Verzicht auf neuartiges Dateisystem WinFS

Microsoft stutzt Windows Longhorn

03.09.2004

Das ambitionierte Vorhaben eines neuartigen Dateisystems wurde immer wieder als Grund für die angekündigten Verspätungen von Windows Longhorn genannt. Ursprünglich hätte der Nachfolger von Windows XP schon 2005 auf den Markt kommen sollen, später war von einem Termin im Jahr 2007 die Rede. Damit drohten zwischen dem Erscheinen von XP und seinem Nachfolger sechs Jahre zu vergehen. Microsoft zog nun die Notbremse und strich WinFS aus der Featureliste, um Longhorn bis 2006 ausliefern zu können.

Dieser Schritt kam nicht überraschend, nachdem der Hersteller die großen Pläne für WinFS nach und nach beschnitten hatte. Ursprünglich erweckte das Unternehmen den Eindruck, dass an die Stelle des bisherigen Dateisystems NTFS eine Light-Variante des SQL Server 2005 ("Yukon") treten würde. Vor einem Jahr räumte Senior Vice President Bob Muglia ein, dass WinFS das NT-Dateisystem nur erweitern, aber nicht ersetzen solle. Die nächste schlechte Nachricht folgte im April dieses Jahres. Die "Business Week" berichtete, dass die Nutzungdes WinFS auf den lokalen Rechner begrenzt sein würde. Ursprünglich war vorgesehen, dass die im Dateisystem gespeicherten Metadaten zwischen Longhorn-PCs in einem Netzwerk repliziert und konsolidiert werden könnten.

Mit dem ambitionierten WinFS wollte Microsoft den immer größeren Datenmengen auf Multi-Gigabyte-Festplatten Rechnung tragen, die sich in den herkömmlichen hierarchischen Ordnerstrukturen kaum noch vernünftig verwalten lassen. Gleichzeitig sollte das neue Dateisystem die Suchfähigkeiten von Windows verbessern und damit Google und Yahoo den Wind aus den Segeln nehmen. Die beiden Web-Companies kündigten nämlich vor einiger Zeit Desktop-Versionen ihrer Suchmaschinen an, die dem notorischen Defizit des Microsoft-Systems abhelfen sollen. Microsoft betrachtet besonders das Vorhaben von Google mit Argwohn, weil die Firma auf diese Weise ihren dominierenden Web-Suchdienst enger mit dem Desktop verknüpfen und so Microsofts eigene Pläne für MSN Search unterlaufen könnte. Aus diesem Grund halten die Redmonder unabhängig von WinFS an ihren Plänen für eine Desktop-Suchmaschine fest.

Google konkurriert auch mit dem Mail-Service "Gmail" um Ziele, die Microsoft mit WinFS erreichen wollte. Der Börsenneuling setzt dort nämlich die Kombination aus Metadaten ("Labels") und Volltextsuche konsequent um und verabschiedet sich vom Modell der Ordnerhierarchie, wie sie noch bei Outlook üblich ist. Gmail repräsentiert somit in gewisser Weise, was WinFS hätte werden sollen. Microsoft wollte damit neben den Dateien eines herkömmlichen Filesystems auch Mail-Ordner einbeziehen. Angesichts der immer wiederkehrenden Spekulationen über das "Google OS" könnte Microsoft in Gmail die Keimzelle einer Web-basierenden Desktop-Alternative sehen.

Dilemma bei Indigo und Avalon

Gleichzeitig mit dem vorläufigen Aus für WinFS gab Microsoft bekannt, dass es entgegen der ursprünglichen Pläne zwei weitere Kernkomponenten von Longhorn zurück auf Windows XP und den Server 2003 portieren werde. Es handelt sich dabei um die Grafik-Engine "Avalon" und "Indigo", ein Framework zur Publizierung von Windows-Anwendungen als Web-Services.

Avalon eignet sich besonders zur Darstellung von 3D-Oberflächen und operiert primär mit Vektorgrafiken anstatt der bisher üblichen Bitmaps. Es lässt sich mit Apples "Quartz"-System vergleichen, das ähnliche Prinzipien bereits heute umsetzt und im bevorstehenden "Tiger"-Release um weitere Features ergänzt.

Indigo ist Teil eines größeren Programmier-Frameworks namens "WinFX", das auf .NET beruht und auch Bibliotheken für die Entwicklung von Software auf Basis von Avalon enthält. Microsoft propagiert WinFX als Nachfolger des Win32-API. Allerdings ist es mit seinem Vorgänger nicht kompatibel, so dass eine moderne Longhorn-Anwendung nach den bisherigen Microsoft-Plänen unter Windows XP nicht ablaufen könnte. Unter diesen Umständen wären wohl nur wenige Softwareentwickler bereit gewesen, die neue Technologie zu nutzen, weil sie damit nur einen kleinen Teil des Windows-Marktes erreicht hätten. Umgekehrt hingegen soll Longhorn herkömmliche Win32-Programme ausführen, so dass Softwarehäuser damit die gesamte installierte Windows-Basis abdecken können.

Bei der Entscheidung, Avalon und Indigo auch für die derzeit aktuellen Windows-Ausführungen anzubieten, befand sich die Gates-Company jedoch in einer Zwickmühle. Eine Reihe großer Unternehmenskunden beziehen nämlich Microsoft-Produkte über die Software Assurance, einer Art Mietmodell, das den Preis für Upgrades beinhaltet. Unter solchen Bedingungen könnten Anwender bereits einen Updatezyklus von fünf oder sechs Jahren, wie er sich für Longhorn abzeichnet, als schlechte Gegenleistung interpretieren.

Longhorn nur ein kleines Update?

Wenn dann noch wesentliche Neuerungen wie das WinFS wegfallen, steht Microsoft in der Pflicht, solchen Kunden mit Longhorn ein Update zu anbieten, das diesen Namen verdient. Weitere wichtige Komponenten aus dem XP-Nachfolger zu entnehmen und sie kostenlos den Nutzern des alten Systems anzubieten, läuft solchen Erwartungen entgegen. Um die Akzeptanz des neuen Programmiermodells zu beschleunigen, zog es Microsoft vor, diesen Schritt dennoch zu tun.

Insgesamt verliert Longhorn durch Microsofts jüngste Ankündigungen den Status eines großen Updates. Wesentliche Bausteine des Systems werden davon entkoppelt. Sie sollen entweder auch für die alten Windows-Versionen verfügbar sein oder wie WinFS zu einem unbestimmten späteren Zeitpunkt nachgeliefert werden.

Was ist WinFS?

Die Redmonder bezeichneten WinFS neben dem neuen Grafiksystem Avalon und dem Programmier-Framework "WinFX" als eine der wesentlichen Säulen von Longhorn. Das Dateisystem sollte die Verwaltung lokal abgelegter Daten revolutionieren, indem es eine Vielzahl beschreibender Informationen ("Metadaten") speichert. Dazu zählen etwa Angaben über Autor, Firma oder Schlagwörter in Office-Dokumenten, der Interpret eines MP-Musikstücks oder die Auflösung einer Grafik. Zusätzlich hätten Anwender nach Microsofts Plänen weitere Beschreibungen für Daten von Hand eingeben können.

Der Nutzen von WinFS sollte darin bestehen, dass sich Daten rasch finden lassen, egal ob es sich dabei um gewöhnliche Dateien, E-Mails oder gespeicherte RSS-Feeds handelt. Die Überwindung der traditionellen Gräben zwischen diesen verschiedenen Informationstypen pries Bill Gates von Anfang an als besonderes Feature von Longhorn. Microsoft warb mit Szenarien, in denen ein Anwender alle zu einem Projekt gehörigen Präsentationen, Dokumente und Mails auszeichnen würde. Er könnte dann auf Knopfdruck alle Projektinformationen von seinem PC auf eine Website stellen.