Migration auf kyrillisch

02.06.2006
Mit der durchgängigen Einführung einer Lösung für das Enterprise Resource Planning (ERP) verbessert die Ehrmann-Gruppe ihre Voraussetzungen für Wachstum und internationale Expansion. Die bislang heterogene IT-Landschaft aus Eigenentwicklungen und punktuell eingesetzten Standardapplikationen wird schrittweise homogenisiert, um Prozesse der Milchproduktion effizienter zu gestalten sowie kunden- und marktnäher zu agieren.

Das Traditionsunternehmen Ehrmann mit Sitz in Oberschönegg im Allgäu hat sich in den letzten 80 Jahren vom Ein-Mann-Betrieb zu einem der führenden Unternehmen der deutschen Milch- und Lebensmittelwirtschaft entwickelt. Heute verfügt die Ehrmann AG über drei Produktionsstandorte in Deutschland sowie weitere in Tschechien und Russland. Ehrmann-Produkte sind in 40 Ländern der Welt erhältlich.

Mit dem Wachstum kamen aber auch Probleme: Gerade die spezifischen Prozesse in der Molkerei- und Lebensmittelbranche erfordern eine durchgängige IT-Unterstützung, um effizient produzieren und den wachsenden Marktanforderungen entsprechend flexibel reagieren zu können. Hoher Kostendruck und erhebliche logistische Anforderungen erfordern in dem kundengetriebenen Markt jederzeit verfügbare Übersicht über Material, Produktions- und Vertriebskosten.

Vor allem die Integration internationaler Standorte ist mit heterogenen IT-Systemen nur sehr aufwendig zu bewerkstelligen.„Unsere IT-Landschaft bestand aus einer Vielzahl von Eigenentwicklungen und Standardlösungen in verschiedenen Bereichen“, erinnert sich IT-Projektleiter Volker Scholz. „Diese Komplexität schränkte unsere Beweglichkeit ein: Prozessänderungen waren zeitintensiv, da die beteiligten Teilsysteme für Vertrieb, kaufmännische Applikationen und die Controlling-Logistik-Module individuell verändert werden mussten.“ Ehrmann-Vorstand Wolfgang Graf bringt die Situation auf den Punkt: „Vor der Neuausrichtung war unsere Software-Situation im ERP-Umfeld nicht mehr zufrieden stellend und reichte funktional nicht mehr aus, um unsere Wachstumsstrategie zu unterstützen.“

Den entscheidenden Ausschlag für die komplette Neuausrichtung mit SAP gab der Produktionsstandort in Russland: In Raos, 40 Kilometer vor den Toren Moskaus, produziert das Unternehmen seit fünf Jahren Milchprodukte für den gesamten russischen Markt und weitere GUS-Staaten.Als das ursprünglich installierte, russische ERP-Programm erneuert werden sollte, erwies sich schnell, dass die in der Ehrmann-Zentrale installierte Software in Russland nicht einsetzbar war. Es mangelte beispielsweise an der Unterstützung für kyrillische Schriftzeichen. „Schlimmer noch war die fehlende Funktionalität, um die komplexen Anforderungen der russischen Finanzbehörden zu erfüllen“, blickt Projektleiter Scholz zurück. „Wir haben uns für die Standard-Software mySAP ERP entschieden, denn die SAP-Lösung hat weder mit der kyrillischen Schrift noch mit den landestypischen BuchhaltungsvorschriftenProbleme.“

Implementierung in maßgeschneiderten Schritten

In einer ersten Projektphase wurden die Kernprozesse auf SAP umgestellt und dazu Module für Controlling, Finanz- und Materialwirtschaft eingeführt. In der nächsten Stufe steht der Aufbau der Mehrlagersysteme, die Abbildung der Materialflüsse, die Anbindung des Hochregallagersystems, der Produktionsplanung und Disposition sowie die Integration des milchwirtschaftlichen Controlling-Systems Felix III im Rahmen des Betriebs-Controllings und der Prozesskostenrechnung an. Schließlich sollen im letzten Schritt die Vertriebskostenrechnung und der Vertrieb kaufmännisch und logistisch in das SAP-System integriert werden. Im russischen Werk wurde die SAP-Lösung Anfang 2004 produktiv gesetzt, Ende des Jahres begann die Migration an den deutschen Standorten. Seit Juli 2005 sind nun in der Konzernzentrale und bei einem Teil der deutschen Töchter die SAP-Module für Finanzbuchhaltung, Rechnungswesen und Controlling,Materialverwaltung und Lager sowie Einkauf im Einsatz.

„Die Umstellung war schon ein Riesenaufwand, da die gesamte Einführung neben dem laufenden Tagesgeschäft stattfand. Als Mittelständler können wir es uns nicht leisten, ein paar Leute für mehrere Monate freizustellen“, blickt Scholz zurück. Vor allem die übergreifende Implementierung an verschiedenen Standorten und Funktionsbereichen, der Parallelbetrieb mit Altsystemen und das stückweise Abschalten dieser Systeme musste exakt geplant sein.„Es ging uns ja nicht nur darum, dass am Ende des Projekts der Erfolg eintritt – wir wollten auch mit jedem einzelnen Schritt besser werden“, so Scholz.

Dazu bedurfte es auch zusätzlicher Fachkompetenz und vor allem SAP-Know-how, das bis dahin im Unternehmen nicht vorhanden war. Mit der straffen Personaldecke konnte Ehrmann die SAP-Einführung allein nicht bewältigen. „Bei unseren bewusst knapp kalkulierten Personalressourcen war es besonders wichtig, einen Implementierungspartner zu finden, der entsprechende Branchen-und Prozesserfahrung mitbringt“, erklärt Scholz. Ehrmann hat sich für die Realtime AG aus Langenfeld entschieden, ein anerkannter Spezialist für SAPImplementierungen in der Konsumgüter- und Nahrungsmittelindustrie.

Wettbewerbsfähigkeit vereint stärken

Insgesamt zieht Ehrmann eine positive Bilanz und freut sich über den direkten Draht zum Hersteller SAP.„Wir haben dabei den Eindruck gewonnen, dass SAP die Bildung von Communities fördert und dort unterstützt, wo es notwendig ist“, berichtet Graf. Konkrete Zahlen zu dem Migrationsprojekt bei Ehrmann möchte Graf, der im Vorstand für Finanzen, Verwaltung und Informationstechnologie zuständig ist, nicht nennen.

Ein wichtiger Aspekt für die erfolgreiche Migration war die frühzeitige Einbindung der Nutzer und zukünftigen Verantwortlichen in das Prozessdesign. Ein stringentes Projektmanagement und umfassende Schulungsmaßnahmen gaben den Mitarbeitern Sicherheit. „Alle Beteiligten wurden in der Projekt-Governance geschult. Von der Zusammenstellung der Teams, über Termine und Kommunikationswege, die Organisation der Besprechungen bis hin zu Protokollen und Entscheidungspfaden haben wir alle Teilnehmer gemäß ihrer Rolle im Projekt ausgebildet“, erläutert Scholz.Hinzu kamen mehrtägige Seminare zum Thema Customizing und Prozessmodellierung für die Hauptnutzer und Prozessverantwortlichen aus den Fachbereichen sowie Face-to-Face-Schulungen mit den Realtime-Beratern am Arbeitsplatz.Außerdem erhielten die Mitarbeiter der IT-Abteilung bei SAP Basisschulungen im SAP-Betrieb.

Vorstand Wolfgang Graf zieht jedenfalls ein positives Fazit: „Ich bin sicher, dass wir mit der konsequenten Neuausrichtung unserer Software- und Prozessplattform den strategischen Grundstein für Wachstum und Prozesseffizienz gelegt haben, um auch in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren marktgerecht und kundenorientiert operieren zu können“, resümiert er zufrieden.