Professor Steinmetz verlangt mehr Geld für technische Studiengänge

Milliardensubventionen werden zum Fenster hinausgeworfen

30.06.2000
Auch das Bildungswesen wird von der Globalisierung erfasst. Und auch hier werden die Schnellsten und Flexibelsten vorne sein. Dazu gehört die Bundesrepublik nicht, wenn sie so weitermacht wie bisher, zeigt sich Ralf Steinmetz, Professor an der Technischen Universität, Darmstadt, im Gespräch mit Joachim Jakobs* überzeugt.

CW:Die OECD stellt in ihrer aktuellen Bildungsstudie fest, dass in der Bundesrepublik das Interesse der Jugend an einem technischen oder naturwissenschaftlichen Studium im Vergleich zu Finnland, Frankreich, Japan oder Irland gering ist. Worauf führen Sie dieses Desinteresse zurück?

Steinmetz: Das ist noch nicht das Schlimmste. Viel wichtiger ist, dass die Anzahl der Studierenden in 22 von 29 OECD-Ländern um mehr als 25, in acht Ländern sogar um 50 Prozent gestiegen ist. Schlusslichter sind die USA und Deutschland. Wobei Deutschland eben im Unterschied zu den USA keine hohe Ausgangsbasis hat, sondern im Gegenteil zu den Klassenletzten gehört. Aber um auf Ihre Frage zu antworten: Diese Entwicklung war absehbar.

CW: Geht es etwas konkreter?

Steinmetz: Wir investieren zu wenig in unsere Zukunft: Schon zu Zeiten der Regierung Kohl war bekannt, dass die Bildung unser einziger Rohstoff ist. Deswegen wurde mit großem PR-Tamtam die Initiative "Schulen ans Netz" gegründet, für die unter anderem der Bund 60 Millionen in sechs Jahren aufwendet. Gleichzeitig verwöhnen wir unsere Hätschelkinder wie den Steinkohlebergbau allein in diesem Jahr mit sieben Milliarden Mark in der sicheren Gewissheit, dass dieses Geld unwiderruflich verloren ist. Wie viele toll ausgebildete Naturwissenschaftler würden diese Studiengänge durchlaufen und stünden dann dem Arbeitsmarkt zur Verfügung - oder noch viel besser - könnten ihr eigenes Unternehmen gründen und - langfristig gesicherte - Arbeitsplätze schaffen?

CW: Was passiert, wenn sich nichts ändert?

Steinmetz: Wenn wir das Problem noch länger aussitzen, laufen uns die Vergleichsländer immer noch schneller davon, und in fünf Jahren kämpfen wir dann eben um den Klassenerhalt in der ersten Liga. Im Rahmen der Globalisierung werden sich nur die Schnellsten und Flexibelsten am Markt behaupten können.

CW: Die hessischen Fachhochschulen erhalten im Rahmen eines Sonderprogramms 25 Millionen Mark, was den Universitäten nicht passt. Warum?

Steinmetz: Was ist der Auftrag der Fachhochschule? Die Fachhochschule soll im Drei-Jahres-Rhythmus Fachkräfte auf den Markt bringen, die mit gutem Rüstzeug vorhandene Systeme bedienen. Nur was passiert, wenn die alten Systeme durch neue ersetzt werden? Dann fehlen dem Fachhochschüler meist die Methodenkompetenz und die Grundlagen, um sich schnell auf die Veränderungen einzustellen. Solches Know-how erwirbt er aber nur an einer Universität. Diese Kompetenz wird mit zunehmender Geschwindigkeit des technischen Wandels immer wichtiger. Damit will ich nicht sagen, dass die 25 Millionen schlecht investiert sind, aber wenn die Fachhochschulen dieses Geld bekommen, brauchen die Universitäten mindestens den selben Betrag. Tatsächlich befürchten wir allerdings, dass viele Lehrstühle der TU in Darmstadt nicht wiederbesetzt werden, deren Inhaber demnächst in Ruhestand gehen oder emeritiert werden.

CW: Was sollte mit diesen - für die Universitäten - zusätzlichen 25 Millionen geschehen?

Steinmetz: Zunächst müssten wir die Möglichkeit haben, auf den Bedarf des Arbeitsmarktes zu reagieren und mehr Informatiker und Ingenieure in der gewohnt hohen Qualität auszubilden. Das könnte dann in zusätzlichen Studiengängen mit zusätzlichem Geld geschehen. Oder wir verstärken das wissenschaftliche Personal an den bestehenden Lehrstühlen, um mehr Studenten besser in den vorhandenen Einrichtungen betreuen zu können. Aber auch hier ist genau das Gegenteil der Fall: Statt dass uns die Landesregierung die Möglichkeit gibt, unsere Ausbildungskapazität in einem Zukunftsmarkt zu erhöhen, müssen wir über einen Numerus Clausus diskutieren, um nicht Klasse durch Masse zu ersetzen. Neben den finanziellen Problemen sind wir auch unflexibel.

CW: Welche Veränderungen bringt das Multimedia-Zeitalter für den akademischen Bildungsmarkt mit sich?

Steinmetz: Erstens: In spätestens zwei Jahren stehen den Universitäten Datenübertragungsraten im Gigabit-Bereich zur Verfügung. Spätestens dann werden Stanford, MIT & Co. den hiesigen Anbietern per Internet massiv Konkurrenz machen. Wer da nicht konkurrenzfähig ist, wird gnadenlos vom Markt bestraft, das heißt, die besten Anbieter werden die besten Studenten bekommen, die schlechten werden sich mit schlechten Studenten zufrieden geben müssen.

Zweitens: Das Lernen wird multimedial: Hessische Medizinstudenten werden beispielsweise in fünf Jahren über das komplette Studium Pflichtveranstaltungen am Rechner belegen (http://www.httc.de/Projekte/VUH/vuh.html.) Diese Kurse sollen nicht das Gespräch ersetzen, sondern die Lehre dort mit Bild, Ton und Animationen bereichern, wo es um das Verständnis von dynamischen Prozessen und Abläufen in der Medizin geht.

Drittens: Das Lehren und Lernen wird kooperativ: Ich tausche mit meinen Kollegen in den USA und Kanada heute schon Teile von Lehrveranstaltungen aus. Künftig werden die Lehrveranstaltungen von den Dozenten in Online-Sitzungen gemeinsam vorbereitet - und die Studierenden bereiten sich gemeinsam auf die Klausur vor.

Viertens: Dieses multimediale und kooperative Lernen bedingt auch einen erheblichen Bedarf an Doppelqualifikationen, die ebenfalls nicht auf dem Markt zu finden sind. Wir brauchen also beispielsweise jede Menge Medizininformatiker, die solche Lernumgebungen entwickeln. Diese müssen im Team mit Pädagogen und Psychologen arbeiten, denn der Lernende wird diese Hilfsmittel nur dann akzeptieren, wenn sie methodisch und didaktisch gut aufbereitet sind.

CW: Was verstehen Sie unter "kooperativ"?

Steinmetz: Das bedeutet beispielsweise gemeinsam ein Dokument an zwei verschiedenen Rechnern und Orten zu bearbeiten. Oder in einer Übung bedienen beliebig verteilte Praktikanten eine verteilte Simulation lokaler Netzwerke. Oder zwei Trainees, einer in Darmstadt und einer in München ansässigen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft diskutieren strittige Buchungen im Konzernabschluss eines Unternehmens mit allen erforderlichen digitalen Unterlagen in einer Videokonferenz.

CW: In welchen Fachbereichen sind die von Ihnen angesprochenen Doppelqualifikationen notwendig?

Steinmetz: Überall da, wo es um das Verständnis von Zusammenhängen und Abläufen geht, können multimediale Elemente einen Nutzen stiften, gleichgültig, ob es sich um eine Naturwissenschaft oder die Volkswirtschaftslehre handelt. Für eine Konversationsübung in Spanisch eignen sich womöglich kooperative Anwendungen eher.

CW: Was muss in Deutschland passieren, damit es im internationalen Vergleich beim Thema Bildung besser abschneidet?

Steinmetz: Eine ganze Menge. Nur ein paar Beispiele: Spitzenforschung braucht immer - wie der Spitzensport - Leistungseliten. Wir brauchen daher ein Schulsystem, das Eliten nicht nur zulässt, sondern zielgerichtet sucht und fördert. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Gesellschaft schon ein Bekenntnis zur Notwendigkeit von Eliten abgelegt hat. Wir müssen weiterhin Minimalforderungen für die "allgemeine" Hochschulreife definieren. Dazu gehört, dass ein so elementares Schulfach wie Mathematik durchgängig bis zum Ende durchgezogen werden muss, sonst kann es sich dabei eben nicht um eine allgemeine Hochschulreife handeln, sondern allenfalls um eine fachgebundene, mit der man Historiker oder Germanist werden kann.

Aus der Initiative "Schulen ans Netz" muss "Schüler ans Netz" werden. Von den rund 40000 Schulen in Deutschland haben 10000 die so genannte Grundförderung erhalten. Das bedeutet, diese Schulen haben wenigstens einen Internet-Anschluss bekommen und haben eine Homepage. Das heisst im Extremfall, dass gerade mal die Sekretärin des Direktors HTML gelernt hat und jetzt die Anzahl der Abiturienten ins Netz stellt. Das kann aber nicht das Ziel einer solchen Initiative sein. Jeder Schüler muss lernen, einen Standard-PC zu bedienen, seine Homepage zu gestalten und sich aktuelle Daten für den Geografie-Unterricht zu beschaffen.

Die Hochschulen müssen mehr wie Unternehmen geführt werden, nur so sind sie flexibel genug, um im Bildungsmarkt der Zukunft zu überleben. Dazu gehört beispielsweise, dass die Hochschule in der Lage sein muss, ein neues Produkt - wie beispielsweise einen neuen Studiengang - schneller auf den Markt zu bringen als das bisher der Fall ist. Hinzu kommen eine Reihe von betriebswirtschaftlichen Steuerungselementen wie etwa der Globalhaushalt.

*Joachim Jakobs ist freier Journalist in Darmstadt.