Microsoft will cool wie Google sein

14.12.2007
Der Redmonder Softwarekonzern gibt sich Mühe, von seinem schlechten Image eines Monopolisten mit geringer Innovationskraft wegzukommen.

Ein Microsoft-Mitarbeiter, den das Schicksal für zehn Jahre auf eine einsame Insel verschlagen hat, würde bei der Rückkehr nach Redmond sicher Schwierigkeiten haben, sein Unternehmen wiederzuerkennen. Schuld daran sind jedoch nicht die schleichenden Veränderungen, etwa die Hybrid-Autos vom Typ Toyota Prius, die als Shuttle-Taxis rings um das Headquarter in Redmond ihre Kreise ziehen. Auch der Campus selbst ist noch immer der alte. Vielmehr liegt es am Stil, in dem Microsoft mit Kunden, Geschäftspartnern und Kartellbehörden umgeht. Der hat sich gewandelt: Nach dem Motto "If you can't beat them, join them" macht der größte Softwarekonzern der Welt Linux-Entwicklern und der gesamten Open-Source-Community Avancen und schließt öffentlichkeitswirksam Frieden mit früheren Erzfeinden.

Auf Schmusekurs

Der Sinneswandel war erstmals im April 2004 spürbar, als Microsoft fast zwei Milliarden Dollar an Sun zahlte, um eine Kartellklage wegen Java außergerichtlich beizulegen. Vor einem Jahr unterzeichnete die Gates-Company dann auch noch ein Kooperationsabkommen mit dem vorherigen Erzrivalen Novell, in dessen Rahmen der Softwareriese zum Wiederverkäufer von Coupons für den Support von Novells "Suse Linux Enterprise Server" (SLES) wurde und darauf verzichtete, Anwender patentrechtlich zu verklagen.

Damit war die letzte Barriere gefallen: Im August dieses Jahres schaltete Microsoft seine Anti-Linux-Website "Get the Facts" ab und veröffentlichte stattdessen unter dem Motto "Compare Windows vs. Linux" eine Seite, auf der das unternehmenseigene Serversystem mit Linux vergleicht wird. Im Oktober kam es dann sogar so weit, dass die Open-Source-Initiative (OSI) die Microsoft Public License (MS-PL) und die Microsoft Reciprocal License (MS-RL) als Open-Source-Lizenzen anerkannte. Parallel beugte sich Microsoft den Auflagen der EU-Kommission aus dem Kartellurteil im Jahr 2004. Dabei ging es insbesondere um die Forderung, Microsoft solle die Interoperabilität von Konkurrenzprodukten mit seinen Serverprodukten durch Veröffentlichung entsprechender Schnittstelleninformationen ermöglichen.

...und scherzt mit dem damaligen Sun-Boss Scott McNealy.
...und scherzt mit dem damaligen Sun-Boss Scott McNealy.

Was war passiert? Im deutschsprachigen Wikipedia wird das neue Verhalten des Quasi-Monopolisten gegenüber der Open-Source-Initiative als Musterbeispiel herangezogen, um das Kunstwort "Coopetition" zu erklären, eine "Dualität von Kooperation und Konkurrenz auf Märkten" also, von der alle Beteiligten profitieren.

"Microsoft hat erkannt, dass man nicht befeindet sein muss, um miteinander in Wettbewerb zu stehen", verdeutlicht Ovum-Analyst David Bradshaw gegenüber der COMPUTERWOCHE die Beweggründe des Softwareriesen. Das Unternehmen kämpfe zwar nach wie vor mit Herstellern wie Sun, Novell oder Cisco um Marktanteile im Unternehmensgeschäft. Gleichzeitig gingen die Kontrahenten aber freundlicher miteinander um, da sie die Interoperabilität ihrer Lösungen gewährleisten müssten.

Erhörte Kundengebete

"Die Kunden haben das mangelnde Zusammenspiel mit fremden Produkten seit langem beklagt", fügt sein Kollege David Mitchell Smith von Gartner hinzu. Dennoch habe Microsoft ihnen erst in den letzten Jahren zugehört. An der Existenzberechtigung von Open Source zweifelte Microsoft in Wirklichkeit nie, erklärt er: Ähnlich wie andere Anbieter nutze der Softwareriese sehr wohl selbst quelloffene Software. Microsoft habe jedoch das Problem, mit Linux und anderen Alternativen im Kerngeschäft der Betriebssysteme zu konkurrieren.

Beide Analysten führen den Sinnes- und Strategiewandel auch auf den Weggang der alten Garde und speziell von Bill Gates zurück. Sein Nachfolger als Microsoft-CEO, Steve Ballmer, wirke zwar äußerst emotional und aggressiv, so Smith. Dies sei jedoch ein falscher Eindruck. Ballmer sei ein Pragmatiker, der es verstehe, Schwerpunkte zu setzen und die Prioritäten zu erkennen.

Ballmers Freundlichkeit konzentriert sich jedoch vorwiegend auf Unternehmen, vor denen Microsoft wenig zu befürchten hat. In der Auseinandersetzung mit dem Suchmaschinengiganten Google setzt die Software-Company auf Härte. Nicht nur im Ringen um Online-Werbekunden steht Google Microsoft im Weg, auch mit Web-basierenden Office-Lösungen droht der Suchmaschinenanbieter Redmond zu schaden.

Abgesehen vom Kampf um Kunden buhlen die Rivalen aber auch um Entwickler. Diese sind für Microsoft doppelt wichtig: als Mitarbeiter und als unabhängige Softwareprogrammierer (Independent Software Vendors – ISVs) für das geschaffene Ökosystem. Was die Quantität anbelangt, dürfte Microsoft aktuell mit mehr als 70 000 ISVs als Partner und allein sechs Millionen unabhängigen Windows-Entwicklern (noch) keine Probleme haben. Doch es wird für die Gates-Company immer schwieriger, die Crème de la crème der Studienabgänger zu rekrutieren. Nicht nur in Deutschland, auch im Heimatland USA hat Microsoft den Titel als beliebtester Arbeitgeber längst eingebüßt. Wer wählen kann, den zieht es zu Google oder - neuerdings - zu Facebook. Der Grund dafür liegt vor allem in der lockeren Arbeitsatmosphäre, den erhofften Aufstiegschancen und der Chance auf schnellen Reichtum durch Aktienoptionen. Microsoft haftet im Gegensatz dazu das Image eines zunehmend unbeweglichen Softwareriesen an, der kaum noch Revolutionäres hervorbringt. Bei vielen Produkten handelt es sich nur noch um einen Abklatsch von Bestehendem ("Zune", "Live Search") und auch die letzte Windows-Version Vista rief keine Begeisterungsstürme hervor. Dabei gibt der Konzern jährlich sieben Milliarden Dollar für Forschung und Entwicklung aus.

Wie uncool!

Ist Microsoft cool? – Als im Recruitment-Blog des Konzerns (Microsoft’s JobsBlog) diese Frage gestellt wurde, lautete die Antwort der (Arbeit suchenden) Leser keineswegs unisono "Jawoll". Während einige diese Frage bejahten, meinten andere, Microsoft sei etwa so aufregend wie IBM. Ein Teil der insgesamt rund 60 Feedback-Schreiber wiederum wies darauf hin, dass es eine coole Company gar nicht nötig habe, eine solche Frage zu stellen. Manche erklärten, für ein primär auf Business-Kunden fokussiertes Unternehmen seien Attribute wie Coolness unerheblich.

Fest steht, dass sich ein Dickschiff wie Microsoft schwer tut, ein innovatives Image zu pflegen. Das bedeutet nicht, dass es in Redmond keine entsprechenden Bestrebungen gibt. Bestes, allerdings nur wenig bekanntes Beispiel dafür ist Microsoft IP Ventures. Die Initiative bemüht sich, von der Forschungsabteilung Microsoft Research patentierte Erfindungen außerhalb des Konzerns zu vermarkten. Wie Rainer Kühling, Mitglied des sechsköpfigen IP-Ventures-Teams in Redmond, erklärt, handelt es sich dabei konkret um brachliegendes intellektuelles Eigentum, das nicht in direkter Beziehung mit existierenden Produktlinien steht. Dazu zählen beispielsweise eine Auto-Cropping-Lösung zum schnelleren Beschneiden von Bildrändern, ein Tool zur Stabilisierung von Videoaufzeichnungen oder "Launch Tile", eine Benutzeroberfläche für das mobile Internet. Letzteres wurde inzwischen von Zenzui, einem kleinen Startup aus Seattle, in Lizenz genommen. Insgesamt handelt es sich dabei um eines von rund 20 Geschäften, die das IP-Ventures-Team inzwischen abschließen konnte. Mit der Suche nach Lizenznehmern will Microsoft einen Teil der getätigten Investitionen in die Forschung zurückerhalten und seine Community ausbauen, erklärt Kühling. Gleichzeitig gehe es aber auch darum, das Image des Softwareriesen aufzubessern und die Innovationsfähigkeit zu demonstrieren. Mit Google, das seinen Entwicklern 20 Prozent der Arbeitszeit für kreative Entwicklungen zur freien Verfügung stellt, könne sich Microsoft leicht messen, so Kühling. Der Suchmaschinenbetreiber habe das Modell eher von Microsoft abgeschaut und institutionalisiert. Auch in Redmond sei man sich bewusst, dass disruptive Technologien Freiheit erfordern, nur so sei ein Denksprung wie der von der Pferdekutsche zum Elektromotor möglich.

Microsoft "unternimmt was"

Um Imagepflege geht es auch bei der von Microsoft aufgelegten Startup-Unterstützung durch das "Emerging Business Team". Voraussetzung für die Förderung sind laut Programm-Manager Cliff Reeves ein deutliches Wachstumspotenzial sowie Synergien mit Microsoft-Produkten. Der Konzern sei allerdings nicht zu religiös und kündige keinem Unternehmen die Freundschaft auf, das mehrere Plattformen unterstützt. Einmal ausgewählt, profitieren die Gründer von den Verbindungen des Softwareriesen zu potenziellen Investoren und vom gesamten Microsoft-Ökosystem. Außerdem erhalten sie kostenlos Software und werden über die weitere Strategie von Microsoft in ihrem Bereich informiert. Die Offenheit soll in erster Linie dazu führen, dass die Gründer ihre Produkte an die Microsoft-Roadmap anpassen und nicht zu direkten Konkurrenten werden.

Bei Microsoft Deutschland kümmert sich seit April 2005 Carsten Rudolph als Leiter der Gründerinitiative "Unternimm was" um junge Firmen. Im Visier hat er innovative Startups, die sonst unter dem Radar fliegen und Schwierigkeiten haben, eine Finanzierung finden. In den vergangenen zweieinhalb Jahren hat Rudolph 150 solcher Betriebe gescannt und 19 Kandidaten ausgesucht. Einer davon, die Facton AG aus Dresden, wurde inzwischen den US-amerikanischen Kollegen anvertraut, da die Sachsen eine Niederlassung in Detroit aufbauen. Seine Arbeit sieht Rudolf nicht nur durch die Business-Brille. Microsoft leiste damit auch einen Beitrag zur Förderung des Innovationsstandortes Deutschland, erklärt der frühere McKinsey-Manager. Immerhin liege die Zahl der Hightech-Gründungen derzeit auf dem Niveau von 1995. Entsprechend gebe es für seine Arbeit auch keine festen Ziele, sondern eine Erfolgsmessung, erklärt er. Messlatten sind für ihn Fragen wie: "Was hat man in der regionalen Wirtschaft erreicht und hat sich eventuell auch die Einstellung der Politik und Gesellschaft gegenüber Microsoft verbessert?"