Groupware und Workflow/Groupware und Workflow im Umbruch

Mit der Integration verschwimmen die Grenzen

12.03.1999
Die Grenzen zwischen Workflow- und Groupware-Techniken verwischen ebenso wie ihre Unterschiede zu Messaging- und Internet-Produkten. Auch klassische betriebswirtschaftliche Systeme folgen diesem Trend. Michael Wagner unternimmt den Versuch, die noch existenten Unterschiede innerhalb des breitgestreuten Spektrums an Workflow-Techniken aufzuzeigen.

Die klassische Grenze zwischen Groupware- und Workflow- Systemen hat sich in jüngster Zeit deutlich verschoben. Die Hersteller von Groupware haben ihre Produkte mit mehr Workflow- Funktionalität ausgestattet und verfolgen zudem eine zunehmende Internet-Orientierung. Auf der anderen Seite erfahren Workflow- Produkte eine Spezialisierung: Sie werden gleichzeitig mit Internet-fähigen Benutzer-Schnittstellen ausgestattet und teilweise mit Groupware-Systemen integriert.

Diese Trends implizieren einen Bedarf an höherer Integration der Technologien, sie sind gleichzeitig als Indiz für die Konsolidierung des Markts zu werten. Während sich die Nachfrage stärker an Standards orientiert, suchen die Hersteller nach neuen Unterscheidungsmöglichkeiten und Alleinstellungsmerkmalen für ihre Produkte.

Zu den klassischen Groupware-Produkten, die auf Basis von Messaging-Systemen entwickelt wurden beziehungsweise das Messaging als integrierten Bestandteil einer umfassenderen Anwendungsarchitektur verstehen, gehören der Branchenprimus "Lotus Domino/Notes" sowie die Nummer zwei und drei im Markt, "Microsoft Exchange" und "Novell Groupwise".

Exchange läßt sich als ein mit Groupware-Funktionen ausgestattetes Messaging-System bezeichnen. Ausgehend von den Erfahrungen mit den "MS-Mail"-Vorläufern von Exchange, hat Microsoft das Produkt konsequent auf den X.400-Messaging-Standard ausgelegt und nachträglich um das Internet-Messaging-Protokoll SMTP (Simple Mail Transfer Protocol) erweitert.

Exchange bietet über den zugehörigen Windows-Client zusätzliche Groupware- und Workflow-Funktionen an. Eine Hierarchie öffentlicher Verzeichnisse ermöglicht die gemeinsame Nutzung von Informationen, deren Änderungen sich zwischen verschiedenen Standorten austauschen lassen. Der eingebaute Formular-Editor ermöglicht die Nutzung vordefinierter Workflow-Funktionen innerhalb von formularbasierten Anwendungen.

Die Beschränkung auf einen vordefinierten Workflow wie "Weiterleiten", "Eskalation" und "Wiedervorlage" ermöglicht zum einen den schnellen Entwurf von Anwendungen, bedingt auf der anderen Seite allerdings auch einen hohen Entwicklungsaufwand, wenn die gewünschte Vorgangsbearbeitung nicht mit den vorgegebenen Bedingungen auskommt. Über leistungsfähige Zusatzprodukte, die umfassendere Workflow-Funktionen zur Verfügung stellen, läßt sich dieser Aufwand in vielen Fällen umgehen.

Auf der Seite der Internet-Integration bietet Exchange einen Browser-basierten Zugang zum Messaging, das in allen wichtigen Bereichen unterstützt wird. Die Groupware- und Workflow-Funktionen werden allerdings nur in den Grundfunktionen unterstützt und sind allenfalls mit zusätzlichem Entwicklungsaufwand auch über Web- Browser anwendungsspezifisch nutzbar.

Einen anderen Ansatz verfolgt Lotus mit den Produkten "Domino Server" beziehungsweise "Notes Client", deren Funktionen weitgehend auch über Web-Browser einsetzbar sind. Die auf ein gemeinsames Nutzen von Informationen ausgelegte Groupware verfügt über Messaging- und Workflow-Funktionen, die ihrerseits Bestandteil der umfassenden Werkzeuge für die Anwendungsentwicklung sind. Die Workflow-Unterstützung beschränkt sich allerdings auf programmiertechnische Basisfunktionen, die in der Entwicklung erst zu einer konkreten Anwendung umgesetzt werden müssen. Entsprechend breit ist das Angebot an Zusatzprodukten, die eine umfangreichere Workflow-Funktionalität ergänzen.

Die Internet-Integration des Domino-Servers stellt einen Großteil des Look and feel sowie der Funktionalität von Notes-Anwendungen über automatisch generierte HTML-Seiten auch in Web-Browsern zur Verfügung. Dennoch zwingen Detailunterschiede zwischen Notes- und Internet-Anwendungen zu einem höheren Entwicklungsaufwand im Web- Umfeld und erst recht in einer kombinierten Umgebung.

Die neben den zwei Großen im Markt weit abgeschlagene Groupwise- Software von Novell arbeitet ebenfalls Messaging-orientiert und bietet auf dieser Grundlage vorgegebene Workflow-Funktionen sowie eine begrenzte Internet-Integration. Auch hier gilt, daß Anwendungen, die über die Grundfunktionen hinausgehen, nur mit erheblicher Zusatzarbeit möglich sind.

Auf die Entwicklungen im Groupware-Markt reagieren die Hersteller klassischer Workflow-Systeme unterschiedlich: Sie bauen die Grundfunktionen ihrer Lösungen aus, spezialisieren sich auf den Workflow diverser Branchen, integrieren ihre Produkte mit den beiden großen Groupware-Systemen und setzen auf das Internet in Form von Browser-fähigen Schnittstellen.

Traditionsbranche gerät unter Druck

Unter Druck gerät die traditionelle Workflow-Branche allerdings nicht nur im unteren Leistungsspektrum aufgrund von Groupware und deren Add-ons. Seitens geschäftskritischer Anwendungen drängen inzwischen auch die Hersteller betriebswirtschaftlicher Systeme mit Zusatzmodulen in den Workflow-Markt.

Bestes Beispiel hierfür ist SAP mit der für R/3 angebotenen Business-Workflow-Komponente. Allerdings orientieren sich derartige Funktionen in der Regel an den betriebswirtschaftlichen Grundstrukturen der Standardsoftware. Hinzu kommt, daß die Entwicklung von Workflow-Anwendungen für diese Systeme üblicherweise mit einem hohen Aufwand verbunden ist und sich deshalb weitgehend auf die Automatisierung von Routineabläufen beschränkt.

Die Internet-Einbindung dieser Pakete steht zum großen Teil noch am Anfang ihrer Entwicklung, so daß in manchen Fällen der Umweg über Groupware beziehungsweise klassische Web-Anwendungs-Server genutzt wird. Insbesondere die Integration von R/3 mit Lotus Domino zeigt allerdings auch das Dilemma dieses Vorgehens.

Notes spricht keinen R/3-Workflow an

Während sich Domino für die Darstellung und Nutzung von SAP- Funktionen über das Internet sehr gut einsetzen läßt, ist die Integration auf der Workflow-Seite beschränkt. Die umfassenden Workflow-Funktionen von R/3 können von Domino aus nicht angesprochen werden, so daß man in der Groupware einen eigenen Workflow entwickeln muß. Entsprechend aufwendig gestaltet sich die Implementierung von systemübergreifenden Veränderungen der Abläufe.

SAP-Konkurrenten wie Baan, J.D. Edwards, Oracle und Peoplesoft verfügen über eigene Internet-Integrationen oder arbeiten an entsprechenden Entwicklungen. Zeichen setzt in diesem Bereich der US-Hersteller Lawson, weltweit die Nummer fünf der Branche: Die Lawson-Software ist durch die Verknüpfung mit der jüngsten Domino- Version in ihrem vollen Funktionsumfang über das Internet bedienbar und nutzt unmittelbar die Workflow-Funktionen von Domino.

Zusätzliche Konkurrenz ist den Workflow-Systemen in jüngster Zeit durch die weitere Entwicklung der Internet-Technologien gewachsen. Im Bereich des Messaging-orientierten Workflow haben sich Internet-Standards wie SMTP durchgesetzt, die allerdings keine allumfassende Lösung, sondern nur den kleinsten gemeinsamen Nenner darstellen und darüber hinaus teilweise nicht vollständig in den Produkten implementiert werden.

Die Grenzen der Internet-Standardisierung zeigen sich im für Workflow-Systeme wichtigen Message-Tracking. Die Rücksendung von Zustellbestätigungen beziehungsweise die Verfolgung von E-Mails wird von vielen Internet-Mail-Systemen nicht oder nur unvollständig durchgeführt. Sie lassen sich daher auch nicht für die Workflow-Steuerung verwenden.

Ein weiteres Beispiel für die mangelnde Umsetzung der Standards stellt die "Multipurpose Internet Mail Extension" (MIME) und das "Internet Mail Access Protocol" (IMAP) dar. Während E-Mails über MIME um beliebige Attachments erweiterbar sind, soll IMAP für den selektiven Zugriff auf die einzelnen Bestandteile einer auf einem Server gespeicherten MIME-Nachricht dienen. Viele der verfügbaren IMAP-Server implementieren aber lediglich den "Alles-oder-Nichts"- Zugriff auf die MIME-Nachrichten wie der Vorläufer "Standard Post Office Protocol" (POP).

Auch in diesem Fall werden wertvolle Potentiale der Inter- net- Technologien verschenkt, die zwar für den Normalfall von geringer Bedeutung, für Workflow-Systeme aber entscheidend sind.

Positive Beispiele für Internet-Workflow-Systeme bauen in der Regel auf Datenbank-basierten Lösungen auf und kommen nicht selten von Herstellern, die be- reits einige Erfahrung im Bereich Dokumenten-Management via Web gesammelt haben. Einfache Workflow- Funktionen werden dann über Scripting ergänzt. Für komplexe Anwendungen fehlt allerdings oft noch der entsprechende organisatorische Unterbau.

Dieser Mangel einer theoretischen Basis stellt ein Problem dar, an dem derzeit noch die Mehrzahl der rein Internet-basierten Workflow-Systeme und der Group- ware-Add-ons krankt. Die Stärke der etablierten Workflow-Hersteller besteht darin, daß sie die für eine Vorgangsbearbeitung notwendigen Grundlagen, also die Modelle für Organisation, Abläufe und Informationen beherrschen und miteinander verknüpfen.

Durch ein Organisationsmodell lassen sich Aufbau und Struktur einer Organisation unabhängig von der Produktimplementation beschreiben. Darauf aufbauend definiert das Ablaufmodell die konkrete Vorgehensweise für jeden abzubildenden Vorgang - ebenfalls unabhängig von der Technik. Schließlich gibt das Informationsmodell an, welche Informationen innerhalb des Workflow zu verarbeiten sind sowie die dazu notwendigen Steuerungsangaben.

Je nachdem aus welcher Sichtweise ein System entstanden ist, sind klare Stärken und Schwächen bei den Produkten zu konstatieren. So arbeitet etwa Domino weitgehend informationsorientiert, verfügt aber nur über ein rudimentäres Organisations- und kein Ablaufmodell. Vorgänge werden rein programmtechnisch gesteuert. Bei Exchange hingegen ist die Informationsorientierung nur gering ausgeprägt. Ebenso wie Groupwise bietet das Microsoft-Produkt mit seinen vorgegebenen Standardfunktionen zumindest ein rudimentäres Ablaufmodell.

Die rein Internet-basierten Workflow-Lösungen bergen eine Mischung aus stark ausgeprägtem Informationsmodell sowie schwachem Organisations- und Ablaufmodell. Klassische Workflow-Systeme arbeiten dagegen meist ablauforientiert und bieten, wie die um Workflow-Funktionen erweiterten betriebswirtschaftlichen Lösungen oft ein umfassendes Organisationsmodell an. Strukturierte Daten stehen in beiden Systemarten im Vordergrund der normalerweise datenbankbasierten Vorgangsbearbeitung.

Im Idealfall sind die drei Grundfunktionen etwa gleichmäßig ausgeprägt und lassen sich unabhängig voneinander konfigurieren. Diese Qualität erreicht jedoch keines der am Markt verfügbaren Systeme. In der Praxis ist deshalb im Einzelfall zu prüfen, welche Produktausrichtung der geplante Einsatz erfordert.

Angeklickt

Der Trend zur stärkeren Integration von Technik und Produkten wird sich in allen Bereichen des Workflow-Markts ausbreiten. Vor diesem Hintergrund bemühen sich die klassischen Workflow-Anbieter noch intensiver um den Ausbau von Kernfunktionen sowie um die Zusammenarbeit mit den anderen Produktsegmenten. Die Nutzung neuer Technologien wie die des Internet wirkt sich dabei allerdings eher komplementär als diversifizierend aus. Ohne Alleinstellungsmerkmale wird sich jedoch der ohnehin forcierte Verdrängungswettbewerb am Markt für Workflow-Systeme künftig noch mehr verschärfen.

Michael Wagner ist als Berater und Publizist in München tätig.