Digital schaut in das Auge des Sturms

Mit Alpha-fähigen Systemen und neuer Offenheit beugt DEC vor

17.07.1992

MÜNCHEN/MAYNARD (jm) - Das Jahresergebnis für Digital Equipment steht kurz vor der Veröffentlichung, und Analysten befürchten Schlimmes: Wohl deshalb versucht DEC, mit neuen, auf zukünftige Alpha-Prozessoren aufrüstfähigen Systemen und Posix- sowie X/Open-Offenheit Kritikern und Finanzanalysten den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Für DEC-Verantwortliche dürfte es momentan etwas schwierig sein, sich in vorteilhafter Weise zu verkaufen: Immer müssen sie ihre Unternehmensinformationen nach dem bekannten Witzschema an den Mann bringen, wonach die gute Nachricht die folgende schlechte möglichst optimal abfedern soll.

Über 200 Millionen Dollar Verluste zu erwarten

Die schlechte Nachricht - so rechnen Finanzanalysten im Vorfeld der Veröffentlichung der DEC-Ergebnisse für das Abschlußquartal schon mal hoch - betrifft zu erwartende Verluste für das vierte Quartal: je nach befragtem Wirtschaftsforschungsunternehmen rangieren die Schätzungen zwischen 153 und 210 Millionen Dollar Verlusten (bei 3,5 bis zu 3,6 Milliarden Dollar Umsatz) für das am 30. Juni endende Vierteljahr.

Bereits vor Wochen hatte die Olsen-Company darauf hingewiesen, daß für Restrukturierungs-Vorhaben rund eine Milliarde Dollar an Kosten aufzuwenden seien. In einem kürzlich abgehandelten SEC-Verfahren (Securities and Exchange Commission) offenbarte DEC zudem, daß über diese Summe hinaus in Zukunft weitere 450, möglicherweise sogar bis zu 700 Millionen Dollar für aus sozialen Absicherungsprogrammen entstehende Kosten zu gewärtigen seien.

Diese bittere Pille versucht Digital nun mit umfangreichen Produkt- und Strategieankündigungen zu versüßen: Dreizehn neue VAX-Systeme, die in Zukunft mehr oder weniger aufwendig auf Alpha-Modelle umgemodelt werden können, sollen der VAX-Klientel Investitionssicherheit garantieren (siehe auch Seite 17).

PC-Adepten können, so lassen die Olsen-Leute gezielt durchsickern, sehr frühzeitig im kommenden Jahr auf mit Alpha-Prozessoren bestückte PCs hoffen, die unter dem ebenfalls zu diesem Zeitpunkt erwarteten Windows-NT-System laufen sollen. DEC-Pressesprecherin Theresia Wermelskirchen rückte diese Informationen allerdings in einen passenden Rahmen, indem sie darauf verwies, daß Digital schon immer die Absicht vertreten habe, die Alpha-CPU auf alle Plattformen zu bringen: "Insofern haben wir heute keine gesonderte PC-Ankündigung in Sachen Alpha zu machen."

Hier weiß der Kopf von DECs Alphaprogramm, Robert Supnik, offensichtlich schon mehr. Seinen Angaben zufolge wird ein Alpha-PC nicht nur preislich mit 486-Rechnern und deren Nachfolgern - Intel-P5-bestückten PCs - in einem Atemzug zu nennen sein. Auch das Innenleben soll, abgesehen von der RISC-CPU, mit industrieüblichen Komponenten wie SIMM-Speichern und EISA-Bus-Architektur ausgestattet sein. Dies in Verbindung mit bis zu 256 MB großem Arbeitsspeicher könnte DEC durchaus in den Servermarkt der PC-Systeme katapultieren, schätzt Dataquest-Analystin Laura Segervall.

Jetzt schon auf der Habenseite verbucht der "Minicomputer-Hersteller die Öffnung seines VMS-Betriebssystems durch den XPG-3- und Posix-Ritterschlag, was sich auch in der aktualisierten Namensgebung "OpenVMS" dokumentiert.

Auch Digitals Geschäfts- und Lizenzierungspolitik für das VMS-Betriebssystem und das Datenbanksystem Rdb richtete Olsen neu aus: Ab VMS-Version 5.5 - also OpenVMS - rechnet DEC nicht mehr systemgebunden ab, sondern gestaffelt nach Anzahl der in einem VMS-System arbeitenden Anwender.

Bisherigen VMS-Kunden legte Digital zum Betriebssystem zudem eine Runtime-Version von Rdb bei. Diese Bündelpolitik stellt DEC ein: "Wir wollen dem Anwender keine Überfunktionalität zumuten", erklärt Wermelskirchen hierzu.

Das Versprechen Ready-for-Alpha in bezug auf die jetzt präsentierten VAX-Systeme muß übrigens insofern relativiert werden, als nur die VAX7000- und -10000-Rechner durch Prozessorkarten-Austausch auf den Alpha-Chip transformiert werden können. "Bei den übrigen Rechnern muß die komplette Box ausgetauscht werden", bestätigte Wermelskirchen auf Nachfragen.