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Erklärtes Angriffsziel der EU-Kommission bilden normalerweise Kartelle

"Microsoft hat seine Stellung ausgenutzt und gut damit verdient"

03.03.2008
Von pte pte
Microsoft ist einer der wenigen Konzerne, der in der Lage ist, alleine ein Kartell zu bilden. Mit einer derartigen Macht kann man auch die Strafe der EU-Behörden von 899 Millionen Euro verschmerzen.

"In den vergangenen Jahren gab es nur sehr wenige Missbrauchsfälle, bei denen Einzelunternehmen eine marktbeherrschende Stellung ausnutzten. Die üblichen Fälle betrafen fast ausschließlich Kartellabsprachen mehrerer Unternehmen", sagt Hans-Georg Kamann, Partner im Frankfurter Büro der Sozietät Mayer Brown und einer der Direktoren des Centrums für Europarecht an der Universität Passau, im Gespräch mit pressetext. Die jüngste Bußgeldforderung der EU-Kommission gegen den Softwarekonzern Microsoft stellt laut EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes die erste Forderung wegen Nichteinhaltung einer Kartellentscheidung dar. Zugleich summieren sich die Strafzahlungen Microsofts mit der nun auferlegten Strafzahlung von knapp 900 Millionen Euro auf die Rekordsumme von insgesamt 1,67 Milliarden Euro wegen Behinderung des Mitbewerbs.

Bei Kartellabsprachen verhängte die Kommission in den vergangenen Jahren ebenfalls Strafen in Millionenhöhe. Aufgrund von Preisabsprachen wurden vergangenen November vier Flachglas-Herstellern eine Strafgeldsumme von 486,9 Millionen Euro auferlegt, im September verhängte die Kommission eine Bußgeldzahlung von 328 Millionen Euro über ein Reißverschlusskartell. Im Februar 2007 ging die EU mit einer Strafsumme von 992,3 Millionen Euro gegen ein Kartell von Fahrstuhl- und Rolltreppenherstellern vor, davon musste das ebenfalls betroffene Unternehmen ThyssenKrupp allein 479 Millionen Euro zahlen. Ebenfalls Anfang Januar wurden mehrere Elektrokonzerne, darunter Siemens, mit einem Bußgeld von 751 Millionen Euro belegt. Grund war ein langjähriges Kartell im Bereich gasisolierter Schaltanlagen. Siemens allein sollte dafür 396 Millionen Euro zahlen, das Unternehmen legte beim europäischen Gericht erster Instanz Klage gegen die Entscheidung ein.

Microsoft habe die in der Kommissionsentscheidung vom März 2004 festgelegten Auflagen erst Mitte Oktober 2007 erfüllt und davor weiterhin unangemessen hohe Preise für die Bereitstellung von Schnittstellenspezifikationen für Arbeitsgruppen-Server verlangt, begründet die Kommission ihre Entscheidung. Den Auflagen entsprechend, hätte der Softwarekonzern seine Preise für Interoperabilitätsinformationen senken müssen, tat dies jedoch erst am 22. Oktober 2007. Dies sei der bislang größte Fall hinsichtlich der Ausnützung einer Marktmachtstellung und zugleich das erste Mal, dass ein Unternehmen so massiv gegen eine Kommissions-Entscheidung agiert hat, so Kamann.

Bis zu 1,5 Milliarden Euro hätte die Forderung gegen Microsoft laut EU-Wettbewerbskommissarin Kroes ausmachen können, nur 60 Prozent dieser Maximalsumme wurden jedoch beantragt. "Microsoft hat die marktbeherrschende Stellung ausgenutzt und gut damit verdient", so Erste-Bank-Analyst Ronald Stöferle gegenüber pressetext. In Anbetracht dessen wäre die Strafgeldsumme von 899 Millionen Euro eher vernachlässigbar. Medienspekulationen, wonach sich die gegen einen IT-Konzern verhängte Rekordstrafe negativ auf das EU-Engagement anderer IT-Konzerne auswirken könnte, zweifelt ein Experte für IT-Recht gegenüber pressetext an. "Der europäische Markt ist unter anderem im Dienstleistungsbereich ein zu wichtiger Player. Internationale Konzerne wollen hier verkaufen, mit negativen Konsequenzen ist deshalb eher nicht zu rechnen."

Erst vergangene Woche teilte Microsoft mit, bisher geheim gehaltene technische Informationen offen zu legen und damit Software-Schnittstellen auch der Konkurrenz zugänglich zu machen. Diese Meldung wurde jedoch sowohl von der EU-Kommission als auch von Analysten skeptisch aufgenommen. (pte)