Microsoft will mehr vom ERP-Kuchen

14.02.2006
Der Softwarekonzern will sich durch die Office-Integration im ERP-Markt differenzieren.
So stellt sich Microsoft die künftige ERP-Landschaft vor: Im Hauptquartier läuft ein SAP-System, in den Niederlassungen eine Microsoft-Lösung.
So stellt sich Microsoft die künftige ERP-Landschaft vor: Im Hauptquartier läuft ein SAP-System, in den Niederlassungen eine Microsoft-Lösung.

Der Softwarekonzern hatte in das dänische Entwicklungszentrum bei Kopenhagen eingeladen, um seine ERP-Strategie zu erläutern. "Wir arbeiten daran, Business-Software zu bauen, die Anwendern wirklich etwas bringt", wirbt James Utzschneider, General Manager Microsoft Dynamics Marketing, für das Konzept seines Unternehmens. Dabei gehe es darum, die Beziehungen zwischen Menschen in einem Unternehmen und den Geschäftsprozessen auf eine neue Ebene zu heben. Bisherige betriebswirtschaftliche Standardsoftware sei in Funktionsgruppen für das Finanzwesen, Kundenbeziehungs-Management und Lieferkettenverwaltung eingeteilt. Die Softwarenutzer benötigten auch oft Teilfunktionen aus diesen Bausteinen, um ihren Job zu erledigen, die Interfaces der besagten Software hinderten sie aber daran.

Dynamics setzt Project Green fort

Klaus Holse Andersen, Vice President von Microsoft Business Solutions Emea, erläutert die Unterschiede zwischen "Dynamics" und "Project Green".

CW: Sie haben mit Project Green Kunden und Partner verunsichert. Was wollen Sie mit Dynamics anders machen?

ANDERSEN: Project Green lag die Idee zugrunde, dass wir die Produkte zunächst behalten und gleichzeitig ein völlig neues System entwickeln, auf das Kunden später migrieren müssen. Der Umstieg wäre für die Anwender jedoch schwierig gewesen, da die neue Lösung ein anderes Daten- und Prozessmodell sowie ein anderes Entwicklungswerkzeug verwenden sollte. Auch den Partnern hätte man zu viel abverlangt. Unsere Dynamics-Strategie hat zum Ziel, die ERP-Produkte Schritt für Schritt anzugleichen, so dass sie die gleiche Datenbank, den gleichen Applikations-Server und mehr und mehr die gleiche Business-Logik verwenden. Auf diese Weise werden Anwender und Partner langsam an die neue Technik herangeführt.

CW: Sie haben heute vier Hauptbücher. Wird es die auch künftig geben?

ANDERSEN: Sie werden in Zukunft ein einziges Hauptbuch vorfinden, das alle Funktionen der vier heutigen umfasst. Dabei gehen keine heute bekannten Produkteigenschaften verloren. Es ist viel einfacher, einem Kunden zu erklären, dass er heute Dynamics Nav kauft und diese Applikation weiter betreiben kann, ohne einen schmerzhaften Migrationsschritt zu gehen.

CW: Ihre Dynamics-Strategie ähnelt SAPs Netweaver-Konzept. Trifft der Vergleich zu?

ANDERSEN: Wir kommen aus unterschiedlichen Richtungen. SAP ist ein ERP-Anbieter, der Middleware bauen will. Microsoft bietet schon lange Middleware, Datenbanken und Portals an. Wir gehen verstärkt in das Geschäft mit Business-Applikationen. Mittelständische Kunden wollen eine Infrastruktur, mit der sie sowohl ihre ERP-Programme als auch alle anderen Applikationen wie ihre Office-Programme betreiben. Dies ist mit SAPs Netweaver nicht möglich.

Office und ERP verschmelzen

Klaus Holse Andersen, Vice President Microsoft Business Solutions für Europa, den Mittleren Osten und Afrika (Emea), gibt die Devise aus: "Der Anwender kann in Zukunft nicht mehr unterscheiden, ob die Informationen aus der Business-Software oder einem Office-Programm stammen." Aus diesem Grund soll Office das Interface für die ERP-Systeme von Microsoft werden.

Die betriebswirtschaftlichen Anwendungsprogramme wie "Dynamics Nav" (vormals Navision) und "Dynamics AX" (vormals Axapta) sollen künftig rollenbasierende Benutzerschnittstellen erhalten. Der Entwicklungsprozess habe bereits begonnen und werde 2007 abge- schlossen sein. In dieser Phase - Microsoft spricht von der "ersten Welle" (Wave 1) - geht es darum, die Integration mit Office und dem "Sharepoint Portal" zu vertiefen. Außerdem wolle man die Business-Anwendungen an das künftige Betriebssystem "Vista" anpassen. Die Office-Kopplung soll eine wichtige Neuerung von Dynamics AX 4.0 und Dynamics Nav 5.0 sein, die im Sommer beziehungsweise Herbst dieses Jahres erscheinen.

Utzschneider präsentierte Bildschirme, über die beispielsweise Sachbearbeiter sehr einfach auf E-Mails, Kundendaten sowie weitergehende Informationen zu einem Kunden zugreifen können, ohne hierzu die Anwendungsmaske zu verlassen. Der Screen ähnelte dem Interface des Internet Explorer 7; eine Testfassung des neuen Browsers hatte der Konzern unlängst freigegeben.

Plattform für Standardsoftware

Mit Dynamics bezeichnet Microsoft die auf .NET, Biztalk und SQL Server aufsetzende Plattform für betriebswirtschaftliche Standardsoftware. Durch Übernahmen hatte der Konzern vier ERP-Lösungen erworben. Diese werden in den nächsten Jahren auf der Basis von Dynamics vereinheitlicht. Damit setzen die Redmonder ihre ursprünglich mit "Project Green" formulierte Strategie unter anderen Vorzeichen fort (siehe Kasten "Dynamics setzt Project Green fort").

Im Zentrum des Benutzerschnittstellenkonzepts für die Business-Lösungen von Microsoft stehen Rollen von Mitarbeitern im Unternehmen.

Nutzer werden aber nicht nur ein besseres User-Interface bekommen, sie sollen auch Geschäftsdaten komfortabel analysieren können. Business-Intelligence-Funktionen (BI) werden dem ERP-Anwender kontextbezogen zur Verfügung stehen, und zwar sowohl in AX als auch in Nav. Damit erhalten nicht nur Manager und Abteilungsleiter, sondern auch Sachbearbeiter BI-Funktionen für ihr Aufgabenspektrum.

Auf den Spuren von SAP

Auf die erste Welle (Benutzerkonzept) soll ab 2008 die zweite Entwicklungsphase folgen. Hier geht es darum, die Funktionen der vier ERP-Linien Dynamics AX, Nav, GP (vormals Great Plains) und SL (vormals Solomons) in eine "Process Library" zu überführen. Aus Prozessbausteinen der Dynamcis-Plattform sollen Partner sowie Anwender mittelfristig Applikationen orchestrieren können. Beispielsweise lassen sich Features zur Projektabwicklung von SL mit den Handelsfunktionen von Nav verbinden. Im Endausbau soll Dynamics eine ähnliche Richtung einschlagen wie SAPs "Business Process Platform" und "Fusion" von Oracle.

ERP-Lösungen für große Firmen

Auffällig ist, dass Microsoft intensiver als bisher Dynamics AX als Alternative zu SAP-Produkten positioniert. Mark Jensen, für das Produkt als General Manager zuständig, behauptet, einige Kunden hätten in ihren Niederlassungen das Microsoft-ERP-Produkt eingeführt, während in der Zentrale SAPs Business-Lösung laufe. Doch Jensen hofft darüber hinaus auf Firmen, die ihre Oracle- oder SAP-Software gegen Dynamics AX eintauschen. "Anwender nutzen SAP im Hauptquartier, aber sie scheuen die Kosten einer Implementierung in den Zweigstellen und Tochtergesellschaften", so Jensen. Etwa 25 Prozent des mit AX erzielten Umsatzes entfallen dem Manager zufolge auf so genannte Hub- and Spoke-Szenarien. Die Narbe (Hub) ist dabei das zentrale ERP-System, die Speichen (Spokes) bilden die Installationen von Dynamics AX in den Außenstellen. "Als Letztes lösen wir dann möglicherweise SAP in der Zentrale ab", hofft Jensen.