Interview

"Microsoft fehlt im Sieg die Gelassenheit"

02.01.1998

CW: Was denken Sie als Web-Spezialist über Microsofts Haltung zu Java?

Bricklin: Die Microsoft-Leute haben recht, wenn sie betonen, daß Java lediglich eine neue Programmiersprache ist. Das Verlockende daran ist, daß man sich als Entwickler nicht mehr um Speicher-Management oder Garbage Collection zu kümmern braucht. Aber diese Vorteile hatten wir schon in den 60er Jahren mit Basic.

CW: Wie würden Sie die Sprache positionieren?

Bricklin: Sie eignet sich für Programmierer auf dem Niveau von C, nicht aber für Visual-Basic-Entwickler. Die Sprache ist mächtig, und trotzdem können die Anwendungen in beliebigen Umgebungen ablaufen, weil Java als Interpreter-System konzipiert ist. Man kann von einer Art ASCII-Code der Programmierung sprechen. Aber inzwischen hat man angefangen daran herumzuschrauben. Ich glaube, es ist falsch, Java gleichzeitig in alle möglichen Richtungen zu zerren.

CW: Dennoch scheint sich die Sprache auch für unternehmenswichtige Projekte zu etablieren...

Bricklin: Ich habe Zweifel, ob man diese Programme nicht auch mit Visual Basic schreiben könnte. Erinnern Sie sich an Forth. Das war auch eine portierbare Sprache, die auf dem PC genauso lief wie auf Superrechnern. Viele Programmierer schworen darauf. Aber nachdem sie damit gearbeitet hatten, waren sie enttäuscht, ihre Erwartungen hatten sich nicht erfüllt - ähnliches gilt für Java.

CW: Dann hat Microsoft mit seiner Java-Skepsis also recht?

Bricklin: Microsoft hat ein recht simples Verständnis von Programmiersprachen. Java hat Klassenbibliotheken und Visual Basic auch. Wenn man sie portiert, kann man unter Windows auch Programme schreiben, die einigermaßen auf anderen Plattformen laufen. Warum also sollte man Sun diesen Markt überlassen, nur weil das mit Java besser geht?

CW: Aber dieser Wettbewerb ist doch nun zu einem Gerichtsprozeß ausgeartet...

Bricklin: Hier prallen zwei Firmen aufeinander, die ihre Konflikte austragen wie einst Könige. Früher ließen die Fürsten edle Hengste gegeneinander laufen, heute nimmt man dafür Juristen.

CW: Was also raten Sie Bill Gates, um das Image seiner Firma aufzupolieren?

Bricklin: Microsoft hat nicht verstanden, ein großzügiger Gewinner zu sein. Das Unternehmen ist haushoher Sieger und sollte sich daher etwas gelassener zeigen.

CW: Warum gelingt das nicht?

Bricklin: Bill Gates weiß sehr gut, daß ein Newcomer wie Netscape seine Firma genauso aushebeln kann, wie er es mit der IBM gemacht hat. Auch Big Blue wirkte damals unangreifbar. Die Frage ist, ob er die Firma ändern kann, ohne daß sie den Biß verliert.

CW: Gibt es denn ein Vorbild für diese gelassene und großzügige Haltung, die Sie sich wünschen?

Bricklin: Als ich in meiner Visicalc-Zeit mit Hewlett-Packard verhandelte, habe ich das erlebt. Wenn es in einem Vertrag Unklarheiten gab, dann wurden sie oft zu meinen Gunsten ausgelegt. Mit einer solchen Firma arbeitet man gern zusammen. Ich hoffe, Microsoft findet den Weg zu einer solchen Haltung noch.

CW: Was halten Sie von den Vorwürfen des Justizministeriums?

Bricklin: Ich finde es ausgesprochen gut, daß sich das Ministerium und andere Regierungsstellen intensiv mit unserer Branche auseinandersetzen. Das Department of Justice verfügt inzwischen über eine Reihe kompetenter Fachleute. Es wäre viel gefährlicher, wenn der Gesetzgeber aus Unkenntnis heraus falsche Vorgaben setzen würde. Eine schlecht unterrichtete Regierung könnte die ganze Industrie quasi aus Versehen ausradieren.

CW: Glauben Sie, die Justizministerin Janet Reno wird zu einer Fachfrau für Schnittstellen?

Bricklin: Darum geht es nicht. Sie lernt, was Innovation der DV-Branche bedeutet, sie und die Staatsorgane lernen, damit verantwortungsbewußt umzugehen. Auch für einen Autofahrer ist das Verständnis für den Verkehr weit wichtiger als die Bedienung von Lenkrad und Schaltung.

CW: Sie sprechen von Innovation. Glauben Sie, daß die Dominanz von Microsoft schädlich dafür ist?

Bricklin: Innovation gibt es immer, und meist kommt sie aus einer unerwarteten Richtung. Denken Sie an Netscape.

*Dan Bricklin hat in den 70er Jahren zusammen mit Bob Frankenstein die Tabellenkalkulation "Visicalc" für den Apple II entwickelt. Berühmt wurde der Programmierer jedoch erst Mitte der 80er Jahre als Lotus-Mitarbeiter mit dem Tabellenkalkulationsprogramm "1-2-3". Inzwischen hat der DV-Veteran mit seiner Firma Trellix eine Software herausgebracht, die der Darstellung von Web-Inhalten dient.