Anwender trennen sich nur ungern von ihrem Evergreen

Mit der HP 3000 in die Rente: Marmor, Stein und Eisen bricht

07.02.1997

:Wann wird sie ausgedient haben, die Mutter aller HP-Computer? Mit 25 Jahren auf dem Buckel ist die HP 3000 samt ihrem Betriebssystem Multiple Programming Environment (MPE) ein Methusalem der IT, wenn auch ein recht munterer. Denn mit fünf Prozent Wachstum im letzten Geschäftsjahr und 1,2 Milliarden Dollar Umsatz - erst seit 1993 macht HP mit der Serie 9000 mehr Geld - scheint es sich gar nicht um ein Museumsstück zu handeln.

70000 Installationen weltweit lassen auf eine überzeugte Anhängerschaft schließen - oder auf eine mühsame Migration. 35 Prozent der installierten Basis stehen in Europa, etwa sieben Prozent in Deutschland. Vor allem in Fertigungsbetrieben, aber auch für Aufgaben der Logistik, der Vetriebs- und Auftragsbearbeitung, für dialogorientierte Anwendungen und für den Kundenservice sind die Maschinen im Einsatz. In der Regel arbeiten zwischen zehn und 500 Benutzer mit einer HP-3000-Installation. Bei vernetzten Servern sind aber auch bis zu 2000 Anwender möglich.

Die Beliebtheit der alten Haudegen ist vor allem auf die Robustheit ihres (MPE-)Environments zurückzuführen. So bestätigt etwa Gert Kofod, System-Manager der Panasonic Deutschland GmbH, die ihre OLTP-Anwendungen mit HP 3000 bewältigt, die besondere Zuverlässigkeit der Maschinen. Insbesondere im Falle eines Fehlers und der dann anlaufenden Recovery-Funktionen erweise sich das System zudem als äußerst preiswert, verglichen mit ähnlichen Installationen anderer Hersteller, so der DV-Manager.

Paul Blum, IT-Verantwortlicher beim Landratsamt München und Vorsitzender der HP-Benutzergruppe, ist der Überzeugung, daß MPE für viele Einsatzgebiete im Vergleich zu Unix das ausgereiftere und bessere Betriebssystem darstellt. Blum setzt auf MPE-Maschinen als Mehrplatzsysteme und Server in einem Mixed Environment.

Eine kräftige Delle in der Beliebtheit der proprietären Maschinen gab es allerdings Anfang der 90er Jahre, wie die Aberdeen Group feststellt: Offene Systeme, portable Anwendungen und Unix-Datenbanken schienen den IS-Managern attraktiver, als plattform- und herstellerabhängig für die Zukunft zu planen. Damit hatte HP offenbar nicht gerechnet; Irritationen und eine unklare Strategie waren die Folge.

"Customer First", das Motto der HP Commercial Systems Division, schien ausgehebelt zu sein, als massive Gerüchte umgingen, die HP-3000-eigene Datenbank "Image" werde künftig nicht mehr weitergepflegt. Die heutigen Äußerungen einer HP-Sprecherin, dies seien damals Mißverständnisse gewesen, dienen wohl eher der nachträglichen Schadensbegrenzung. Image jedenfalls existiert weiter, samt SQL-Integration, Gateway zu Oracle-Datenbanken und 4GL-Tools.

HP wußte Anfang der 90er Jahre anscheinend nicht so recht, wie die MPE-Umgebung zu positionieren sei, auch gegenüber der Konkurrenz im eigenen Haus. In bezug auf die Hardware sind die Maschinen praktisch identisch mit den Unix-Systemen HP 9000 - das gilt auch für den 64-Bit-Prozessor PA 8000, der trotz konträrer Vermutungen für HP 3000 verfügbar sein wird. Multiprozessoren (Acht-Wege-SMP) und Cluster-Lösungen (mit der Systemsoftware "Shareplex/iX") sind ebenfalls für beide Plattformen erhältlich.

Wie also die Linien abgrenzen? Offen versus proprietär? HP versuchte, alle möglichen Botschaften über die 3000er an den Mann zu bringen: "ideal für Client-Server-Computing", "höchste Zuverlässigkeit", "optimaler Datenbank-Server im Unix-Umfeld". Zu viele Botschaften, zu viele Unklarheiten, wie die Aberdeen Group kritisiert.

Der Customer-first-Ansatz war, folgt man Aberdeen, die aus den Wirrnissen resultierende und einzig richtige Strategie - für HP wie für die Kunden. Denn er stellte die Anforderungen der bisherigen Kunden in den Mittelpunkt und setzte auf Dialog. Der Erfolg gibt dem Hersteller recht. HP wäre in der Tat schlecht beraten gewesen, eine Kuh zu schlachten, die noch kräftig Milch gibt. Auch hätte die Company den Aufruhr unter den Kunden wohl nur schwer verkraftet.

Und diese stehen in Treue fest: Nur fünf Prozent der Anwenderunternehmen arbeiten an Projekten, die die komplette Ablösung sämtlicher 3000er zum Ziel haben. Der große Rest ist zufrieden mit integrativen Ansätzen.

Vor allem gemischte Unix- und MPE-Umgebungen sind häufig anzutreffen, aber auch ein Mix mit Microsoft-Backoffice-Servern, also mit Windows NT. Viele Unternehmen - 65 Prozent, schätzt Aberdeen - entwickeln sogar neue Applikationen für MPE, obschon sie eine Multiplattformstrategie verfolgen.

Auf immerhin noch 30 Prozent der installierten Maschinen, so die Analysten, laufen unternehmenskritische Anwendungen - MPE als zentrales Produktionssystem ist noch in. Auch in diesen Fällen sind Monolithen allerdings nicht mehr vorhanden: Die Produktions-Server sind in der Regel umgeben von Applikations-Servern unter Unix.

Denn das Problem der HP 3000 ist nicht das (gar nicht mehr so) proprietäre MPE, sondern liegt eher in überkommenen Anwendungsarchitekturen, wie sie, bedingt durch die Historie der Kunden, massenhaft anzutreffen sind. Über viele Jahre im Einsatz, sind sie naturgemäß zentralistisch organisiert, wie es in der DV-Steinzeit eben so war. Die Folge: Die Systeme werden bis zum Anschlag ausgelastet, arbeiten häufig an der oberen Grenze ihrer Kapazität, wenn kein Anwendungs-Redesign vorgenommen wird, keine Client-Server-Strukturen die Rechenleistung verteilen können.

Daß dies aber inzwischen möglich ist, zeigt das Produktportfolio für MPE: Vor allem die Tools zur Interoperationalität mit anderen Betriebssystemen wie Unix, MVS, NT oder Windows sind hier zu erwähnen. Systemsoftware und Standardprotokolle für Network-Computing, für Datenaustausch und innovative Internet- beziehungsweise Intranet-Lösungen ermöglichen "moderne" Anwendungsverteilung und Heterogenität. Die HP 3000 läßt sich auch als Management-Plattform für eine heterogene Umgebung einsetzen, dank deren Schnittstellen und Openview, das zu MPE/iX kompatibel ist.

Die Migration innerhalb von MPE - von einer alten Version V auf MPE/iX und damit auch von Cisc-Prozessoren auf PA-Risc - scheint relativ problemlos zu funktionieren, da eine weitgehende Abwärtskompatibilität gegeben ist. Anwendungen können im Compatibility-Mode oder neu kompiliert weiterverwendet, Administrationsmethoden beibehalten werden.

Migriert wurde - jenseits der Sorgen, von der Weiterentwicklung ausgeschlossen zu sein - aus Gründen der Performance, die liegt bis um den Faktor 30 höher, wegen der offenen Umgebung von MPE/iX und der daraus resultierenden Möglichkeiten zur Implementierung moderner DV-Elemente und Strukturen wie grafischen Front-ends, Client-Servern etc.

SQL, Openview, Posix, FDDI, Token Ring oder SNA sind nur auf der iX-Erweiterung zu haben, ebenso wie viele Anwendungen und Application-Development-Tools. Vielfach ging das kombinierte Betriebssystem- und Hardware-Upgrade einher mit einer Server-Konsolidierung, die bei deutlich gesteigerter Leistung vor allem geringere Supportkosten implizieren.

Doch aus alt mach neu, aus langsam mach schnell ist eine nur noch selten anzutreffende alleinige Strategie. Vielmehr geht es heute darum, eine plattformunabhängige IT zu schaffen, Datenzugriff quer über alle Systeme zu ermöglichen und Client-Server-Lösungen zu realisieren, mithin flexible Installationen bereitzustellen, die sich an den Bedürfnissen der Unternehmensorganisation orientieren. Die meisten Anwender setzten hierbei eher auf Integration und Koexistenz ihrer 3000er Plattformen als auf eine komplette Migration.

Die ist eigentlich nur dann nötig, wenn Entscheidungen für eine Softwarelösung fallen, die auf dem System nicht verfügbar ist. Hier ist vor allem SAP R/3 zu nennen, das zwar portiert, aber dann nicht angeboten wurde. Paul Blum von der User-Group wundert sich, daß es damals keinen Aufschrei unter den Anwendern gab.

Doch einige leiden schon: Etwa Johann Obermayer von der Rodis Informationssysteme GmbH, München. Obwohl er überzeugt ist, daß Unix teurer, langsamer und komplexer ist als das noch vorhandene MPE, erwägt er eine Teilmigration - eben wegen R/3.

Auch die Festo GmbH in Esslingen hat vor drei Jahren auf SAP gesetzt und mußte von MPE auf Unix migrieren - was sich hardwareseitig schlicht durch den Austausch einer Platine bewerkstelligen ließ. Die deutsche Panasonic-Zentrale in Hamburg, das Unternehmen verwendet weltweite HP-Systeme, wollte eigene Anwendungen entwickeln, und zwar unter Oracle und Unix. Auch hier wurde migriert.

Vielfach praktiziert werden aber eben doch Koexistenz, Integration. 60 Prozent der Serie-3000-Kunden, darunter etwa Metabo oder Rodenstock, arbeiten auch mit Unix. Der Kosmetikproduzent Helena Rubinstein hat neben MPE und Unix auch Windows-NT-Server installiert. Als weitere gewichtige Kunden sind etwa VDO, Audi, die Holsten Brauerei oder der Jeanshersteller Levi's zu nennen.

Kein Problem: Beliebige Hardware im Netz

Auch die Firma Helios Ventilatoren aus Villingen hat ihre Unix-Server in den Bereichen Konstruktion und Labor problemlos in die Branchenanwendung unter MPE integriert. Diese arbeitet sowohl mit Terminals als auch mit PCs als Front-ends. Ein Ethernet-Netzwerk mit den Protokollen Internetwork Paket Exchange (IPX), Network File System (NFS), Advanced Research Projects Agency (Arpa) und TCP/IP verbindet die unterschiedlichen Hardwareplattformen.

Das mittelständische Unternehmen ging konsequent von einer ablaufoptimierten Organisation aus und strukturierte die IT entsprechend um, HP 3000 inklusive. Die Einbindung beliebiger Hardware ins Netz durfte dabei kein Problem sein, so der DV/Org.-Verantwortliche, und das sei mit dem HP-3000-Host auch gewährleistet. Dies ist wohl ein Resultat des C/S-Integrator-Programms, das Hewlett Packard gemeinsam mit Partnern aufgesetzt hat. Teil des Programms ist ein Toolset zur Migration von zeichenorientierten Terminals zu GUI-Clients.

Die Zukunft der 3000er Systeme scheint gesichert, wenn man den Aussagen des Herstellers glauben darf. Für wesentliche Aufgaben der nächsten Zeit scheint die HP-Plattform auch gut gerüstet - so für die Internet-Integration, die Datumsumstellung zum Jahr 2000 oder die Umstellung auf die Euro-Währung.

Internet- und Intranet-Anwendungen können unter MPE ablaufen, eine Java-Runtime-Version sowie Web-Server-Technologie stehen zur Verfügung. Es gibt auch eine Internet-Produktlinie namens Presidium, darunter eine Banking-Anwendung. Der IT-Distributor Actebis wickelt sein Internet-Business mit einem entsprechenden Warenwirtschaftssystem auf HP 3000 ab. Und auch das Rechenzentrum des Internet-Providers Seitz hat das HP-System gewählt.

"MPE ist clean bis ins Jahr 2027", versichert Horst Kanert vom HP-3000-Vertrieb auf die Frage nach der Datumsproblematik. Bis Ende dieses Jahres stünden Lösungen für sämtliche Tools zur Verfügung, um alle alten Anwendungen und Datenbestände abdecken zu können. Auch auf die Euro-Buchführung sei man vorbereitet.

Ein Fragezeichen stehe aber hinter der Prozessorstrategie von HP. Denn ob auf einer zukünftigen Intel-HP-CPU auch MPE laufen, oder PA-Risc als zweite Linie zusätzlich gepflegt werde, stehe beides in den Sternen. Substantielle Aussagen hierzu sind von keinem HP-Manager zu erhalten. Support und Ersatzteillieferungen seien langfristig gesichert, versichert Ivica Juresa, Marketing-Manager Installed Base des Herstellers, in einem Infobrief. Doch verliert er kein Wort über die HP-Intel-Kooperation. Bleibt dem Anwender die Kraft des Glaubens an "his master's voice", hier in der Inkarnation von Horst Kanert: "PA-Risc wird nicht aufgegeben!".

ANGEKLICKT

Geburtstag bei Hewlett-Packard: Seit 25 Jahren gibt es nun das System 3000. Und HP hat keinen Grund zu Sorgen, sondern zum Feiern. Denn Rechner dieser Reihe und ihr - inzwischen von proprietärer Enge befreites - Betriebssystem MPE sind immer noch zu Zehntausenden im Einsatz und sorgen beim Hersteller für reichlich Umsatz. Ermöglicht hat dies wohl auch eine Produktpolitik des Anbieters, die nicht primär auf Ablösung, sondern auf Offenheit und Integration in modernere Umgebungen abhob. Auch für diese Uralt-Systeme besteht allerdings eine Gefahr: Immer weniger Softwarehäuser bringen entsprechende Versionen ihrer Lösungen auf den Markt.

*Manuel Okroy ist freier Journalist in München