Wahlberichterstattung in Hessen aus DV-Sicht:

Mikroteam macht sich für Wahlsendung stark

26.04.1985

*Von Dr. Herbert Neumaier

MÜNCHEN - Erstmalig nicht mit traditioneller Großrechnertechnik, sondern mit Hilfe eines Mikrocomputernetzes wurde die Wahlberichterstattung bei der hessischen Kommunalwahl am 10. März 1985 im dritten Programm des Hessischen Rundfunks unterstützt. Den DV-technischen Teil steuerte die Interface Concilium GmbH aus München bei, das statistische Know-how lieferte

die Forsa GmbH aus Köln.

Die "Marschroute" für die Wahlnacht war genau festgelegt. Am Wahlabend sollten die über Telefon in das Studio übermittelten Ergebnisse erfaßt werden. Für die Städte Frankfurt, Wiesbaden, Marburg, Kassel und Darmstadt wurde eine möglichst frühzeitige Ergebnishochrechnung erwartet, die gegebenenfalls mit einer verbesserten Basis zu wiederholen war. Im Vergleich zur letzten Kommunalwahl sollten diesmal sämtliche Ergebnisse abgespeichert, ausgedruckt und grafisch dargestellt werden. Weiterhin sah die Planung vor, aus den Prozentergebnissen die Sitzverteilungen herzuleiten, ebenfalls abzuspeichern und als Grafiken zur Verfügung zu stellen. Die Ergebnisgrafiken sollten in das "außensynchronisierte" RGB-Format umgewandelt werden. Dies bedeutete, daß man gewissermaßen eine Studiokamera mit dem Mikro zu simulieren hatte.

Die Aufgabenstellung scheint auf den ersten Blick ganz normal, beinhaltet jedoch einige Schwierigkeiten. Auf der Anwendungsseite sollten mehrere Hochrechnungen simultan durchgeführt werden, und dies für sehr kleine Regionen. Die normalen Hochrechnungsverfahren, wie man sie von Bundestagswahlen und Landtagswahlen her kennt, hielt die Kölner Forsa hierfür nicht geeignet. Und was die Hardware betraf, so sollte ein völlig anderes Konzept zum Zuge kommen, als es die Marktführer in der Wahlberichterstattung üblicherweise einsetzen: ein Netz von Mikros mit gemeinsamen Plattenspeichern und Druckern auf der Basis von Omninet. Ein Problem war die Grafikschnittstelle: Es mußte ein Interface entworfen werden, konstruiert und integriert werden, das die am Concept-Slot verfügbare Bildinformation mit Farbe versah (der Concept arbeitet nur monochrom), sie in RGB-information umwandelte und dem Studio zur Verfügung stellte. Auch die Software war völlig neu zu entwickeln. Das begann bei der reinen Anwendung (zum Beispiel Hochrechnung) und endete mit dem Treiber für die zum Schnittstellenwandler gehörende Karte. Die logistischen Probleme rundeten das Feld ab: Am Wahlabend mußte die gesamte Installation im Studio 2 lauffähig sein, und während der Sendung durfte nichts schiefgehen. Da es für Interface Concilium die erste Wahlberichterstattung im Studio war, konnte man kaum auf Erfahrungen zurückgreifen.

Für das ganze Projekt - Anwendungstheorie, Hardware, Software und Logistik - standen insgesamt neun Monate zur Verfügung.

Die Anwendungstheorie hatte das Team bald im Griff. Im Laufe des Januars kam die Spezifikation für den Hochrechnungsalgorithmus und die anderen Verfahren. Die Forsa begann mit der Erfassung der historischen Ergebnisse, die sowohl für die Hochrechnung als auch für den Ergebnisdienst (Ergebnisse werden immer in Relation zur letzten Wahl gezeigt) gebraucht wurden.

Kamera-Simulator bereitete viel Kopfzerbrechen

Die Hardwarekonfiguration wurde im Januar verabschiedet: 13 Concepts sollten vernetzt und zwei Festplatten an das Netz angeschlossen werden. Ein Random-Access-Bandspeichergerät diente zum Einspielen des gesamten Systems. Alle Ergebnisse sollten auf einem GP300 von Philips ausgedruckt werden. Das schwierigste Stück Hardware war Casimor, der Kamerasimulator, den es noch nicht gab. Zur Jahreswende begannen Spezialisten von Interface Concilium

zusammen mit Technikern des Hessischen Rundfunks mit der Spezifikation und unmittelbar im Anschluß daran mit der Besorgung von Bauteilen. Gott sei Dank waren alle Chips hinreichend schnell verfügbar.

Der Kamerasimulator erhält den Inhalt eines Bildes über einen Concept-Slot zusammen mit der Farbinformation mitgeteilt, speichert ihn ab und liefert am anderen Ende auf Anforderung die außensynchronisierte Information ab. Er kann 256 Farben und neben der Studioschnittstelle auch einen normalen Monitor bedienen.

Während im Januar und Februar an Casimor gewrapt und gelötet wurde, arbeitete ein dreiköpfiges Team von Interface Concilium an der Software. Als Erfassungsschnittstelle nahm es kurzerhand das Tabellenkalkulationsprogramm, das auf dem Concept sowieso vorhanden ist. Das ist für den Erfasser zwar nicht das Optimale, aber die Entscheidung verschaffte dem Team Luft für wichtigere Komponenten, die auf jeden Fall zu fertigen waren. Mit einem kleinen Blitzprogramm wurden die aus dem Spreadsheet stammende Informationen in das zur Weiterverarbeitung geeignete Format umgeformt.

Als reine Anwendungsprogramme waren die Hochrechnung, die Berechnung des Ergebnisses mit der prozentualen Differenz zur letzten Wahl und die Sitzverteilung zu realisieren. Die Grafikerzeugung ist von der Anwendung grundsätzlich unabhängig. Das Grafikmodul kennt Schriften, "Pictures" (das sind Rechtecke, in denen die Pixels hell oder dunkel sein können) und Farben. Daß es für die Wahl eingesetzt wird, "weiß" es nicht. Dies bedeutet, daß zwischen der Anwendungssoftware und dem Grafikmodul eine Umsetzung zu programmieren war, die aus den Wahldaten Bildaufbauinformation für die Grafik erzeugte. Das Projektteam arbeitete mit zwei verschiedenen grafischen Grundmustern, einem für die Hochrechnungsergebnisse und die Ergebnisse in Prozent und eines für die Darstellung der Sitzverteilung.

Die Ergebnisrechner kommunizieren mit dem Grafikrechner (an den Casimor angeschlossen ist) über einen Eventing-Mechanismus, den wir in Ergänzung zum eingesetzten Betriebssystem (CCOS) schon vor einigen Monaten programmiert hatten. Durch dieses Stück Betriebssystemerweiterung können sich autonome Workstations in einem Netz verständigen, ohne daß sie dazu einen Datenspeicher brauchen.

Der Ergebnisrechner sendet dem Grafikrechner über das Netz ein "Event", das die Ergebnisdaten mit sich führt. Der Grafikrechner muß also nicht pollen. Er liest das Event und die mitgeführten Daten und kann mit ihnen die Grafik erzeugen.

An diesem Mechanismus sieht man den Unterschied zwischen einem zentralen Rechner und vielen dezentralen Rechnern sehr gut: Verteilte Intelligenz hat viele Vorteile, aber sie bedarf eines Kommunikationsmechanismus zwischen den autonomen Intelligenzen, damit diese koordiniert zusammenarbeiten.

Im Grafikrechner entwickelte das Projektteam dann einen Treiber für den Kamerasimulator und "brannte" die Programme in die Chips von Casimor ein.

Neben diesen Softwarekomponenten war noch ein Modul "offline" zu schreiben, nämlich die "elektronische Linse" (sie macht aus einem Pixel ein Raster von 10 x 10 oder 15 x 15 oder von n x n Pixel). Sie erlaubt es, Schriften am Bildschirm zu entwerfen, ohne daß man sich die Augen dabei schädigt. Man kennt das vielleicht von Macintosh-Vorführungen: Ein kleiner Ausschnitt des Bildschirms wird vergrößert und bedeckt den Bildschirm (fast) völlig. Jetzt kann man bequem grafisch editieren und anschließend das fertige Werk wieder auf normale Größe verkleinern. Auf dem Concept gab es diese Linse nicht. Mit der daraufhin von Interface Concilium "programmierten" Linse konnte die Bildschirmschrift entworfen werden. Warum aber eine neue Schrift? Nun, das Verhältnis von Bildpunktbreite zu Bildpunkthöhe ist auf dem Fernsehschirm völlig anders als auf dem Bildschirm des Mikrocomputers. Das heißt, daß die für den Concept entwickelten Schriften für den Bildschirm zu

Hause nicht in Frage kamen. Darum mußte es eine Schrift sein, die den Maßstäben auf dem TV-Schirm angepaßt war.

In der Woche vor der Wahl wurde ein Mitarbeiter ausschließlich für die Logistik freigestellt. 13 Rechner, drei Disks, ein Drucker und eine Menge an Kleinzeug mußten am Donnerstag vor der Wahl im Studio installiert werden. Die Rechner kamen von vier verschiedenen Orten, die Installation nahm der deutsche Generalimporteur für Corvus-Produkte vor. Tatsächlich war das Netz Freitag früh lauffähig.

Den Integrationstest für den Kamerasimulator hatte das Projektteam getrennt gestartet: Bereits am Mittwoch war er im Studio eingesetzt worden.

Das gesamte Softwaresystem wurde in München konfiguriert und mit zwei weiteren Mitarbeitern am Freitag nach Frankfurt "ausgeflogen". Auf das laufende Netz setzte man nun die Software auf. Vorübergehend versagte ein Rechner den Dienst. Das lag an einer Platine, die sich beim Transport gelockert hatte. Die Hilfsbereitschaft und die gute Ausrüstung der Techniker des Hessischen Rundfunks erlaubten es jedoch, dieses Problem wieder zu beheben.

Schwarze Flecken auf den Bildschirmen

Am Samstag lief die Generalprobe mit echten Telefonanrufen. Sie ging beunruhigend gut. Dann aber stellte sich plötzlich heraus, daß die gesendeten Fernsehbilder an manchen Stellen Flecken aufwiesen. Offensichtlich war ein Speicherchip fehlerhaft. Außerdem mußte die Bildfolgegeschwindigkeit erhöht werden, damit die Ergebnisse in schnellerer Folge gezeigt werden konnten. Um die Probleme zu beseitigen, wurde mit dem Oszillografen der schmutzige Chip aufgespürt und am Bildschirm der Bildaufbaualgorithmus für die Grafik aufgetunt.

Den Hardwarefehler hatten die Techniker um 14.00 Uhr gefunden, der Chip war schnell ausgetauscht. Etwa um die gleiche Zeit hatte man auch die Programmänderung abgeschlossen und die Bildfolgezeit um 40 Prozent verkürzt. Die letzten Arbeiten fanden in der Atmosphäre eines Studios kurz vor der Sendung statt. Man kann sich bei Gott angenehmere "Programmierumgebungen"

vorstellen!

Und dann ging es los. Die Sendung begann um 17.45 Uhr, um 18.15 klingelte zum ersten Mal das Telefon. Die Erfasserinnen, die natürlich mit Kopfhörern ausgerüstet waren, begannen zu tippen. Nun zeigte sich das Netz unter Last. Dieser Extremzustand war aus Zeitmangel nicht getestet worden. Es traten jedoch keine Zeitprobleme bei den Rechnern auf. Es zeigte sich allerdings, daß die Plattencontroller voll ausgelastet waren (das Netz dagegen nicht). Beim nächsten Mal wird Interface Concilium übrigens mit einer Platte mehr arbeiten und die Daten auf den Platten etwas zweckmäßiger verteilen als jetzt (zum Beispiel einen eigenen Drive für das Printer-Spooling reservieren).

Die ermittelten Ergebnisse wurden gedruckt und sofort mehrfach fotokopiert und verteilt. Die Forsa prüfte sie nochmals auf Plausibilität und entschied über die Senderfreigabe. Das ist besonders für Hochrechnungen wichtig, bei denen es sehr schwer sein kann, zwischen einem echten "Erdrutsch" und einer einfach nur schlechten Hochrechnung zu unterscheiden. So war die Hochrechnung für Frankfurt anfangs mit Mißtrauen betrachtet worden, denn sie entsprach der gesamten Landesentwicklung kaum. Heute weiß man daß eben Frankfurt ganz anders wählte als der Rest von Hessen. Solch eine Hochrechnung freizugeben muß dem Statistiker überlassen werden. Der "Ergebnissprecher" erhielt ebenfalls alle eingegangenen Ergebnisse und konnte dann die zugehörigen Grafiken abrufen.

Fünf Stunden war die DV-Mannschaft - mit kleinen Minutenpausen - im Einsatz. Das System war robust; es gab keine Hardwareprobleme. Die zwei Softwarefehler, die im Verlauf des Abends entdeckt worden waren, blieben ohne schwerere Folgen.

Noch in der Nacht zum Montag bauten die Techniker einen Teil der Hardware wieder ab. Am Montag Abend wurde die Anlage im kleinen Umfang in der Hessenschau noch einmal verwendet, und dann war - für dieses Mal - endgültig Schluß.

* Dr. Herbert Neumaier ist Geschäftsführer der Interface Concillum GmbH.