Minister pfeift Kabelnetzbetreiber beim Telefondienst zurueck Paris will Multimedia-Projekte mit 500 Millionen Franc foerdern

31.03.1995

Von CW-Korrespondent Lorenz Winter

PARIS - Geht es nach der franzoesischen Regierung, wird das laufende Jahr von einem Aufbruch ins Abenteuer Multimedia gekennzeichnet sein. Von den bei einer Ausschreibung im Dezember 1994 eingereichten 635 Projekten haelt jedenfalls das Pariser Industrieministerium 49 fuer sofort realisierbar. Dabei wird allerdings Minister Jose Rossi entgegen urspruenglichen Erwartungen keine Ausnahmegenehmigung fuer Telefondienste in Kabelnetzen erteilen.

Dem Industrieminister fehlen hierzu nach wie vor die gesetzlichen Voraussetzungen, und es ist nach Ansicht von Insidern auch kaum anzunehmen, dass die franzoesische Nationalversammlung diese noch vor den Parlamentsferien im Sommer in Form einer Novellierung des Fernmeldegesetzes schafft. Bei der Bekanntgabe der Ergebnisse der Ausschreibung widersprach Rossi damit erstmals oeffentlich anderslautenden Aeusserungen eines hohen Beamten seines Hauses.

Bruno Lasserre, Leiter der Generaldirektion fuer das Post- und Fernmeldewesen (DGPT) im Industrieministerium, hatte noch vor einigen Monaten die Forderung der privaten Kabelnetzbetreiber nach Zulassung von Telefon-Diensten auf ihren Networks fuer "berechtigt" erklaert. Bei seinem Vorstoss hatte der Pariser Spitzenbeamte den Kabel-Companies sogar in Aussicht gestellt, entsprechende Ausnahmegenehmigungen noch vor der fuer 1998 beschlossenen Liberalisierung der europaeischen Telecom-Maerkte zu erhalten - und zwar "geografisch begrenzt, zeitlich aber unbeschraenkt". Offenbar handelte es sich bei dieser Ankuendigung aber nur um einen Werbegag, um moeglichst viele Ausschreibungsteilnehmer anzulocken. Jetzt wurde jedenfalls Lasserre von seinem obersten Dienstherrn kurzerhand zurueckgepfiffen.

Vom Veto des Industrieministers betroffen sind insbesondere die Versorgungskonzerne Lyonnaise des Eaux mit ihrer Multimedia- Tochter Lyonnaise Communication (LC) und Generale des Eaux mit der Filiale CGVC. Beide Unternehmen hatten darauf gehofft, ihre wirtschaftlich unrentablen Kabelnetze schon bald zu "Full Service Networks" umruesten zu duerfen und auf diese Weise mit dem lukrativen Telefondienst endlich Geld zu verdienen. LC verfuegt ueber 16 lokale Kabelnetze, die vor einigen Monaten von der staatlichen Depositenkasse uebernommen wurden. Im Zuge angedachter Multimedia-Projekte wollte das Unternehmen nach Erhalt einer Ausnahmegenehmigung in der Region Savoyen ein gemischtes System aus festinstallierten und mobilen Anschluessen testen, ueber das die Benutzer mit einer einzigen universellen persoenlichen Rufnummer haetten kommunizieren koennen.

Die CGVC plante ihrerseits in Nizza gemeinsam mit dem Pay-TV- Sender Canal Plus die Installation des Glasfasernetzes "Riviera". Dort sollten in der Endausbauphase 5000 Abonnenten via ATM-Switch miteinander verbunden werden. Auch Riviera wurde nun aber nach dem negativen Bescheid des Ministers erst einmal vertagt. Dagegen duerfte das Projekt "Virtuelles Dorf", das LC im Umland von Paris testen will, vermutlich termingerecht starten, weil es sich auf PC-Anwender beschraenkt und demzufolge Telefonservices aussen vor laesst. Gemeinsam mit dem Softwarehaus Cap Gemini entwickelt LC dort eine Multimedia-Plattform, wo die Teilnehmer verschiedene Ikonen (Schule, Supermarkt, Reisebuero etc.) anklicken und quasi menuegestuetzt die Services dieser Geschaefte und Institutionen nutzen koennen.

Die insgesamt 635 amtlich geprueften Multimedia-Projekte ordnete das Pariser Industrieministerium vier Kategorien zu. 49 Vorhaben (Plattformaufbau, Kioskeinrichtung, Angebot neuer Dienstleistungen) gelten, wie schon erwaehnt, ohne Einschraenkung als realisierbar. 218 beduerfen nach Ansicht von Rossi "geringfuegiger technischer, finanzieller oder juristischer Modifizierung", um eine Versuchslizenz zu bekommen. 287 Vorhaben wurden als derzeit "nur schwer zu verwirklichen" eingestuft, 81 als untauglich oder wenig innovativ abgelehnt.

Neben Privatunternehmen beteiligten sich an der Ausschreibung auch franzoesische Gebietskoerperschaften und Forschungseinrichtungen. Zur Foerderung der Projekte stellt Paris 1995/96 500 Millionen Franc bereit.