EU-Kommission ist hellhörig geworden

Microsoft: Rabatte für Kunden mit Linux-Plänen

23.05.2003
MÜNCHEN (CW) - In einer E-Mail hat ein hochrangiger Microsoft-Manager seine Kollegen im Vertrieb angewiesen, Kunden aus Regierungsstellen und Organisationen Preisnachlässe zu gewähren, sofern diese Linux-Pläne schmieden.

Einmal mehr sickerte ein internes Memo aus der Microsoft-Zentrale an die Öffentlichkeit. Vergangenen Juli autorisierte Orlando Ayala, damals Worldwide Sales Manager beim Softwarekonzern, Manager per E-Mail dazu, Windows zu vergünstigten Konditionen und notfalls auch kostenfrei anzubieten, damit Kunden nicht das Open-Source-Betriebssystem Linux einführen. In seiner Nachricht erklärte Ayala, Microsoft habe einen Fonds eingerichtet, der intern für solche Rabatte aufkomme. Auf dem E-Mail-Verteiler standen Mitglieder des Topmanagements, darunter auch Firmenchef Steve Ballmer. Wenige Tage nach Ayalas Botschaft meldete sich Michael Sinneck per E-Mail zu Wort. Der Vice President World Wide Services stellte ein Programm vor, das für den gleichen Zweck Preisnachlässe bei Beratungsdiensten vorsieht. Die Mails liegen der US-Zeitung "International Herald Tribune" vor.

Microsoft bestätigte mittlerweile die Anweisungen Ayalas. Diese Praxis sei in Verhandlungen mit verschiedenen west- und osteuropäischen Regierungen angewandt worden. Nach den Worten von Jean-Philippe Courtois, Microsoft-Chef für Europa, den Mittleren Osten und Afrika, verstößt die Taktik nicht gegen geltendes Recht.

Viele Regierungsstellen und Stadtverwaltungen spielen derweil mit dem Gedanken, Linux den Vorzug vor Windows zu geben.

Um Prestigekunden nicht zu verlieren, machte Microsoft bereits Zugeständnisse. So konnte das Bundesinnenministerium unlängst einen günstigen Rahmenvertrag mit dem Unternehmen aushandeln (siehe CW 16/03, Seite 8 und diese Ausgabe Seite 8).

Nach Bekanntwerden von Microsofts Praktiken prüft die Europäische Kommission nun, ob der Konzern die brisanten E-Mails vorlegen muss. Preisnachlässe an sich sind zwar nach EU-Recht nicht verboten. Falls jedoch ein marktbeherrschendes Unternehmen Discounts gewährt, die nur darauf abzielen, Rivalen auszuschließen, verstößt dies unter Umständen gegen geltendes Wettbewerbsrecht.

Die Memos könnten auf EU-Ebene zu neuen kartellrechtlichen Untersuchungen gegen Microsoft führen, verlautet aus gut informierten Kreisen der Europäischen Kommission. Allerdings glauben die Experten nicht, dass die europäische Justiz einen möglichen Prozess mit dem anhängigen Antitrust-Verfahren verbinden würde, obwohl sich Überlappungen abzeichnen: In einem laufenden Gerichtsverfahren legt die EU Microsoft unter anderem zur Last, seine Marktdominanz bei Desktop-Software zu missbrauchen, um auch im Server-Geschäft eine marktbeherrschende Position zu erlangen.

Auch in den USA ist die Justiz hellhörig geworden. Ein dort geführter jahrelanger Antitrust-Prozess gegen Microsoft hatte mit einem Vergleich geendet. "Anschuldigungen wegen einer unerlaubten Preisgestaltung gegen Linux müssten in einem separaten Fall behandelt werden", verlangt Doug Davis, stellvertretender Staatsanwalt von West Virginia, einem von zwei Bundesstaaten, die dem Vergleich mit Microsoft nicht zugestimmt hatten. (fn)