Will Gates Teile des Windows-2000-Quellcodes freigeben?

Microsoft streckt das Windows-98-Geschäft

16.04.1999
MÜNCHEN (CW) - Entgegen bisherigen Ankündigungen arbeitet Microsoft an einer weiteren auf MS-DOS basierenden Version von Windows 98. Auf Basis des alten Codes soll im nächsten Jahr noch einmal ein komplett neues Consumer-Betriebssystem herausgebracht werden. Der Konzern erwägt außerdem die Freigabe des Quellcodes von Windows 2000.

Das Desktop-Betriebssystem Windows 98 wird im nächsten Jahr nicht wie ursprünglich vorgesehen durch Windows 2000 ersetzt. Microsoft-President Steve Ballmer erklärte auf der Windows Hardware Engineering Conference (Winhec) in Los Angeles die neue Strategie folgendermaßen: Zunächst soll im Juni dieses Jahres eine "zweite Edition von Windows 98" ("Second Edition") erscheinen. Dabei handelt es sich um ein Upgrade mit einigen neuen Funktionen, für das heutige Windows-98-Anwender mit zirka 20 Dollar zur Kasse gebeten werden sollen.

Im Jahr 2000 dann wird ein neues Betriebssystem - Arbeitstitel "Consumer Windows for 2000" - folgen, das auf dem Code von Windows 9x und damit auf dem Altsystem MS-DOS aufsetzt.

Ballmers spektakuläre Ankündigung widerspricht den seit zwei Jahren wiederholten Stellungnahmen des Konzerns, auf Windows 98 werde kein weiteres Betriebssystem mit einem auf DOS basierenden Kernel mehr folgen. Statt dessen wolle Microsoft die Desktop- mit der Profi-Variante Windows NT zu Windows 2000 verschmelzen. Als offiziellen Grund für die Kehrtwende in der Betriebssystem-Strategie nannte der Hersteller den Mangel an Consumer-Software für Windows 2000. Außerdem wolle Microsoft die Initiative "Easy PC" vorantreiben, die besonders benutzerfreundliche, Plug-and-Play-fähige Endgeräte vorsehe.

Marktbeobachter vermuten indes andere Absichten: Mit der zweiten Auflage von Windows 98 sei Microsoft in der Lage, drei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. So könne die Gates-Company mit Consumer Windows for 2000 nach Windows 95 und 98 die Kunden ein drittes Mal für ein technologisch kaum verändertes 32-Bit-Produkt zur Kasse bitten. Hinzu kommen die bereits in diesem Sommer anfallenden Upgrade-Einnahmen für die Second Edition. Zudem ließen sich eventuell verärgerte Anwender bei der Stange halten, die noch in diesem Jahr mit einer Verschmelzung von Windows 98 und NT gerechnet hatten. Nicht zuletzt solle Consumer Windows for 2000 dem steigenden Interesse am Open-Source-Betriebssystem Linux etwas entgegensetzen.

Die rapide anwachsende Popularität des "freien" Betriebssystems des Finnen Linus Torvalds ist nach Ansicht von Branchenexperten auch ein Grund, aus dem Microsoft neuerdings sogar "ernsthaft in Erwägung zieht, das Open-Source-Verfahren für Windows 2000 anzuwenden". Konkret ließ Vice-President Brian Valentine durchblicken, Microsoft werde eventuell den Quellcode des Kernels von Windows 2000 (Windows NT 5.0) freigeben.

Die Erwägung, das seit mehr als einem Jahrzehnt bestgehütete Firmengeheimnis zu lüften, dürfte allerdings nicht ausschließlich mit Linux zusammenhängen. Im Kartellrechtsstreit mit dem US-Justizministerium fordern die Kläger, Microsoft solle dazu verurteilt werden, den Windows-Sourcecode zu veröffentlichen, um seine Vorherrschaft im Markt der PC-Betriebssysteme abzumildern. Mit diesem "freiwilligen" Angebot eines Open-Source-Windows versucht Microsoft, so die Meinung von Marktkennern, das US-Justizministerium zu besänftigen und die Zerschlagung des Konzerns zu verhindern. Microsoft sei in Wirklichkeit aber weit davon entfernt, den Code zur Verfügung zu stellen.