Microsofts Trippelschritte hin zu SaaS

11.10.2007
Die Ankündigungen im Markt für Mietsoftware belegen Microsofts behutsame Annäherungsversuche.
Anwender sehen noch einige Hürden bei der Nutzung von Software as a Service. Doch die Barrieren werden niedriger werden, so dass einer breiten Akzeptanz des Mietmodells nicht mehr im Wege steht. Marktbeobachter erwarten eine Koexistenz von On-premise- und On-demand-Modellen. (Quelle: Forrester Research)
Anwender sehen noch einige Hürden bei der Nutzung von Software as a Service. Doch die Barrieren werden niedriger werden, so dass einer breiten Akzeptanz des Mietmodells nicht mehr im Wege steht. Marktbeobachter erwarten eine Koexistenz von On-premise- und On-demand-Modellen. (Quelle: Forrester Research)

Um markige Sprüche war Steve Ballmer, CEO von Microsoft, noch nie verlegen. Selbst im Geschäft mit Mietsoftware, in dem die Company Getriebener statt Antreiber ist, hält sich der Einpeitscher keineswegs zurück: "Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um loszulegen", rief Ballmer auf der Partner-Konferenz im Juli 2007 in Denver. "Wir brauchen das Beste aus der Desktop-Welt, das Beste aus der Unternehmenswelt und das Beste aus der Online-Welt. Wir müssen reichhaltige Benutzerschnittstellen, Offline- und Online-Zugang sowie das, was ich als persönliche Integration zum Mitnehmen bezeichnen möchte, zusammenbringen, es integrieren, speichern und miteinander verknüpfen, und zwar in einer einzigartigen und frei wählbaren Art und Weise."

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Was sich hinter den angekündigten Online-Diensten verbirgt;

warum Microsoft in diesem Markt so vorsichtig agiert;

welche Rolle künftig dem Partnernetz zukommt;

welche Strategie Microsoft im SaaS-Markt verfolgt.

Microsofts neue SaaS-Ankündigungen:

In der "Online-Reihe", die ausschließlich für Anwender mit mehr als 5000 Nutzern vorgesehen ist, hat Microsoft zwei neue Dienste in Aussicht gestellt:

n "Microsoft Exchange Labs" ist ein Forschungs- und Entwicklungsprogamm etwa für Institute und Universitäten. Sie können mit diesem Dienst Messaging- und Unified-Communications-Anwendungen mit hohen Nutzerzahlen testen. Hier gibt es laut Anbieter erste Gespräche mit interessierten Bildungseinrichtungen und Hochschulen in Deutschland.

n Die "Microsoft Biztalk Services" sollen es einfacher machen, im Netz verteilte Anwendungen zu erstellen. Der Online-Dienst wird zunächst als Pilotversuch gestartet; wann die On-demand-Lösung den Softwareentwicklern zur Verfügung steht, ist noch nicht bekannt.

Die bemerkenswerteren Nachrichten betreffen die Live-Produktreihe. In diesem Segment gibt es bereits ebenfalls seit geraumer Zeit einige Lösungen, beispielsweise "Microsoft Office Live" und "Xbox Live". Hinzugekommen sind:

n "Microsoft Office Live Workspace" ist eine webbasierende Plattform für den Austausch von Dokumenten jeglichen Formats. "Das erspart mir den Datentransport per USB-Stick", freut sich Ovum-Analyst David Bradshaw. Via Browser inklusive Software-Add-on können Anwender Dokumente gemeinsam bearbeiten, wenn denn der Dienst verfügbar wäre. Bislang können sich Interessenten lediglich für die kostenlose Beta-Version anmelden. Einen Termin für den offiziellen Start des Online-Service hat Microsoft bislang nicht veröffentlicht.

n An den Start geht Microsoft ab sofort mit "Dynamics Live CRM" allerdings nur in den USA. Wann der Dienst in Deutschland verfügbar ist und wie viel er kosten wird, ist bislang noch nicht bekannt. Das zur Miete angebotene Kunden-Management-System ist Antwort auf die Herausforderung durch SaaS-Anbieter wie Salesforce.com und Rightnow.

n Neu an der Lösung "Office Live Small Business" ist lediglich der Produktname (bislang "Microsoft Office Live"). Dahinter stehen Mietservices für die E-Mail-Kommunikation sowie für Betrieb und Pflege der eigenen Homepage.

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Zwei neue Produktreihen

Drei Monate später, Anfang Oktober, ließ Microsoft den Sprüchen vermeintliche Taten folgen und kündigte innovative Dienste im Markt für Mietsoftware an. "Dahinter verbirgt sich im Wesentlichen nur eine neue Markenstrategie", fasst David Bradshaw, Analyst bei Ovum, die Meldung ein wenig enttäuscht zusammen. Der Kern der Aussage aus Redmond lautet nämlich: Wir bringen Ordnung in unser Online-Geschäft, daher gibt es künftig zwei Produktlinien für Mietsoftware: Die "Live"-Reihe richtet sich an Privatanwender sowie kleine Büros und Unternehmen. Die Services der "Online"-Ausführung sind ausschließlich für Großunternehmen mit mehr 5000 Mitarbeitern gedacht.

Die Ernüchterung des Ovum-Analysten hat ihren Grund vor allem darin, dass die von Microsoft in Aussicht gestellten Produktneuheiten zum Großteil nur Updates sind und zumeist weder Verfügbarkeit noch Preis bekannt sind. Die Online-Reihe besteht beispielsweise aus den Produkten "Exchange Online", "Sharepoint Online" sowie "Communications Online". Alle drei Ausführungen gab es bis dato bereits als Mietlösung von Hosting-Partnern. Neu ist lediglich, dass Microsoft die Lösungen nun auch selbst in eigenen Rechenzentren im Kundenauftrag betreibt. Darüber hinaus kündigte das Unternehmen lediglich neue Updates, den erwarteten Start der hauseigenen On-demand-CRM-Lösung sowie einen webbasierenden Dokumenten-Management-Dienst an (siehe Textkasten).

Saas benötigt keine Partner

Alles in allem sind die Neuerungen bislang wenig geeignet, im Geschäft mit Mietsoftware neue Akzente zu setzen. Möglicherweise möchte Microsoft in diesem Markt aber auch nicht vorpreschen, denn das Unternehmen hat im Vergleich zu reinen SaaS-Anbietern viel zu verlieren. Da wäre beispielsweise das große Partnernetz, das am Lizenzgeschäft gut verdient. Microsoft braucht die Partner für den Vertrieb der Lizenzsoftware sowie für ergänzende Services etwa bei Installation, Wartung und Support der Lösungen. "Der Schwenk zum Mietmodell macht das Leben für die Partner schwieriger", warnt Christian Glas, Senior Consultant beim Marktforschungshaus PAC in München. "Doch die Softwareanbieter müssen diesen Weg einschlagen, denn die Kunden fordern die Wahl zwischen den verschiedenen Modellen ein. Das gilt nicht nur für Microsoft, sondern auch für andere Hersteller wie beispielsweise SAP." Schwierig ist die Situation für die Partner, weil sie im SaaS-Geschäft, das ja direkten Geschäftskontakt zwischen Hersteller und Nutzer vorsieht, nicht wirklich benötigt werden darauf basiert zumindest das Geschäftsmodell reiner SaaS-Anbieter. Das kann jedoch nicht der Weg des Weltmarktführers sein, denn er benötigte ein dichtes und stabiles Vertriebs- und Betreuungsnetz für das herkömmliche Lizenzgeschäft. "Das Unternehmen ist sehr interessiert am Wohlergehen der Partner", berichtet etwa Ovum-Analyst Bradshaw. "Dort, wo Hosting-Verträge direkt mit Microsoft abgeschlossen werden, holt die Software-Company Partner für die Integration und das Customizing ins Boot. Außerdem gibt es in großen Hosting-Abschlüssen eine Vertriebskompensation."

Eine Lösung für Großkunden

Auch die hohe Eintrittshürde für Anwenderunternehmen, die mindestens 5000 User vorweisen müssen, um das neue Online-Angebot nutzen zu dürfen, ist eine der Schutzbarrieren für das Partnernetz, die Microsoft errichtet hat. Außerdem können die Partner Integrationsarbeit für solche Großkunden leisten, die die Applikationen der Online-Reihe erwerben, um sie als Hosting-Lösungen im internen Shared-Service-Center ihren Niederlassungen und Geschäftspartnern zur Verfügung zu stellen. Last, but not least können Microsoft-Partner die Software selbst im eigenen Rechenzentrum hosten und an Kunden gegen monatliches Entgelt vermieten. Doch "kleine Partner können das kaum leisten", schränkt Glas ein. Zudem bieten Hosting-Angebote kaum Differenzierungsmöglichkeiten. Hier entscheidet der Preis über den Wettbewerb.

Die Margen schwinden

Trotz der zahlreichen Unterstützungsversuche bleibt den Partnern im SaaS-Markt weniger vom derzeit üppigen Geschäft, denn die SaaS-Margen sind kaum mit denen des Lizenzgeschäfts vergleichbar. Partner und Hersteller sitzen hier im gleichen Boot, weil auch Microsoft sich im unbequemen SaaS-Umfeld mit einer härteren Gangart und niedrigeren Margen konfrontiert sieht. "Gerade Microsoft, SAP und Oracle haben im Lizenzgeschäft sehr hohe Gewinnspannen. Die werden sie im SaaS-Umfeld nicht halten können. Mit dem Eintritt in den Markt für Mietsoftware gefährden die Anbieter ihr angestammtes Geschäft zumindest teilweise", weiß Glas. Ihnen bleibt jedoch keine andere Wahl, denn Anbieter wie Salesforce, Rightnow und auch Google bieten Anwendern Alternativen, und vor allem Anwender in den USA aber auch zunehmend deutsche User nehmen sie bereits gerne an. "Kunden wollen die Wahl haben, wenn sie die nicht bei ihrem bisherigen Lieferanten bekommen, suchen sie sich woanders ihre Lösung", bringt es Bradshaw auf den Punkt. Bevor Microsoft und Co. ihre Kunden an die neuen Wettbewerber verlieren, bieten sie ihnen selbst alternative Bezugsquellen für die Softwarenutzung an. "Für die Anwender ist das nicht die schlechteste Ausgangssituation", freut sich Glas.

Software plus Service

Vor diesem Hintergrund ist die vorsichtige Annährung des Unternehmens an das aufstrebende Mietmodell nachvollziehbar. Schritt für Schritt baut Microsoft ebenso wie beispielsweise SAP und Oracle das On-demand-Geschäft aus, ohne das ungleich lukrativere Lizenzgeschäft vorschnell zu kannibalisieren. Wenngleich das Vorgehen sehr zögerlich erscheint, bescheinigt Ovum-Analyst Bradshaw dem Unternehmen eine durchdachte Vorgehensweise: "Microsoft verfolgt eine klare Strategie, obwohl sie möglicherweise sehr komplex erscheinen mag. Das ist aber auch verständlich angesichts des Umfangs der Produktpalette." Immerhin muss man Firmenchef Ballmer mit seinem Gespür für klare Botschaften zugestehen, dass es ihm gelungen ist, die komplexe Strategie in eine einfache Formel zu gießen: "Software plus Services" lautet künftig das Microsoft-Motto in einer hybriden Online- und Offline-Welt. Gemeint ist die Kombination aus lokal installierter Software und Online- beziehungsweise mobiler Applikationen. Sie könnte das Beste aus allen Welten miteinander verknüpfen, also etwa die gute Anpassung an Prozesse, die lokale Installationen bieten, mit der schnellen Inbetriebnahme von SaaS-Lösungen und den ortsabhängigen Zusatzdiensten der mobilen Welt.

Bei CRM könnte dies etwa so aussehen, dass Vertriebsmitarbeiter im Haus die an ihren Bedürfnissen ausgerichtete lokale Softwareinstallation nutzen. Unterwegs greifen sie via Online-Zugang auf eine SaaS-Lösung zu, die ergänzende Dienste wie etwa einen Routenplaner integriert. Eine derartige Lösung strebt Microsoft beispielsweise mit der Version 4.0 von Dynamics Live CRM an. "Einerseits reagiert Microsoft auf die Herausforderung des Marktes, andererseits kombiniert das Unternehmen geschickt Internet-basierende Applikationen mit lokalen Installationen das können Provider wie Salesforce und Rightnow nicht bieten", staunt PAC-Analyst Glas.

Microsofts Fundament bröckelt

Schenkt man den Marktbeobachtern Glauben, dann wird sich mit dem zunehmenden Erfolg von SaaS die Softwarelandschaft grundlegend verändern. Es wird keinen klaren Schnitt geben, sondern einen langsamen Übergang zu einer Situation, in der On-premise und On-demand-Modelle nebeneinander existieren. Ovum-Experte Bradshaw erwartet, dass in den kommenden fünf bis zehn Jahren der Anteil der SaaS-Software auf 30 bis 50 Prozent zulegen wird. Derzeit schätzen Analysten das Verhältnis der Modelle auf eins zu zehn zugunsten der Lizenzsoftware genaue Daten gibt es jedoch nicht. Auch PAC-Berater Glas sieht einen Markt im Wandel: "Der Anteil der lokal installierten Software am Gesamtgeschäft wird langfristig abnehmen. Damit büßt Microsoft im bislang dominierten Geschäft das Alleinstellungsmerkmal ein." Microsoft muss sich auf einen härteren Wettbewerb einrichten.