitals, sondern des Wissens über den Erfolg eines Unternehmens entscheidet. Nicht von ungefähr wurde 1997 auf den ersten Knowledge-Lehrstuhl an der Universität von Berkley in Kalifornien der Japaner Ikujiro Nonaka berufen. Er setzt vor allem auf das Mittel-Management als Schaltstelle zwischen oben und unten und bezeichnet "tacit knowledge", schlafendes Wissen, als das entscheidende Kriterium. Nur wenn dies jeder verfügbar mache, könnten neue Produkte und Ideen entstehen. Nicht die Funktion eines CKO - Corporate Knowledge Officer - wie im Westen, der den Fokus meist auf die Messung und das Management des Wissens durch einige wenige lege und daher das Unternehmen zu einer Informationsverarbeitungsmaschine degradiere, sei wesentlich, sondern die Umwandlung von verborgenem in explizites Wissen. Erst das sei im wahrsten Sinne des Wortes wertvoll.

Hierzulande setzt sich mittlerweile die Erkenntnis durch, dass die Einstellung der Unternehmensleitung ausschlaggebend ist. Sie müsse bei der Bestimmung der Parameter mitarbeiten, sie habe die Einführung zu unterstützen, zudem müssten die Mitarbeiter bereit sein, Wissen zu teilen.

Xerox, einer der Hauptsponsoren des Berkeley-Lehrstuhls, legte Ende 2001 die Ergebnisse einer europaweit betriebenen KM-Befragung unter 529 Topmanagern aus der produzierenden Industrie vor. Danach liegen Spanien und Italien mit 68 Prozent implementierten Systemen weit vor Deutschland (48 Prozent), England (37 Prozent) und Frankreich (35 Prozent). Immerhin denken 82 Prozent derer, die noch ohne KM leben, daran, bis 2004 ein System zu integrieren.

Basis ist die Unternehmenskultur

Den "Markt für Knowledge-Management in Deutschland" untersuchte die Meta Group und befragte 201 Anwender. Für 47 Prozent ist KM ein "vollkommen neues Projekt". Die Ergebnisse belegen, dass sich die "Nachfrage nach professionellen Dienstleistungen und Produktlösungen" in puncto KM "drastisch erhöhen" wird. Mehr als die Hälfte der Befragten gehen davon aus, dass Wissens-Management ein kontinuierliches Projekt ist, das "einer stetigen Erweiterung und Pflege" bedürfe.

Und was ist nun mit Wissens-Management? Die Meta-Group-Studie besagt: "Wissens-Management ist ein ganzheitliches Konzept. Der eigentliche Wissensprozess findet auf Basis der Unternehmenskultur statt und wird von Knowledge-Management-Technologien entscheidend gefördert." Damit wird deutlich, dass KM Teil eines IT-Systems ist. Immer wieder zeigte sich auf der Suche nach einer klaren Definition, dass den Verantwortlichen eine inhaltliche Differenzierung von Knowledge-Management, Business Intelligence, Human-Resources-Management, Facility-Management, Workflow-Management und Customer-Relationship-Management "ein wenig schwer fällt".

Eine mehr oder weniger reine Form des KM installierte die Münchner Kanzlei Nörr Stiefenhofer Lutz, die rund 300 Anwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer in zehn Städten von München bis Moskau beschäftigt. Für den KM-Manager Kai Seebacher ist es der "Versuch, auf schlanke Weise mit geringst möglichem Personalaufwand" das teilweise äußerst spezifische Wissen jedem zugänglich zu machen. Auch die quasi "historische Erfahrung" soll nicht verloren gehen, die in den Köpfen und Kellern der Kanzlei-Gründer liegt, die sich in den kommenden Jahren langsam aus dem Geschäft zurückziehen. "Aber", so der Office-Manager der Kanzlei, "ein Anwalt, der Know-how-Bestände aufbereitet, produziert keinen unmittelbaren Umsatz." Innerhalb der Disziplinen waren es die Medienanwälte, welche die Vorteile eines KM-Systems (Convey) zuerst erkannten.

Auf die "Problematik Mensch" weist auch Horst Baumgarten hin. Er leitet das R&D-Information-Management (Verity) der Roche Diagnostics GmbH. Seit sechs Jahren wird stufenweise ein KM-System aufgebaut, das sämtliche Bereiche des Diagnostica-Herstellers umfassen soll: von der Forschung bis zum Vertrieb, mit Vorgaben, wie Prozesse gestaltet und eingehalten werden müssen, mit einem ausgefeilten Qualitäts-Management, das überlebensnotwendig für die Zulassung neuer Produkte ist. "Ein Forscher ist von sich aus neugierig, ein Vertriebsmann will Zahlen", skizziert er die extrem unterschiedliche Motivation, bei einem solchen System mitzumachen - nicht nur Daten herauszuziehen, sondern auch einzugeben. Viele Module entstanden im Haus, ein Redaktionssystem wurde integriert. Mit einer Suchmaschine kann in Hunderttausenden von Dokumenten effizient gesucht werden. Dies setzte voraus, dass die Intranet-Inhalte so strukturiert sind, dass Navigations- und Suchbäume mit Verzweigungen auf den jeweiligen Kontext gebildet werden können. Schnelles, gezieltes Navigieren und Suchen in relevanten Seiten wurde möglich. "Damit erhöhen wir Trefferrate und -sicherheit deutlich; der Anwender kann die Qualität der Treffer wesentlich besser beurteilen als bei unstrukturierten Listen."

Die Struktur des Wissens so abzubilden, dass jeder Mitarbeiter innerhalb seiner Denkmuster damit arbeiten kann, ist für Stefan Störig von der Konzernkoordination Informationstechnik bei der MAN AG ein wesentliches Merkmal effizienten Wissens-Managements. Zum einen müsse dem Suchverhalten entsprochen werden - der eine bevorzuge die Volltextrecherche, der andere orientiere sich lieber an einem Verzeichnisbaum.

Suchbäume für die Sichtweisen

Zum anderen komme man den unterschiedlichen Sichtweisen mit zwei Suchbäumen entgegen: Der Suchende kann sich sowohl an der Organisation des Unternehmens orientieren als auch an Themen. Das Pilotprojekt startete 1998 im Vertrieb, inzwischen greift etwa ein Drittel der rund 30000 Mitarbeiter darauf zu, 2500 Mitarbeiter dürfen Inhalte einstellen. Als Gefahr betrachtet Störig die Vielfalt: "Das System ist sehr stark gewachsen, sehr tief und sehr verzweigt", weshalb die Strukturen intensiv gepflegt werden müssten. Da sich auch die Tools in rasanter Geschwindigkeit ändern, hält er den Kontakt zu den Entwicklern des implementierten Systems von Hyperwave für sehr relevant.

Mit einer kleinen Gruppe startete auch das Wissens-Management bei der Is:energy GmbH. Drei Mitarbeiter der Mehrheitstochter von Eon begannen Anfang 2001, das KM-System von Open Text zu testen. Im August 2001 fiel der Startschuss für die rund 1000 Mitarbeiter an 29 Orten, von Berlin bis Wien. Für das System sprach laut Knowledge-Manager Bertold Merbald, dass es "relativ einfach zu bedienen ist, wenig Schulungsaufwand erfordert und die Einstiegsmaske am Aufgabengebiet der Anwenders orientiert, also personalisiert werden kann". Für die Verzeichnisse wurden möglichst Namen gewählt, die nicht eine Organisationseinheit, sondern ein Thema repräsentieren. Der Folder heißt dann nicht OM, wie sich der Geschäftsbereich offiziell nennt, sondern "Marketing & Vertrieb", denn "das hat in aller Regel auch nach einer Umorganisation weiterhin Gültigkeit". Die höchste Nutzungsfrequenz sieht er für das Projekt-Management, bei Geschäftsführungs- und -bereichssitzungen und in Vertrieb und Marketing, die niedrigste im kaufmännischen Bereich, da dort am wenigsten projektbezogen gearbeitet werde. Als wesentliche Vorteile nennt er Volltextsuche, Dokumentversionierung und Reduktion der "Anlagen-Schickerei" per E-Mail, denn die koste Zeit und Server-Kapazität. Damit der eine weiß, was der andere ins System gestellt hat, kann sich jeder einen Report einrichten, in den dann automatisch Nachrichten über Neueingestelltes zu seinem Arbeitsgebiet einlaufen.

Im Prinzip sind die Voraussetzungen bei kleinen und mittleren Unternehmen für ein KM-System eher gegeben als bei Global Playern. Der Chef bleibt in der Regel über Jahre hinweg derselbe, Hierarchien sind flach, Informationsketten kurz, Personalstrukturen überschaubar. Wissen wird informell untereinander weitergegeben.

Dennoch waren es die weltweit agierenden Consultants, die von ihrem Wissen leben. Andersen Consulting, Booz Allen & Hamilton, Cap Gemini Ernst & Young oder Pricewaterhouse- Coopers erkannten den Markt zuerst und sind heute Partner der Hersteller von KM-Software. Dazu gehört auch KPMG. Das Haus implementierte bei Siemens Financial Services ein KM-Portal auf Basis von Autonomy, um ein weltweit integriertes Netzwerk für den globalen Wissensaustausch zu erhalten.

Dass das Wissen der Mitarbeiter Kapital ist, darin sind sich die KM-Anwender einig - auch darin, dass die Technik nachrangig ist. Dazu die Meta Group: "Die KM-Funktionen sind nur Mittel zum Zweck, um den Wissensprozess zu beschleunigen." Und der Erfolg? Benjamin Franklin meinte vor 250 Jahren: "Eine Investition in Wissen bringt die besten Zinsen." (bi)

*Gerda von Radetzky ist freie Journalistin in München.

RoI-Prognose

Auf die Frage nach dem Return on Investment (RoI) von Knowledge-Management-Systemen kann nur seriös antworten, wer mindestens über das gesamte Instrumentarium des IT-Controllings verfügt. Eine weniger fundierte, aber dennoch einleuchtende Auskunft indes kann ein populärer Vergleich liefern. Nahe liegend ist die Parallele zu der Einführung des Handys. Vor fünf Jahren hat kaum eine Firma Mobiltelefone finanziert, heute bekommt mindestens jeder Servicemitarbeiter eines - offenbar rechnet es sich.

Hersteller von Knowledge-Management-Software - eine Auswahl

Unternehmen / Produktname / Software lauffähig auf Betriebssystem / Implementierung / Mindestanzahl Endnutzer / Kosten / Referenzen (Auswahl)

Autonomy Deutschland GmbH, Hamburg / Autonomy Server, Autonomy Update Active Knowledge / HP-UX, MS Windows 2000/NT, Sun Solaris, Linux, Unix-Derivate / Mehr als 130 Partner weltweit (VARs, Integratoren, Technologiepartner)/ 100 / Auf Anfrage / Babcock, Deutsche Bank, Ericsson, General Motors, Henkel, Infineon, Siemens, Financial Services

Convey Information Systems GmbH, München / Wissensdatenbank, Know-how- Datenbank / MS Windows NT/2000 / Convey / 20 / Ab 500 Euro/Nutzer / Bundeswehr, Deutsche Post AG, Kanzlei Nörr Stiefenhofer Lutz, Messe Köln

Hummingbird Fulcrum Technologie GmbH, Oberursel / Hummingbird KM / MS Windows NT/2000 / Hummingbird, Partner, Kunde / 50 / Ab 400 Euro/Nutzer; als System ab 20 000 Euro/zirka 50 Nutzer / AOK Bayern, Bayerische Landesbank, Robert Bosch GmbH

Hyperwave AG, München / Knowledge Suite / HP-UX, IBM AIX, Linux, MS Windows NT/2000, Sun Solaris / Hyperwave, Partner / 100 / Ab 300 Euro/Nutzer, je mehr Nutzer, desto billiger (bis <100 Euro/Nutzer), plus Support und Consulting / Audi, Bode Chemie, EADS-M, FAG Kugelfischer, LBS Bayern, MAN, McCann-Erickson, Siemens ICN, Telekom Austria

Open Text GmbH, München / Livelink 9.1 / HP-UX, MS Windows NT/2000/XP, Sun Solaris, Unix / Open Text, Partner / 50 / Ab 100 000 Euro / AOL, Audi, Is:energy, Münchener Rück, Siemens, T-Systems, TUI, UBS, Victoria Versicherung

Pironet NDH AG, Köln / Pirobase / Plattformunabhängig / Pironet NDH, Partner / 50 / Ab 55 000 Euro/CPU / AXA, Basell, Cap Gemini Ernst&Young, HP, Merck, Merz, Metro, Sony

United Planet GmbH, Freiburg im Breisgau / Intrexx 2002 / MS Windows NT/2000 / Kunde selbst, Vertriebspartner / 5 / Ab 70 Euro/Nutzer; je mehr Nutzer, desto billiger (bis 34 Euro/Nutzer) / Diageo Deutschland, Kantonsspital Baden/Schweiz, OSI International Foods, S.Oliver, Stadtverwaltung Göttingen

USU AG, Möglingen / USU Knowledge Miner / MS Windows NT/2000 weitere auf Anfrage / USU / 50 / Ab 900 Euro/Nutzer; je mehr Nutzer, desto billiger (bis <100 Euro/Nutzer) / Alpine, Börse Stuttgart, Festo, Fiducia, Volkswagen

Verity Deutschland GmbH, Großostheim / K2 Enterprise / HP, IBM, AIX, Linux, MS Windows NT/2000 Sun Solaris, Unix / Verity, Consulting- Partner / 300 / Ab 70 Euro/Nutzer; ab 50 000 Euro/System / ABB, Allianz, BASF, BMW, Commerzbank, ENBW, Henkel, Merck, Ministerium für Umwelt, Roche Diagnostics, Spardat

Bei der Einführung von Knowledge-Management-Systemen fließt rund die Hälfte des Budgets externen Dienstleistern zu. In einer Befragung der Meta Group sagten mehr als die Hälfte der Unternehmen, die KM-Systeme planen oder bereits eingeführt haben, Dienstleistungen seien ihnen wichtiger als Produkte.