Mikroelektronik: Den Zug nicht endgültig abfahren lassen

23.03.1984

Professor Dr. Gerhard Krüger Universität Karlsruhe, Institut für Informatik III

In diesen Tagen hat das Bundeskabinett den "Regierungsbericht Informationstechnik" verabschiedet. Mit diesem Bericht, der in Wirklichkeit ein Programm darstellt, wird die Ankündigung der Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 eingelöst, eine umfassende Konzeption der Bundesregierung für die schlüsseltechnologischen Bereiche der Mikroelektronik, der Informations- und Kommunikationstechnik vorzulegen. Der Bericht ist in einer "konzertierten Aktion" von allen sachlich betroffenen Bundesministerien erstellt worden. Es besteht daher die Hoffnung, daß die Probleme der mangelnden Zuständigkeiten beziehungsweise von Kompetenzschwierigkeiten zwischen den Ressorts, die frühere DV-Programme nach Meinung vieler Beobachter in ihrem Wirksamwerden und ihrem volkswirtschaftlichen Mobilisierungseffekt behindert haben, der Vergangenheit angehören. Mit einem Aufwand von rund drei Milliarden Mark für die Jahre 1984 bis 1988 wird das neue Informationstechnik-Programm eine sehr begrüßenswerte Wende in der Forschungs- und Technologiepolitik zugunsten von Informatik Datenverarbeitung und Mikroelektronik darstellen.

Entgegen den dominierenden internationalen Trends hatte bekanntlich die Bundesregierung seit 1976 ihre Aufwendungen für die Forschungsforderung in der Informations- und Datenverarbeitung (einschließlich der Mikroelektronik) laufend reduziert (Bericht der Bundesregierung vom 5. 4. '82).

Um den Anschluß kämpfen

Gegenüber den "Mikroelektronik"- und "Informatik"-Supermächten USA und Japan wurde wertvolles Terrain in der Beherrschung dieser Spitzentechnologien preisgegeben, was sich inzwischen nicht nur in der ungünstigen Import-/Export-Bilanz bei den Halbleiterbauelementen, den Geräten der Büro- und Informationstechnik, sondern auch bei den Hauptstützen unserer Exportkraft, den Branchen Maschinenbau und Elektrotechnik, deutlich bemerkbar macht.

Tenor des Regierungsberichts ist daher der Wille der staatlichen Seite durch die Förderung gemeinsamer "Verbundanstrengungen" von Staat, Wirtschaft und Wissenschaft technologische Rückstände in bestimmten Gebieten aufzuholen, zukunftsweisende neue Entwicklungslinien aufzugreifen und die Anwendungen der neuen Informations- und Kommunikationstechnik nachdrücklich zu fördern.

Die Zeit dafür ist kurz und schnelles unbürokratisches Handeln unbedingt erforderlich. Es bedarf keiner großen Prognosekraft, um vorherzusagen, daß die Jahre bis 1990 im Wettlauf der hochindustrialisierten Länder um die Spitzenplätze wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit in der Beherrschung von Informatik und Mikroelektronik eine (Vor-)Entscheidung für Jahrzehnte bringen werden.

In dieser Situation hilft der Bundesrepublik Deutschland (und der Europäischen Gemeinschaft) nur eine Bündelung aller verfügbaren Kräfte.

Die Rolle der universitären Informatik

In verschiedenen den Regierungsbericht vorbereitenden Memoranden der informationstechnischen Wirtschaft und Vertretern von Wissenschaft und Technik wird die zentrale Funktion der universitären Mitwirkung im geplanten Forschungsverbund mit Industrie und Großforschung, besonders in den grundlegenden Fragen der Informatik und ihren Anwendungen hervorgehoben. An anderer Stelle wird auch Kritik an der Breite und Praxisnähe der Forschungsleistungen der Hochschulinformatik, beispielsweise im Vergleich zu den US-Spitzenuniversitäten wie MIT, Carnegie -Mellon-University oder Stanford-University laut.

Betrachtet man die deutsche Informatiklandschaft, sind in der Tat Zweifel erlaubt, ob die Informatikfakultäten beziehungsweise -fachbereiche die ihnen zugedachte Verbundforschungsrolle als "Marktplätze der Ideen und Innovationen" und als Lieferanten von Absolventen mit Spitzenqualifikationen erfüllen können. Das junge Hochschulfach Informatik ist zwar an 16 Universitäten mit ungefähr 2400 Studienplätzen pro Jahr etabliert, aber in den meisten Bundesländern im wesentlichen auf den Stand von 1975/76 eingefroren.

Die Mahnungen der Gesellschaft für Informatik, die Zahl der Studienanfängerplätze auf mindestens 4000 auszubauen, fanden nur in Baden-Württemberg und Bayern ein sichtbares Echo.

Grob geschätzt kann man bundesweit von nicht viel mehr als 150 Professorenstellen und im Mittel höchstens zwei bis drei auf befristeten Planstellen tätigen wissenschaftlichen Assistenten pro Professorenstelle ausgehen. Diesem kleinen Häuflein von 500 bis 600 Wissenschaftlern steht nach dem letzten großen Zulassungsschub zum Wintersemester 84/85 ein Studentenberg von knapp 20 000 Informatikstudenten im Hauptfach Informatik gegenüber, davon allein über 3000 in Karlsruhe und München. In der hochgelobten Eliteuniversität Carnegie-Mellon dagegen betreut ein Wissenschaftler (vorzugsweise Professoren) fünf graduierte Computer-Science-Studenten.

Noch kein Numerus clausus

Nach Feststellung der Westdeutschen Rektorenkonferenz ist Informatik mit 180 Prozent Auslastung mit Abstand das am stärksten überlastete große Studienfach in der Bundesrepublik überhaupt. Es gibt deutliche Anzeichen, daß auch zum Wintersemester 84/85 der Zuwachs an Studienplatzbewerbern für Informatik erneut, wie in den Vorjahren, um mindestens 25 Prozent ansteigen wird.

Aus übergeordneten Gründen und wegen der noch guten Berufsaussichten für Diplom-Informatiker haben es die Kultusminister der Länder in den letzten Tagen mehrheitlich abgelehnt, der Hochschulinformatik eine Schonfrist in Form einer bundesweiten Zulassungsbeschränkung (Numerus clausus) zu gewähren. Auch der "Regierungsbericht Informationstechnik" vertritt das Offenhalten des Studienfaches Informatik. Die informatikanbietenden Hochschulen haben durch ihr Sprachrohr, den Fakultätentag Informatik, zweifelsfrei deutlich gemacht, daß der zu erwartende Ansturm von Studienanfängern auf die - wie erwähnt - schon heute total überlasteten Informatikfakultäten zu für Studenten. Assistenten und Professoren unzumutbaren Studien- und Arbeitsbedingungen führen muß.

Eine durch totale Überlegung in Forschung und Lehre praktisch nur noch im Notbetrieb arbeitende Hochschulinformatik kann aber kein vollwertiger Partner für das vom Regierungsbericht anvisierte Ziel sein, der Bundesrepublik einen Platz in der Spitzengruppe der Indistrienationen mit höchstentwickelter Informationstechnik zu sichern.

Hier liegt ein Zielkonflikt der durch klare politische Prioritäten entschieden werden muß.