Mikrophobie

16.07.1982

Notizen eines Fachbereichsmanagers: Anforderung "Verkaufsstatistik" an die EDV-Organisation zur Projektfreigabe weitergeleitet. Abschlägig beschieden. Die Sache erscheine nicht dringlich. Zudem seien momentan keine Programmierkapazitäten frei. Nach Ablauf von fünf bis sechs Monaten wolle man weitersehen, meinten unsere Datenverarbeiter. Die sitzen ganz schön auf dem hohen Roß. Doch jetzt ist Sense. Eine Freundin meines Sohnes (studiert Informatik) will mir das Programm an zwei Wochenenden schreiben. Nun wird ein XYZ-80-Mikro für meine Abteilung gekauft.

Diese naive Stand-alone-Story bekommt man neuerdings von allen Seiten zu hören. Die XYZ-Hersteller tun sich als Werber für den "privaten" Geschäftscomputer ("Gehört auf jeden Schreibtisch") naturgemäß besonders hervor. Ob die Akquise beim Sachbearbeiter ankommt, wurde bislang noch nicht untersucht.

Keine Frage: Es gibt individuelle Insellösungen, die sich schnell und wirtschaftlich auf Tischcomputern realisieren lassen - "Notizbuch"-Anwendungen etwa. Soll doch der Marketingmann seine Gedächtnisstütze haben. Und der Techniker seinen Timesharing-Anschluß. Affären um Außer-Haus-Verarbeitung gab es schon immer. Doch wenn überall im Unternehmen DV-Metastasen entstehen, unorganisierte Mini-Rechenzentren mit Mikrocomputern, hört der Spaß auf. Nicht, daß die Mikros pauschal zu verurteilen sind, als Unkraut, das man am besten ausrottet, bevor es die ganze Daten-Ernte verdirbt. Im Verbund mit Hostrechnern eingesetzt, haben die kleinen Kraftpakete durchaus ihre Vorteile: für den Endbenutzer wie für die EDV. Zu bedenken ist aber, daß der flinke Personal-Computer-Käufer des DV-Chinesischen nicht mächtig, die Folgen seiner Entscheidung nicht abschätzen kann. Beispiel: Unser Fachbereichler glaubt vielleicht, sein Amateurprogramm, auf die Schnelle gestrickt, sei sicher. Oder: Hat er auch eruiert, ob die Hardware ausbaufähig ist? Sich über diesen Punkt einschläfern zu lassen, fällt sogar noch unter die Kategorie "Kavaliersdelikt". Den Herstellerangaben zu trauen, kommt in den besten RZ-Familien vor. Die EDV-Organisation weiß aber immerhin, wer im Unternehmen welche Anforderungen stellt, teure Doubletten können so vermieden werden. Fast noch wichtiger: Integration von Daten und Programmen, überlebenswichtig für dezentrale Organisationen, ist eine Jahrzehntaufgabe, die keine Flickschusterei verträgt. Datenbanken, Schnittstellen und Datenübertragung heißen hier die Dollpunkte.

Von alldem hat der Mikro-Fan keine Ahnung. Der DV-Spezialist, und nur dieser, kann ihn lehren, die neuen Informationstechniken, die heute zweifellos auch von DV-Laien beherrschbar sind, im Rahmen eines Gesamtkonzepts sinnvoll einzusetzen, ein Schulungs- und Ausbildungsproblem, das Fingerspitzengefühl verlangt.

Das Profil des heutigen DV-Managers, so Branchenkenner, bietet indes keinen Anlaß zur Selbstzufriedenheit. Im betrieb, kritisieren Personalfachleute, kapseln sie sich ab; sie verstehen sich als Elite. Um seinen Job brauchte sich der DV-Spezialist bisher allerdings keine Sorgen zu machen. Ein Gefälle sicherte ihn ab. Know-how gab man nicht preis. Seine fachliche Kompetenz wurde bewundert.

Für die Unternehmensleitungen stellt sich aber immer mehr die Frage, ob es den DV-Verantwortlichen gelingt, aus dem Potential an Computernutzern in den Fachbereichen aktive Gesinnungsgenossen zu gewinnen, die an einem integrierten Informationssystem mitarbeiten, anstatt Verbundlösungen durch Eigenbrödelei zu verhindern. Angst vor den Personal Computern ist ein schlechter Ratgeber.