Software-Unternehmer Joachim Kempin will Unsicherheit beenden:

Microsoft protestiert gegen Unix-Schmäh

22.02.1985

Mit einigen Ansichten des CW-Chefredakteurs Dieter Eckbauer zur Unix-Problematik (CW Nr. 4 vom 25. Januar 1985, Seite 10: "Haust Du mein Derivat, haue ich Deines") stimmt Joachim Kempin, Geschäftsführer der Microsoft GmbH. München, nicht überein. Hier Kempins Leserbrief:

Erinnern wir uns doch mal, was der Begriff "Prawda" eigentlich bedeutet, nämlich Wahrheit. In der Original-Prawda ist jedoch eine Art von Wahrheit zu lesen, die wir wohl kaum im DV-Bereich in Deutschland benötigen. Diese Idee einer Zeitung im Prawda-Stil stammt jedoch nicht von mir, sondern ist dem Nachdruck eines Interviews entnommen, welches Ihr Chefredakteur Dieter Eckbauer dem Magazin "Unix Mail" gegeben hat. Bereits die Überschrift "Haust Du mein Derivat, haue ich Deines", läßt keinen Zweifel an der Stilrichtung. Der Leser wird auch im weiteren Text nicht enttäuscht, konsequent zieht sich dieser Pseudo-Prawda-Stil durch das ganze Interview.

Wieder einmal ergeht sich der Interviewte in totaler Spekulation über das, was IBM tut und tun wird - obwohl er selber eingesteht, "daß Prognosen sich so schwierig gestalten, weil sie in die Zukunft gerichtet sind". Damit erweckt er meiner Meinung nach den Eindruck, daß er nicht spekuliert, sondern genau weiß, wovon er spricht. Und genau hier fängt meine Kritik an, denn wir von Microsoft arbeiten mit fast allen wichtigen Herstellern im PC-Bereicheng zusammen und sind deswegen immer gut informiert. Auf Grund dieser Tatsache möchte ich doch wirklich an den Journalisten und Privatmann Dieter Eckbauer appellieren, einen derartigen Strauß von Ungereimtheiten im Interesse seiner Leser zumindest bedachter von sich zu geben. Anstatt dem Leser zu helfen, löst dieses Interview nur noch mehr Verwirrung aus.

Die Behauptung, IBM schotte die Benutzer von MVS- und VM-Software ab und habe MS-DOS nur als taktisches Vehikel benutzt, ist schlicht und einfach nicht zu beweisen. Rund eine Million IBM-PC-Besitzer sprechen doch eigentlich genau für das Gegenteil. Oder kennen Sie eine Firma, die so einfach eine Million Installationen im Stich läßt? Die Bemerkung, daß IBM sich das lukrative Softwaregeschäft selbst unter den Nagel reißen will, kommt reichlich spät. Diese Tendenz wurde in den USA bereits vor zwei Jahren deutlich, während dies in Deutschland erst seit einem Jahr durch Aktionen am Markt sichtbar geworden ist. Nur sollte man beachten, daß dies nur für die Seite der Anwendungssoftware gilt, wo noch Geld zu verdienen ist. Im Betriebssystembereich ist unsere Zusammenarbeit mit der IBM so gut wie nie zuvor. Wäre es anders, hätte die IBM sicherlich nicht dem MS-DOS noch das Xenix von Microsoft hinzugefügt.

Nun jedoch zu den, laut Herrn Eckbauer, zwischen allen Stühlen sitzenden Herstellern Siemens und Nixdorf - in deren Gesellschaft wir uns übrigens äußerst wohl fühlen. Beide liefern MS-DOS-Systeme aus, und Siemens war sogar lange vor IBM einer unserer wichtigsten Xenix-Kunden. Und was könnte diesen beiden Herstellern mehr gefallen, als Kompatibilität zwischen den MS-DOS- und Xenix-Programmen, wenn sie ihre Systeme erfolgreich vermarkten wollen. Bill Gates hat sich das schon überlegt. Was soll also die Polemik, Herr Eckbauer. Microsoft versucht, die Welt der LAN-vernetzten Einzelplatzsysteme mit den Mehrplatzsystemen - zum Wohle der Endverbraucher und der Softwareindustrie - miteinander zu verbinden.

Trotz dieses unangebrachten Rundumschlages des Herrn Eckbauer gibt es jedoch auch Passagen, in denen wir einer Meinung sind. Der Markt braucht Alternativen. Reines Unix ist eventuell keine Lösung. Für Xenix sehen wir auf Grund seiner großen Benutzerfreundlichkeit hier bessere Chancen. Aber damit nicht genug - Microsoft hat Alternativen immer unterstützt. Warum sollen wir es also nicht in Zukunft tun?

Zu diesen Alternativen zählen wir auch den Macintosh von Apple und unsere Anstrengungen bei Microsoft-Windows. Letzteres läßt sich jedoch wohl kaum mit Top-View vergleichen, da es eine Vollgrafik-Schnittstelle darstellt und völlig anders in MS-DOS eingebettet wurde. Ein wenig Recherchieren wäre hier mit Sicherheit von Vorteil gewesen.

Microsofts Vermittlerrolle zwischen zwei Welten zeigt sich jedoch nicht nur, wenn es um MS-DOS und Xenix geht. Obwohl der Interviewte den Eindruck erweckte, daß er wohlinformiert ist, wußte er nicht, daß es zwischen AT&T und Microsoft seit November 1984 eine enge Zusammenarbeit gibt, um Xenix und Unix kompatibler zu machen. Diese Zusammenarbeit beinhaltet die Definition eines gemeinsamen Standards, den wir aber nicht vor 1986 sehen werden. AT&T arbeitet also mit seinem engsten Unix-Kunden - Microsoft - intensiver zusammen als je zuvor. Profitieren werden davon außer der IBM, Nixdorf und Siemens sicherlich auch die Endverbraucher und die Software-Industrie. Noch seltsamer ist jedoch sicherlich für Herrn Eckbauer die Tatsache, daß AT&T angekündigt hat, Xenix 3.0 auf dem PC 6300 zu vertreiben, der dem Olivetti M21/24 entspricht. Von "Verhauen der Derivate" kann man da wohl kaum noch sprechen.

Mein Rat für das nächste Interview: sachlich bleiben, Polemik vermeiden und sich vorher richtig informieren. Normalerweise doch eine Selbstverständlichkeit für einen guten Journalisten!

Anmerkung der Red.: Richtig, eine Branchen-Prawda im (von IBM beherrschten) DV-Bereich in Deutschland benötigen wir nicht. Genau das hatte CW-Chefredakteur Dieter Eckbauer in dem Unix-Mail-Interview gesagt. Über die jüngste AT&T-Microsoft-Liaison haben wir nach Bekanntwerden aktuell berichtet (CW Nr. 5 vom 1. Februar 1985, Seite 1: "Unix-Standardisierung schreitet voran"). Was nun den Polemik-Vorwurf betrifft: Die Dachzeile zum Interview lautete "Politische Antworten auf technische Fragen".