Konsortium errichtet Satellitenstation in Paris

Mit Europace wandelt auch die Weiterbildung auf neuen Wegen

15.06.1990

Via Satellit kommt das Wetterbild, via Satellit kann man nach Neuseeland telefonieren. Via Satellit läßt sich aber auch lernen. Die Wissensvermittlung über den Umweg durch den Weltraum liegt im Trend: schnell, aktuell und relativ billig wird so Know-how von Spezialisten für Spezialisten übertragen. Europace ist ein europäisches Paradebeispiel dafür.

In Amerika ist man - wie üblich - in diesen Dingen schon etwas weiter, aber Europa holt auf. Zum Beispiel mit dem europäischen Bildungsprogramm Europace: European Programme of Advanced Continuing Education. Wer sich darunter allerdings eine Art Telekolleg aus dem dritten Fernsehprogramm vorstellt, liegt falsch.

Europace ist das gemeinsame Kind von zwölf High-Tech-Unternehmen Europas, die in Sachen innerbetrieblicher Fortbildung an einem Strang ziehen wollten. Zu dem Konsortium gehören etwa Philips, Thomson, IBM, Hewlett-Packard, Digital und die British Telecom. Denn alle diese Firmen stehen vor dem Problem, ihre Mitarbeiter auf dem neuesten Stand der Technik zu halten: Kontinuierliche Fortbildung tut not, will man konkurrenzfähig bleiben. Zum einen bieten sich hier Fortbildungsreisen, Seminare und Workshops an. Das kostet ziemlich viel Geld und auch eine Menge Zeit. Die andere Möglichkeit ist, für die Mitarbeiter den Lehrer ins Haus zu holen. Warum nicht via Satellit?

Und in der Tat: Das ist das Rezept, dem die Fachleute eine große Zukunft bescheinigen. Es gibt ja nicht nur Europace, wenngleich dieses Projekt das umfassendste ist. Auch auf anderen Satelliten tummeln sich Bildungsprogramme. Zum Beispiel über "Olympus" sendet die Fernuniversität in Hagen eines aus. Ab Dezember dieses Jahres wird der Himmelskörper "Astra" ein Programm unter dem Titel "Kanal E" abstrahlen; die Schirmherrschaft übernimmt dabei die EG-Kommission, die auch den Anstoß gegeben hat für Europace.

Zwischen Kompetenzzentren und Entwicklern

Technisches Wissen veraltet schnell. Selbst frisch diplomierte Hochschulabsolventen befinden sich nicht unbedingt auf dem Stand der Technik - Experten sprechen von einer "Halbwertszeit des Wissens" von drei Jahren. Die High-Tech-Unternehmen sind daher auf ständige Auffrischung angewiesen. Bei Europace hat man sich die Vermittlung zwischen den "Kompetenz-Zentren", wo die Experten sitzen, und den Entwicklungslabors der Industrie zur Aufgabe gemacht.

"Wir wollen die besten Fachleute", erklärt Dr. Herbert Stein, bei IBM in Mainz Koordinator für Europace. Und die werden auf folgende Weise rekrutiert: Nachdem sich die Programm-Beiräte (es gibt für die sechs Themenschwerpunkte bei Europace jeweils einen) auf ein Kursprogramm geeinigt haben, suchen sie den geeignetsten Dozenten dafür. Wissenschaftler, die sich in bestimmten Bereichen profiliert haben, finden sie an Universitäten und Hochschulen in ganz Europa. Aber auch bei der Deutschen Bundespost lassen sich Spezialisten für einige Themen anwerben. Professoren der Technischen Hochschule in Darmstadt entwickelten einen Kurs über Mikroelektronik, der via Europace ausgestrahlt wurde. Freilich, bevor ein Kurs im Detail konzipiert wird, müssen die zwölf Europace-Sponsoren ermitteln, ob überhaupt ein spezifischer Bedarf besteht. Erst dann bekommen die Programm-Beiräte grünes Licht.

Angebot gilt im Grunde für jeden

Europace ist nicht darauf ausgerichtet, Gewinn zu erzielen. Für die Zwölf - auf dem Weltmarkt oft scharfe Konkurrenten - ist das Bildungsprogramm eine kostendeckende Investition in die Zukunft. Und die richtet sich im Grunde an alle, denn Europace steht nicht nur den zwölf Sponsoren zur Verfügung. Schon die technische Infrastruktur dieses in ganz Europa zu empfangenden Angebots verdeutlicht die offene Konzeption: Wer teilnehmen will, braucht neben der Erlaubnis der Pariser Europace-Zentrale ein Minimum an Elektronik: Satellitenschüssel, Konverter, Monitor, Videorecorder und - wenn möglich - ein Fernkopierer sind die Grundausstattung. Damit kann man die Signale von Eutelsat I-F2 ins Haus holen.

Allerdings ist diese Art der Wissensvermittlung eine Einbahnstraße: Die "Schüler" - meist erfahrene Techniker und Wissenschaftler - können ihrerseits den Dozenten nur bedingt ansprechen, etwa über Telefon oder Fax. Spontane Zwischenfragen muß man sich verkneifen. Um die Interaktion von Lehrer und Schüler zu verbessern, entwickelte Europace ein computergestütztes System mit der Bezeichnung Pacecom, das freilich etwas mehr Aufwand erfordert als die Minimallösung.

Bei Pacecom arbeitet jeder Schüler an einem eigenen Computer. Über Datex-Leitungen der europäischen Telekommunikations-Gesellschaften sind die Rechner mit dem Dozenten verbunden - das Ganze ist einer Mailbox nicht unähnlich, bei der der Sysop (System Operator) selbst an der Konsole sitzt. In der Praxis hat sich allerdings herausgestellt, daß die eingeschränkte Kommunikation kein Lernhindernis ist. Herbert Stein: "Es ist viel effektiver, noch offene Fragen am Ende der Sitzung gebündelt via Pacecom zu stellen". Die Kandidaten gehen jedoch nicht unvorbereitet in die Satelliten-Schule. Zu jedem Seminar oder Kurs gibt es Lernunterlagen, die in der Regel in englischer Sprache abgefaßt sind. Außerdem muß der jeweilige Dozent noch einige Monate nach dem Ende der Fortbildung den Teilnehmern Rede und Antwort stehen, falls sie noch später Fragen haben.

Die Europace-Sponsoren haben sich in ihren Niederlassungen eigene "Locations" eingerichtet: Das sind Unterrichtsräume, die mit der erforderlichen Technik ausgerüstet sind; in ihnen kann - wie bei IBM - ein firmeninternes "Distance Learning" via Breitband-Kabelnetz veranstaltet werden.

Die Zentrale von Europace hat ihren Sitz in Paris. In der Nähe der französischen Hauptstadt befindet sich die Bodenstation, von der aus das Programm seit der ersten Testphase 1988 während bestimmter Tageszeiten an Eutelsat I-F2 gesendet wird. Der Satellit selbst kann von jedem Ort Europas angepeilt werden. Die Pariser Zentrale ist für die professionelle Gestaltung der Kurs- und Seminar-Beiträge zuständig, ebenso wird die finanzielle Seite dort geregelt. Dort versucht man, auch kleineren Unternehmen entgegenzukommen. Nachdem Europace eine Non-Profit-Organisation ist (die zwölf Sponsoren zahlen in einen gemeinsamen Topf ein), geht es zunächst einmal nur um kostendeckendes Wirtschaften.

Freilich - wer glaubt, er könne per Satellit eine Art Elektronik-Bastelkurs für Fortgeschrittene absolvieren, der täuscht sich. Ein Auszug aus dem Europace- Themenkatalog: Optische Datenübertragung und Glasfaser-Breitband-Netze, Gallium-Arsenid-Monolithic-Microwave-ICs, neuronale Netze, Opto-Elektronik etc. Grundsätzlich gibt es bei Europace sechs sogenannte Skill-Bereiche: Telekommunikation, künstliche Intelligenz und Expertensysteme, Software-Engineering, moderne Produktionstechnologien und schließlich Technologie-Management.

Die Akzeptanz ist durchaus befriedigend

Die Akzeptanz von Europace, erklärt Herbert Stein, sei durchaus befriedigend. Mehr als 450 Kurse und Seminare gingen seit dem Start über den Satelliten. Dabei offenbare sich in der Bundesrepublik ein Ungleichgewicht: Während die Anbieter, die Dozenten der "Kompetenz-Zentren", unverdrossen Beiträge lieferten, seien die Abnehmer auf der anderen Seite noch zögerlich. Aber das soll anders werden: In die Datenbank "WIS" des Deutschen Industrie- und Handelstages wird das Europace-Bildungsangebot eingespeist. So sollen auch mittelständische Unternehmen auf den Satelliten-Trichter kommen.