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Thema des Tages

"Microsoft ist wie der Kaiser ohne Kleider"

22.09.1999
Thema des Tages

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Relativ unspektakulär fielen die Plädoyers von Anklage und Verteidigung in der gestrigen Schlußanhörung des Kartellverfahrens gegen Microsoft aus. Beobachter hatten von beiden Parteien eindeutigere Attacken sowie ein aktiveres Eingreifen des Richters Thomas Jackson erwartet (CW Infonet berichtete). Statt dessen listeten beide Seiten noch einmal ihre Kernargumente aus der 77tägigen Verhandlung auf, die Experten zufolge weder die Situation der Anklage noch die der Verteidigung verbessert haben. Jackson beendete die Sitzung um 17.15 Uhr Washingtoner Ortszeit.

In der Antitrust-Klage des US-Justizministeriums und 19 Bundesstaaten gegen den Softwareriesen faßte Chefankläger David Boies seine Schlußbemerkungen folgendermaßen zusammen: Microsoft besitze eine Monopolstellung und habe wettbewerbsfeindliche Methoden eingesetzt, um den Rivalen Netscape zu zerstören. Der Softwareriese habe ferner versucht, Netscape zur Aufteilung des Browser-Marktes zu zwingen. Ferner warf er der Gates-Company vor, Exklusivverträge mit PC-Herstellern und Händlern geschlossen zu haben, um vermeintliche Konkurrenten aus dem Feld zu drängen.

In seiner Beweisführung bezog sich Boies vor allem auf markante Passagen aus Microsofts internen, teils vertraulichen Dokumenten wie E-Mails und Protokolle. Diese deuteten darauf hin, daß die Gates-Company 90 bis 95 Prozent des Betriebssystem-Marktes beherrsche und die wahre Konkurrenz aus dem Lager der Raubkopierer komme. Die Microsoft-Kunden Hewlett-Packard, Packard-Bell und Compaq Computer geben in diesen Schriftstücken zu, daß sie keinerlei ernstzunehmende Alternative zu Windows gehabt hätten. Sogar Microsoft-Mitarbeiter hatten das eigene Betriebssystem als das einzige auf dem Markt bezeichnet. Eine zentrale Stelle in Boies Argumentation nahm das inzwischen berühmt-berüchtigte Treffen von Netscape- und Microsoft-Führungskräften am 21. Juni 1995 ein, bei dem der Softwareriese erfolglos versucht hatte, den Browser-Markt zwischen beiden Firmen aufzuteilen.

Die Anklage resümierte ihr Plädoyer mit einer Anspielung auf das Märchen "Des Kaisers neue Kleider": "Microsoft ist wie der Kaiser ohne Kleider. Jeder weiß, sie haben das Monopol. Wir wissen das. Microsoft weiß das."

Das letzte Wort gehörte dem Chefverteidiger John Warden. Sein Plädoyer stellte das Motiv der Regierung in Frage, in dem Verfahren vor allem die Interessen der Verbraucher zu vertreten. Nicht ein einziger Konsument sei in den Zeugenstand gerufen worden. Statt dessen habe die Anklage bezahlten Experten und den Konkurrenten von Microsoft das Wort erteilt. "Die Regierung sollte sich nicht auf die Seite von Microsofts Gegnern schlagen," sagte Warden. Großunternehmen wie IBM, Sun und AOL seien ganz allein in der Lage, sich zu behaupten. Ansonsten bezeichnete die Verteidigung die Beweise der Anklage als ein Sammelsurium von "falschen Fährten, Fehldarstellungen und Auslassungen". Zum zentralen Thema der Monopolbildung meinte Warden, daß Microsoft aufgrund der schnellebigen High-Tech-Industrie kontinuierlich dem Druck neuer Technologien ausgesetzt sei, egal wieviel Macht der Konzern durch die Dominanz von Windows habe. Ein dauerhaftes Monopol aufzubauen, sei in dieser dynamischen Branche

unmöglich.

Richter Jackson muß nun ein Urteil fällen. Das soll in zwei Schritten erfolgen: Zuerst wird der Richter erklären, wie sich für ihn die Lage darstellt, dann wird er die rechtlichen Konsequenzen verkünden. Experten erwarten den ersten Schritt bereits im nächsten Monat, den zweiten Anfang 2000. Falls Microsoft zwischen beiden Verkündigungen mit der Regierung zu einer außergerichtlichen Einigung kommt, könnte das Unternehmen einer möglichen Verurteilung entgehen.