Neue Verkehrsleitzentrale in München eröffnet:

Mikros legen richtige Wellenlänge fest

03.08.1984

MÜNCHEN (CW) - Für einen besseren Verkehrsfluß auf Münchens Straßen soll ein computergesteuertes System der verkehrsabhängigen Ampelumschaltung sorgen, das kürzlich bei der Eröffnung der neuen Verkehrsleitzentrale (VLZ) im Polizeipräsidium der bayerischen Landeshauptstadt vorgestellt wurde. Vorteile bringt die Anlage aber nicht nur für den Autofahrer. sondern auch für die Polizei: Ein weitgehender Wegfall manueller Steuerung und bediengungsfreundliche Überwachungsmöglichkeiten erleichtern den "Verkehrspolizisten" ihre Arbeit.

Jeder Autofahrer träumt davon, während der Rush-hour nicht in unliebsamen Staus steckenzubleiben und dann, wenn weit und breit kein Auto zu sehen ist, ewig vor der roten Ampel zu stehen. Doch selbst mit Hilfe ausgetüftelter Verkehrsleitkonzepte, die nur mit Hilfe komplizierter Technik zu realisieren sind, kann man der Meinung von Fachleuten zufolge einen gewissen Leerlauf hinter dem Steuer nicht ganz abschaffen. Allerdings ermöglicht der Einsatz von Computern eine verkehrsabhängige Umlaufphasenänderung sowie Grünzeitenmodifikation an den Ampeln und dadurch auch einen meßbar zügigeren Verkehrsfluß. In Zahlen ausgedrückt: 10- bis 15prozentige verbesserungen sind erreichbar.

Hauptrechner steuert Ampelphasen

Das Münchner Verkehrsleitmodell, derzeit erst teilweise verwirklicht, umfaßt zwei Komponenten: die verkehrsabhängige zentrale/dezentrale Steuerung und die verkehrsunabhänige dezentrale Lenkung. Der bereits installierte und für alle zentralen Funktionen zuständige Siemens-Hauptrechner Modell ZEr 30, wird innerhalb des nächsten Jahres die automatische Signalplanänderung, das heißt mit anderen Worten die automatische Ampelphasenänderung, im ganzen Stadtgebiet übernehmen.

Bisher steuert der Zentralrechner allerdings erst 180 der insgesamt 705 an die Münchner Verkehrsleitzentrale angeschlossenen Lichtzeichenanlagen verkehrsabhängig. Für den weitaus größeren Teil der Ampeln in der bayerischen Landeshauptstadt ist zunächst eine Zwischenlösung gefunden worden:

Sie "gehorchen" den in sechs Stadtteilzentralen aufgestellten und mit Festzeitprogrammen ausgestatteten Gebietscomputern oder Relaisstellwerken.

Wenn die zentrale verkehrsabhängige Umlaufzeitenauswahl an allen Ampeln Wirklichkeit geworden ist, werden die erst jüngst angeschafften Gebietscomputer teilweise "arbeitslos", sind jedoch als "Vermittlungsglied" zwischen der VLZ und den Ampeln sowie aus Sicherheitsgründen von großer Bedeutung. Sollte der Zentralcomputer nämlich einmal ausfallen, stellen sich die Ampeln vorübergehend wieder nach verkehrsunabhängigen Festzeitprogrammen um.

Der zweite Systemkomplex des Münchner Modells zur Ampelumschaltung ist die ebenfalls verkehrsabhängige Grünzeitenmodifikation, die dezentral durch den Einsatz von Minicomputern direkt an den Lichtzeichenanlagen selbst erfolgen soll. Eine Aufrüstung mit Mikroprozessoren läuft zur Zeit erst an. Es ist geplant, diese Form der dezentralen Verkehrsbeeinflussung bei 20 Prozent der Ampeln zu realisieren. Das Nebeneinander einer zentralen Umlaufzeitenänderung und einer dezentralen Grünzeitenmodifikation an den Knoten begründet der beim Kreisverwaltungsreferat München mit der Logistik der ganzen Anlage befaßte Verkehrsingenieur, Witold Jendryschik, so: "Wenn man die verkehrsabhängige Steuerung auf zwei Beine stellt, wird das Risiko geringer. Aus sicherheitstechnischen Gründen ist eine Datenübertragung zwecks Steuerung allein über Kabel problematisch, weil es ja immer mal zu Störungen kommen kann."

Apropos Störungen: Wenn einmal sämtliche Steuerungsprogramme ausfallen, kann über den Zentralrechner auch jede Umlaufzeit manuell umgestellt werden.

In der VLZ nur Überwachung

Ansonsten findet in der mit einem großen Bedienerkomfort ausgestatteten Verkehrsleitzentrale nur die Überwachung der Lichtzeichenanlagen beziehungsweise des Verkehrs statt. Hierzu stehen den vier dort angestellten "Verkehrspolizisten" mehrere Farbbildschirme zur Verfügung, auf denen per Knopfdruck die aktu ellsten Informationen über den "Stand der Dinge" an jeder Lichtzeichenanlage erscheinen. Somit erfahren die Mitarbeiter in der Verkehrsleitzentrale alle Störungen ereignisorientiert und können im Bedarfsfall sofort ein Reparaturkommando auf den Weg schicken.

Im Zuge der Neuausstattung der Münchner Verkehrsleitzentrale wurde auch ein Drucker angeschafft. Er ermöglicht fortan eine exakte Archivierung aller Programmschaltungen und Störungsmeldungen. Früher hingegen mußte die Dokumentation der Störungen manuell und auf Karteikarten erfolgen.

Hans Paul, der Leiter der neuen und hauptsächlich von Siemens eingerichteten Verkehrsleitzentrale lobt besonders den großen Bedienkomfort der Anlage: "Die Überwachung und die eventuell notwendig werdenden Eingriffsmöglichkeiten sind durch eine übersichtliche Anordnung der Funktionstasten an den neuen Schaltpulten einfacher geworden. Auch die Bildschirme bringen uns Erleichterungen, da wir alle wichtigen Informationen immer sofort vor Augen haben können. "

Gekostet hat die Realisierung des neuen Verkehrskonzepts bisher 3,7 Millionen Mark. Warum sich die Stadt München zu einer Umrüstung entschlossen hat, dazu der Baudirektor und Leiter der Abteilung Verkehrssicherheit beim Baureferat, Helmuth Richter: "Die frühere Anlage mitsamt ihren Bedienungseinrichtungen war völlig veraltet, und mit dem letzten Rechner hätten wir nur maximal 400 Ampeln verkehrsabhängig steuern können." Langfristig gesehen bringe das neue System für die "Verkehrspolizisten" in der Zentrale besonders am Wochenende wesentliche Vorteile, da sie dem am Samstag und am Sonntag veränderten Verkehrsaufkommen nicht mehr durch eine manuelle Steuerung Rechnung tragen müßten.

Helmut Richter räumt allerdings ein, daß bei der jetzigen Anlage auch nicht alles Gold ist, was glänzt. So seien beispielsweise die für die Ausführung der verkehrsabhängigen Steuerung an den Ampeln installierten Induktionsschleifen recht störanfällig und würden auf "Verparkungen" in der zweiten Reihe mit der Anzeige einer Maximalbelastung reagieren, wodurch der Zentralcomputer nicht mehr verkehrsabhängig steuern könne.

Die Entscheidung für ein Siemens-System sei gefallen, nachdem mehrere Unternehmen ihre Kostenvoranschläge vorgelegt hätten, meint Richter weiter. Siemens habe das günstigste Angebot unterbreitet und auch die besten Konditionen für die Wartung angeboten. Genaue Zahlen wollte er jedoch in diesem Zusammenhang nicht nennen.

Einsparungen ergeben sich durch das neue Verkehrsleitkonzept für die Stadt München den Angaben des Baudirektors zufolge nur indirekt, da es nicht zu personellen Veränderungen gekommen sei. Man könne aber davon ausgehen, daß durch die hohe Kapazität des neuen Rechners und die damit möglich werdende Einbeziehung weiterer Ampelanlagen in das System weniger neue Mitarbeiter als ohne den Einsatz der jetzigen Technik gebraucht würden.