Visual Studio setzt die Konkurrenten unter Druck

Microsoft dehnt Bundling auf Entwicklungs-Tools aus

20.06.1997

Nach eigenem Bekunden reagiert Microsoft mit Visual Studio auf geänderte Bedingungen in der Anwendungsentwicklung. Der Trend zu mehrstufigen Applikationen, wesentlich gefördert durch das WWW, führt dazu, daß für ein Projekt mehrere unterschiedliche Tools zum Einsatz kommen. Mit dem schwergewichtigen Werkzeugkasten gebe man den Programmierern nun alles, was sie zur Erstellung solcher komplexen Anwendungen benötigten, so der zuständige Produkt-Manager Harald Klautke bei der Microsoft GmbH.

Diese Paketphilosophie widerspricht besonders bei Softwarewerkzeugen dem Gebot, für jeden Anwendungszweck das beste verfügbare Produkt zu nehmen. Microsoft vertraut jedoch auf die Verkaufsargumente, die schon dem Büro-Bundle "MS Office" zum Erfolg verhalfen. Vor allem aufgrund des niedrigen Preises dürfte es mancher Kunde in Kauf nehmen, wenn er die Hälfte der beigepackten Produkte vorerst gar nicht braucht, weil das Paket immer noch billiger ist, als wenn er die benötigten Tools einzeln erstehen würde. Microsoft kalkuliert zudem damit, daß sich Anwender bei späterem Bedarf auch auf die restliche Software festlegen, anstatt bei der Konkurrenz einzukaufen. Sollte sich beispielsweise eine größere Zahl von Visual-Basic-(VB-)Entwicklern auf das objektorientierte Java einlassen, dann könnten sie gleich das ohnehin schon im Haus vorhandene J++ nutzen.

Fraglich ist jedoch, ob Entwickler bei der Wahl ihrer Werkzeuge nicht höhere Qualitätsmaßstäbe anlegen als jene, die bei der Entscheidung für Büroanwendungen üblich sind. Während es bei der sogenannten persönlichen Produktivität nicht so sehr darauf ankommt, ob ein Anwender Excel oder Lotus 1-2-3 nutzt, kann die Entwicklungsdauer, Portabilität und Qualität von Software entscheidend von den benutzten Werkzeugen abhängen. Strategisch denkende Anwender werden daher überlegen, ob die Einsparungen über den Paketpreis nicht durch Schwächen in diesen Punkten wieder mehr als entwertet werden.

Der Softwareriese aus Redmond hofft aber, mit der Paketstrategie einem zusätzlichen Wunsch vieler Anwender entgegenzukommen: Diese müssen sich im Fall von Problemen nur mit einem Hersteller auseinandersetzen.

Interessant beim Visual-Studio-Bundle ist, daß es marketing- und vertriebstechnisch vorwegnimmt, was sich durch das Zusammenwachsen einzelner Programmiersprachen und Tools zu Software-Werkzeugkästen sowieso anbahnt. Wenn Entwickler für die Erstellung der Client-Module andere Tools verwenden als für die Programmierung der Geschäftslogik oder der Web-Anbindung, dann müssen ihnen Anbieter durch engere Integration der Produkte entgegenkommen. Dazu gehören beispielsweise eine einheitliche Integrierte Entwicklungsumgebung (IDE), ein gemeinsamer Objekt-Browser und Debugger sowie ein übergreifendes Repository für alle unterstützten Programmiersprachen. In letzter Instanz schränkt die technische Zusammenführung der Tools die Wahlfreiheit des Anwenders ein, Visual Studio allerdings will mit dem Beipacken von Middleware und der Datenbank diese auch in anderen Bereichen vermindern.

Noch geringe Integration der Tools

Paradox ist, daß Microsoft als erster Hersteller mit einem umfangreichen Paket auf den Markt kommt, wo doch die Integration der im Paket verkauften Tools weniger weit fortgeschritten ist als bei einigen Mitbewerbern, beispielsweise bei Borland oder IBM. Diesbezüglich läßt Visual Studio nämlich noch viele Wünsche offen. Eine gemeinsame IDE nutzen nur C++, J++ und "Interdev" (vormals "Internet Studio"), Visual Basic und die Xbase-Datenbank "Foxpro" besitzen weiterhin ihre eigene. Ähnliches gilt für den Debugger. Das mit VB ausgelieferte und damit auch zu Visual Studio gehörige MS Repository kann nicht mehr als einen Benutzer verwalten und nimmt nur in VB geschriebene Module auf.

Unmittelbar betroffen von Microsofts Paketstrategie sind neben den Hauptkonkurrenten Borland und Powersoft/Sybase besonders Startup-Firmen mit Web-Entwicklungs-Tools. Diese geraten ohnehin unter Druck, weil Anbieter einzelner Programmierwerkzeuge beim Trend zu mehrstufigen Anwendungen nur schwer bestehen können. Gefragt sind zunehmend Softwarehäuser, die für eine übergreifende Anwendungsentwicklung auch mit Middleware und Datenbanken aufwarten können.

Ein solch vollständiges Portfolio kann mittlerweile einer der Hauptrivalen Microsofts im Tool-Markt, Borland, aufweisen. Die ohnehin schon finanziell angeschlagene kalifornische Company dürfte Microsofts geballte Marktmacht am stärksten zu spüren bekommen, weil sie mit ihren Produkten großteils auf die Windows-Plattform abzielt. Aufgrund von Microsofts Politik, die Spöttern zufolge alle Plattformen unterstützt, solange sie Windows NT heißen, gerät Borland deshalb in die Schußlinie. Viel wird für den Tool-Spezialisten davon abhängen, wie schnell er den sich schon lange hinziehenden Einstieg in den Java-Markt schafft und wann er den zugekauften Applikations-Server "Entera" mit den eigenen Produkten integrieren kann.

In puncto Multiplattform-Unterstützung ist die Sybase-Tochter Powersoft schon weiter, weist aber bei der Integration der Produkte einen ähnlichen Stand auf wie Microsoft. Eine gemeinsame IDE gibt es für C++ und Java, beide Umgebungen laufen bis dato aber nur unter Windows. Powerbuilder 6.0 wird in dieser Hinsicht noch eigene Wege gehen.

Auch wenn sich durch die geplante enge Integration der Tools irgendwann eine Vertriebsstrategie ähnlich der Microsofts aufdrängt, so ist doch für die nächste Zeit kein Bundle geplant. Unmittelbar reagierte Powersofts Marketing-Abteilung mit einer einheitlichen Namenskonvention für die Entwicklungswerkzeuge. Während bei Microsoft alles "Visual" ist, heißt nun bei der Sybase-Tochter alles "Power": "Optima++" wurde in "Power++", "S-Designer" in "Power Designer" umbenannt.

Sybase reagiert mit Marketing

Das neue Java-Tool, das unter dem Codenamen "Jato" angekündigt wurde, soll auf "Power J" getauft werden. In der Auseinandersetzung mit Microsoft hofft Powersofts Marketing-Manager Jürgen Zugck darauf, daß die Anwender die Qualität und Offenheit der Einzelprodukte zu schätzen wissen. Er verweist darauf, daß beispielsweise das derzeit im Betastadium befindliche Transaktionssystem "Jaguar" nicht nur Active X Controls, sondern auch Corba-Objekte und Javabeans unterstützen wird. Der zum Visual Studio Enterprise hinzugepackte "MS Transaction Server" hingegen ist wie viele andere Produkte aus Redmond auf Microsoft-Technologie beschränkt.

Am wenigsten bedroht durch Microsofts Bundling sieht man sich bei der IBM. Mit dem tradionellen Fokus auf Großkunden verweist der für Tools zuständige Produkt-Manager Michael Beer darauf, daß Visual Studio brennende Anwendersorgen wie die Datumsumstellung zum Jahr 2000 überhaupt nicht berührt. Auch die nötige Skalierbarkeit für die Applikationen könne Visual Studio nicht bieten, weil es nur NT unterstützt (und das nur auf Intel, ausgenommen eine DEC-Alpha-Version von VC++ in der Enterprise-Version). Eine Schlüsselrolle in diesem Zusammenhang spielt das Internet, weil es die zukünftigen Anforderungen an Anwendungen unberechbar macht. Die statische Beschränkung einer Applikation auf die Abteilungsebene durch die Wahl von NT als Plattform kann sich nachteilig auswirken, wenn sie plötzlich für das Web geöffnet werden muß. IBM wirbt deshalb damit, daß die eigenen "Visual-Age"-Produkte für eine Vielzahl von Plattformen verfügbar sind.

Ein Bundling dieser Tools ist in nächster Zeit nicht vorgesehen. Nicht zuletzt vertraut Big Blue darauf, daß die weite Verbreitung hauseigener Technologie den Entwicklungswerkzeugen Auftrieb gibt: Die Programmierung von CICS ist beispielsweise deren Domäne.