EDV muß sich zur Allgemeinen Informationsarbeitung mausern:

Mindestens Stabsabteilung sollte die AIV sein

26.02.1982

Die erste Frage, die sich stellt, wenn das Management erkannt hat, daß die eigene, alte EDV-Abteilung so nicht mehr weiter vor sich hintüfteln sollte, lautet: Wie sag' ich's meinem EDV-Leiter? Der Autor des folgenden Artikels, selbst ein RZ-Chef, hat die vermutlichen Pro- und Kontra-Argumente gesammelt und liefert damit einen sachlichen Einstieg in die Diskussion, die bei der Einführung einer Allgemeinen Informationsverarbeitung (AIV) sicher nicht ausbleibt und auch nicht ausbleiben darf. Den Typ, um den es hier geht, nennt der Autor freundlich foppend "Spezi".

Während sich der Spitzenspezi um Statement und Chip-controlling verdient macht, wächst rund um ihn und seinen Laden herum die dezentraliserte Rechnerei. Der Spitzenspezi ist viel zu sehr mit seinen Problemen befaßt, als daß er das merkt: Da wird für die Rechnungsschreibung ein Textcomputer angeschafft. Auch der Wareneingang bekommt einen - natürlich ein anderes Fabrikat. Der Einkauf benötigt schon lange so etwas. Im Betrieb wird ein Zeiterfassungssystem - isolierte Lösung, hauptsächlich für die Anwesenheitskontrolle gedacht - eingeweiht. Ein automatisiertes Hochregallager soll installiert werden. Zehn numerisch gesteuerte und ein flexibles Fertigungsprogramm stehen im Investitionsprogramm. Hellhörig wird der Spezi erst, als so ein ähnlicher Rechner, wie er ihn hat, für CAD-Anwendungen angeschafft werden soll.

Wenn er sich jetzt umschaut, dann sieht er: Überall um ihn herum wachsen autonome informationstechnische Inseln. Erst einmal gegründet, entwickeln sie ein Eigenleben, ein Wachstum, das sich nicht bremsen läßt.

Das informationstechnische Chaos ist unvermeidbar. Das Besondere an dem Chaos ist, daß es sich nicht etwa mit einem großen Knall ankündigt. Es kommt auf leisen Sohlen, geschoben von den DDP-Verkäufern, gezogen von den Autonomisten der Fachabteilungen, unter dem Deckmantel von Rationalisierung und Wirtschaftlichkeit. Es wächst und gedeiht im stillen zu blühender Größe. Dort, wo sich die Gewächse in die Quere kommen, findet man Mittel und Wege, daß es doch weitergeht und nicht stehenbleibt. Denn zurückdrehen kann man das Rad nicht mehr.

Pro und Kontra

Fassen wir die Argumente zusammen und ergänzen sie. Die Argumente gegen die Auffassung der Datenverarbeitung als "Allgemeine Informationsverarbeitung, AIV" und solche dafür. Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Zunächst die Kontra-Position:

- Eine Zusammenfassung der informationstechnischen- Anwendungen führt zu einer schwerfälligen Bürokratie.

- Die DV-Leute kennen die Probleme der Fachbereiche dazu viel zuwenig.

- Eine Konzentration informationstechnischer Kontrolle führt zu erheblichen Umstrukturierungen im Betrieb, die Unruhe auslösen.

- Zentralisation führt zu Abhängigkeiten und mindert die Flexibilität des einzelnen Anwenders.

- Verteilte Kompetenz und Kontrolle ist verteiltes Risiko.

- Auf Fachabteilungsebene lassen sich Projekte leichter und schneller realisieren.

- Schon jetzt ist der Anwendungsrückstau, bedingt durch die EDV-Abteilung, groß. Er würde bei einer Umstrukturierung der EDV in AIV erheblich zunehmen.

- Die Antwortzeiten der Rechner würden zunehmen, da sie noch stärker belastet werden.

- Projekte auf Fachabteilungsebene sind überschaubar.

- Sie lassen sich leichter warten.

- Erfolge sind schneller nachweisbar.

- Die Kreativität der Mitarbeiter der Fachabteilungen kann besser in das Projekt einfließen.

- Es werden Reibungen mit Stabs- und Zentralstellen vermieden, wenn jeder Fachbereich für seinen informationstechnischen Status selbst verantwortlich bleibt.

- Dezentralisierung fördert Demokratisierung und das Betriebsklima.

Und nun die Argumente pro eine "Allgemeine Informationsverarbeitung":

- Eine fehlende Zusammenfassung aller informationstechnischen Anwendungen in einem Betrieb führt zwangsläufig zum informationstechnischen Chaos.

- Projekte in Fachbereichskompetenz führen in Sackgassen.

- Sie schaffen Sachzwänge, die gar nicht oder nur unter sehr großen Kosten revidierbar sind.

- Die nachträgliche Einrichtung von Schnittstellen zu anderen Anwendungen ist gar nicht oder nur mit großem Aufwand möglich.

- Die Entwicklung der Informationstechnik führt automatisch zu einer zunehmenden Verzahnung der Aufgaben und Informationen der Fachbereiche.

- Uneinheitliche Handhabung der Informationstechnik bedingt vielfältige Hard- und Software.

- Vielfältige Hard- und Software führt zur Verzettelung von Know-how und zu großem Aufwand in den Verhandlungen mit den verschiedenen Herstellern.

- Das informationstechnische Know-how einer AIV-Abteilung kann viel effizierter genutzt werden, die Ausbildung von EDV-Spezialisten in den Fachabteilungen wird reduziert.

- Informationen, die in einer Abteilung erarbeitet oder gewonnen werden, sind überall verfügbar.

- Die Installation unterschiedlicher Bildschirmsysteme, die unterschiedlich zu handhaben sind, an ein und demselben Arbeitsplatz ist informationstechnischer Nonsens und kann vermieden werden.

- Der größte Nutzeffekt informationstechnischer Anwendungen ergibt sich erst mit der umfassenden Nutzung der Daten eines Fachbereiches an allen interessierten Stellen.

Hiermit soll - um Mißverständnissen vorzubeugen - beileibe nicht dagegen argumentiert werden, daß Informationstechnik verteilt wird. Distributed Data Processing (DDP) ist kein Gegensatz zu einer zentralisierten "Allgemeinen Informationsverarbeitung" (AIV). DDP erfordert eine AIV! Ohne DDP würde auch eine "normale" EDV-Abteilung ausreichen.

Die Gruppe der Pro-Argumente scheint mir die gewichtigere zu sein. Natürlich sind auch die Kontra-Positionen nicht unbegründet. Keinesfalls sollten wir aus den Pro-Ausführungen schließen, daß nun wieder die alten Zeiten zentralisierter EDV-Monokultur und -bürokratie anbrechen dürfen. Im Gegenteil: Die Benutzer müssen viel stärker berücksichtigt werden, ja sie müssen aufeinander Rücksicht nehmen, sich in ihren Belangen und vor allem mit den übergeordneten (nicht EDV- sondern) Firmeninteressen abstimmen! Richtig verstandene AIV erfordert mehr Achtung und Beachtung auch gegenseitige - der Benutzer und nicht weniger.

Die Aufgabe

Womit nun muß sich die AIV-Abteilung, insbesondere der AIV-Chef, befassen? Es gibt zwei Antworten:

- mit allen den Gebieten, die die Informationsverarbeitung heute umfaßt, oder

- mit allen den Gebieten, die die Informationsverarbeitung in zehn oder fünfzehn Jahren umfassen wird.

Wer sich nur auf heute orientiert, verliert den Anschluß für die Zukunft, und wer zu futuristisch operiert, verliert die Rationalität. Also ist es wohl angemessen, sich am Horizont der Unternehmensplanungen zu orientieren. Was aber wird die Informationsverarbeitung in fünfzehn Jahren umfassen? Diese Antwort muß sicher betriebsindividuell verschieden ausfallen. Bei Kleinbetrieben wird die Informationstechnik sich zum Teil sehr wenig ändern, bei Großbetrieben ist unter Umständen schon heute die Informationstechnik in alle Bereiche vorgedrungen. Die großen Bereiche sind in einem Produktionsbetrieb

- kaufmännische Verwaltung;

- Produktion inklusive Wareneingang, Einkauf;

- Konstruktion.

Für diese Bereiche bietet die Informationstechnik

PSI-Systeme, das heißt Planungssysteme (zukunftsbezogen)

Steuerungssysteme (gegenwartsbezogen) und Informationssysteme (vergangenheitsbezogen) sowie

Ausführende Systeme und Vermittlungssysteme

In der kaufmännischen Verwaltung zum Beispiel kennen wir heute vorwiegend Informationssysteme: Betriebsabrechnung, Lohnabrechnung, Verkaufsstatistik. Planungs- und Steuerungssysteme, zum Beispiel Vertriebs-, Personal- oder Budgetplanungssysteme, sind noch wenig verbreitet. Die Textverarbeitung im kaufmännischen Bereich ist als Ausführung zu verstehen, Hauspost und Telefon als Vermittlungssystem. Diese letzten beiden Aufgaben werden zunehmend von automatisierter Informationstechnik überwuchert (Bildschirmtext und elektronische Vermittlungssysteme) und sind eklatantes Beispiel für die Notwendigkeit, solche Bereiche aus den Aspekten automatisierter Informationstechnik zu verstehen und zu entwickeln.

Im Bereich der Produktion sind PPS Produktionsplanungs- und Steuerungssysteme) ebenso bekannt wie ausführende Lager-, Transport- und Fertigungssysteme. Die Industrieroboter als Handhabungssystem sind Bindeglied zwischen Transport und Fertigung.

Im Bereich der Konstruktion ist vor allem das CAD (computer aided design) zu nennen, das heute vornehmlich ausführende Aufgaben (Zeichnen) übernimmt.

Die Gebiete sind damit abgesteckt, Sie sind weit, sagen wir es offen, sie umfassen den ganzen Produktionsbetrieb - wie sich seit ehedem die konventionelle Organisation auf den Gesamtbetrieb bezieht. Wie ist die Aufgabe des AIV-Chefs inhaltlich zu verstehen?

Das Profil

Der AIV-Chef sollte

- Richtlinien der Entwicklung der informationstechnik langfristig festlegen, damit die einzelnen Betriebsbereiche sich orientieren können;

- Richtlinien für die Beschaffung von Hard- und Software vorgeben;

- Kommunikationswege sowie -schnittstellen definieren;

- Richtlinien für die Analyse, Programmierung, Implementierung von Informationstechnik erarbeiten, die nicht nur für die elektronische Datenverarbeitung, sondern für alle Bereiche gelten;

- die verschiedenen Benutzerinteressen koordinieren;

- dafür sorgen, daß die an einer Stelle erarbeiteten Informationen

weitestmöglich genützt werden können;

- dafür sorgen, daß der Informationsumfang minimiert und die Informationsqualität maximiert werden.

Die Anforderungen, die damit an den AIV-Chef gestellt werden, sind hoch: Er muß zwar nicht Konstrukteur, Monteur, Buchhalter, Verkäufer in einem sein. Er muß aber doch so viel von den Arbeitsgebieten, insbesondere deren automatisierte Informationstechniken verstehen, daß er kompetent mitreden kann. Eine Forderung die übrigens im Prinzip auch für den konventionellen Organisator gilt. Sie wird hier graduell qualitativ und quantitativ erweitert. Natürlich erfordert dieses Aufgabenverständnis den intensiven Einbezug der Benutzervorstellungen, ja die Aktivierung schöpferischer Benutzerinitiative. Per Order ist die Aufgabe nicht zu lösen. Die Order aber ist eine wichtige Leitlinie für die Mitarbeiter, und richtig vermittelt ist es Motivation, notwendige Motivation.

Die Kompetenz

Wie kann die AIV-Abteilung eine so umfassende Aufgabe wirkungsvoll vertreten? Dazu sind zwei Fragen zu beantworten: Wie ist die AIV-Abteilung in die Organisationsstruktur einzugliedern und welche Abteilungen sind der AIV anzufügen? Die AIV-Abteilung wird man danach eingliedern, welche Bedeutung man ihr zumißt:

- einem Vorstand oder Bereich als Stabsabteilung oder

- der Geschäftsleitung als Stabsabteilung oder

- als ein eigenständiger Vorstandsbereich mit Weisungsbefugnis gegenüber anderen Vorstandsbereichen.

Die Erfahrung hat gezeigt, daß Informationstechnik "von oben" mit möglichst umfassender Kompetenz der einzig effiziente Weg ist. Sie hat gezeigt, daß Informationstechnik "von unten" nur zum Verschleiß der AIV-Mitarbeiter führt, nicht mehr. Das heißt: Wenn man die Informationsverarbeitung für die Zukunft ernst nimmt, gibt es gar keine andere als die dritte der obengenannten Lösungen. Der Einfluß auf die anderen Bereiche kann dann im Sinne einer Matrixorganisation gesichert werden.

Welche Abteilungen sind der AIV zweckmäßigerweise ein- und zuzuordnen? Als sinnfällige Regeln kann man zwei Kriterien formulieren: - Je größer der Einfluß einer Abteilung, die sich mit Informationsverarbeitung befaßt, für das ganze Unternehmen ist, um so eher ist sie der AIV zuzuordnen.

- Allen Abteilungen gegenüber, die sich mit Informationsverarbeitung befassen, muß die AIV ein Weisungsrecht besitzen.

Diese Kriterien sind sicher firmenindividuell auszulegen. Daß die Auftragssteuerung inklusive Einkaufs- und Wareneingangssysteme zur AIV gehören, ist eine Binsenweisheit (aber nur die Systeme, nicht die Abteilungen). Auch Hauspost, Haustelefon, Kopieranlagen, Druckerei können wohl nur im Rahmen der AIV richtig verstanden und entwickelt werden. Wie weit CAD (computer aided design), CAP (computer aided planning), CAM (computer aided manufacturing), Textverarbeitung, Lager- und Transportsysteme direkt der AIV zuzuordnen sind, ist schwer allgemeingültig zu beantworten. Auf jeden Fall muß eine organisatorische Klammer um diese Gebiete bestehen, die nach folgenden Regeln gebildet werden kann:

- Weisungsbefugnis

- direkte Eingliederung aller Hardwareanlagen in die AIV.

Damit dürfte die organisatorische Klammer fest genug sein, um eine Zersplitterung der Informationstechnik zu vermeiden. Insbesondere beinhalten diese Regeln, daß alle Firmenplanungen kurz-, mittel- und langfristig, alle Investitions- und Beschaffungsanträge, die mit Informationsverarbeitung zu tun haben, von der AIV sachlich geprüft und genehmigt werden müssen.

Fazit

Wenn man sich so in den Betrieben umhört, sind eigentlich (fast) allen diese Sachverhalte klar, doch keiner wagt die Konsequenzen zu ziehen. Keine Firma, so scheint es, wagt den Schritt. EDV als Informatikvorstand? Noch mehr Vorstände? Gefährdung vorhandener Machtgleichgewichte? Wird ein AIV-Vorstand als neues Machtzentrum als zu bedrohlich empfunden? Lassen wir die EDV-Leute sich unten abstrampeln! Sollen sie sich erst an der Basis bewähren! Später sieht man weiter! Wie sieht es bei Ihnen im Betrieb aus? Welche Erfahrungen haben Sie in dieser Beziehung? Schreiben Sie uns! Schreiben Sie sich Ihren Ärger vom Hals: Damit können Sie Ihren Kollegen und vielleicht sich selbst helfen. Wir freuen uns auf Ihren Leserbrief!

Literaturhinweis:

1) Geitner, U.W.: EDV-Gesamtplanung für Produktionsbetriebe. München: Carl Hanser 1980

*Uwe W. Geitner ist RZ-Leiter der Gebr. Boehringer GmbH, Göppingen

Der Spezi

Er knobelt und tüftelt gern. Er versteht sein Metier. Wenn ein Programm abstürzt, ist er sofort zur Stelle. Er analysiert den Fehler und er findet ihn. Und nicht nur das. Bei der Analyse entgeht ihm nichts: Mit Kennerblick sieht er, daß man die Kodierung statt mit zehn auch mit neun Statements hätte realisieren können. Vorwurfsvoll, der Mitarbeiter empfand sich als überflüssig - ändert er das Coding.

Spitzenspezis machen sogar dem technischen Service etwas

vor: Sie schließen die Modems selber an, nehmen den Austausch von Hardwarekomponenten selbst vor. Wenn ein Gerät streikt, sind sie mit den richtigen Prüfgeräten und Lötkolben zur Hand. Mit einem Wort: Der Spitzenspezi hat seinen Laden im Griff. Er kann besser analysieren als seine Analytiker, besser programmieren als seine Programmierer, besser die Maschinen bedienen als seine Operatoren. Keine Frage, daß er auch Programmkarten besser locht als jede Locherin.