Microsoft-Chef Bill Gates: Keiner will Software mieten

22.10.1999
Neue Trends in der IT-Branche wie Application-Hosting oder Open-Source-Programme können die Festung des Softwarekonzerns Microsoft nicht erschüttern. So zumindest äußerte sich dessen Gründer und Chef Bill Gates im Gespräch mit den CW-Redakteuren Christoph Witte, Wolfgang Sommergut und Frank Niemann.

CW: In der Internet-Ära verändert sich das Softwaregeschäft sehr schnell. Nichts scheint so zu bleiben, wie es ist. Ein Trend, den wir beobachten, ist die Abwertung von Softwarelizenzen. Was halten Sie vom Modell der Application-Service-Provider (ASPs)?

GATES: Wir vermieten unsere Software schon heute. Ich sehe zu unserem Modell keinen Unterschied.

CW: Der Unterschied ist, daß Anwender bei einem ASP kein Softwarepaket kaufen müssen, um dann die Programme selbst von einer CD zu installieren.

GATES: Alle unsere Großkunden betreiben System-Management und verteilen Software über ihr Netzwerk auf die PCs.

CW: Aber beim ASP-Modell greift der Anwender über den Browser auf gemietete Applikationen zu, die beim Dienstleister laufen.

GATES: Sie vermischen da einige Dinge. Haben Sie denn ein System, das es Ihnen erlaubt, Programme auch dann zu nutzen, wenn der Rechner nicht mit dem Netzwerk verbunden ist? Alle Welt weiß: Die Antwortzeit der Computer ist viel besser, wenn sie lokale Rechnerkapazität nutzen. Es ist unerheblich, wo im Netzwerk die Software läuft. Eine andere Frage ist, ob Sie für die Software einmal bezahlen oder für ihre Nutzung über einen bestimmten Zeitraum oder ob die Programme gar nichts kosten. Doch die Architektur des Systems und das Bezahlmodell sind völlig unabhängig voneinander. Wir bieten heute jede Lizenzierungsoption. Außerdem können Sie unsere Anwendungen auch hosten. Beispielsweise nutzen viele unserer Kunden das Office-Paket, indem sie auf einen Windows Terminal Server zugreifen. Das können Sie nun Vermietung von Software oder sonstwie nennen. Dies ist die einzige Form des Hosting die eine nennenswerte Zahl an Anwendern nutzt.

CW: Sie machen keinen Unterschied zwischen dem lokalen Netz und dem Internet?

GATES: Wo ist da der Unterschied? Sie finden in beiden Netztypen Internet-Standards vor. Wir haben eine Software-Architektur, die es Ihnen erlaubt, die Software von Ihren eigenen Servern, den unsrigen oder von den Systemen unserer Partnern zu laden. Gleichzeitig können Sie die lokale Rechenpower Ihres Produkts nutzen, und zwar auch unabhängig vom Netz. Im Gegensatz zu einigen anderen Herstellern entwickeln wir keine Programme, die Sie zwingen, überteuerte Server-Systeme zu kaufen.

CW: Nun soll es Leute geben, die nicht nur meinen, die Server seien überteuert, sondern auch Office-Pakete. Im Gegensatz dazu verschenkt Sun jetzt "Star Office", ein Produkt der jüngst übernommenen Firma Star Division.

GATES: Der alte Besitzer dachte, die Software verkaufen zu können, der neue Firmeneigentümer Sun ist ein Hardwarehersteller, den Software nicht interessiert. Sie haben tatsächlich fest daran geglaubt, sie könnten auch weiterhin Geld für die Programme zu verlangen, doch leider haben sie die Idee wieder fallenlassen.

CW: Was halten Sie von der Open-Source-Bewegung, dem Trend, daß im Internet immer mehr Software kostenlos zu haben ist? Wo sehen Sie die Unterschiede zwischen Red Hat und Microsoft?

GATES: Red Hat ist im Softwaregeschäft genauso wie wir. Sie müssen für deren Programme auch bezahlen.

CW: Aber Sie können eine CD beliebig oft im Unternehmen installieren.

GATES: Sie sind im Software-Business.

CW: Noch einmal: Was unterscheidet Sie von Red Hat?

GATES: Wir stellen unterschiedliche Produkte her. Wir sind dabei, das Betriebssystem auf eine neue Ebene zu bringen. Dazu zählen beispielsweise das "Natural Interface" und die Verwaltbarkeit, so daß die Verteilung von Software automatisch vonstatten geht. Wer redet heute noch vom Network Computer? Gehen Sie doch mal zu den Firmen, die gesagt haben, sie würden NCs einführen. Fragen Sie die Verantwortlichen dort, wieviel Geld sie in den Sand gesetzt haben damit.

CW: Werden Sie in den nächsten fünf bis zehn Jahren verstärkt an Services verdienen, oder bleibt alles beim Lizenzgeschäft?

GATES: Keiner will heute Software mieten. Die Kunden möchten die Programme kaufen und dann für immer nutzen.

CW: Aber mit der jüngst vorgestellten Website Bcentral bewegen Sie sich doch in Richtung Service?

GATES: Was meinen Sie mit Service? Oracle oder Anderson Consulting haben Servicemitarbeiter, die Firmenkunden besuchen. Sie benutzen das Wort in einer Weise, die ich noch nie gehört habe. Wenn Sie ein Programm auf einem Host laufen lassen, bleibt es Software, es ist dadurch noch kein Service.

CW: Nennen wir es Softwareservices, diesen Begriff verwendet Microsofts President Steve Ballmer auch.

GATES: Wir verwenden diesen Begriff, um darauf hinzuweisen, daß die Sichtweise eine andere ist, wenn das Programm auf einem Server läuft. Bcentral ist unser Hosted-Service. Es ist aber immer noch die gleiche Software. Wir haben unsere Programme, beispielsweise "Office", so verbessert, daß sie auch bei einem Hosting-Provider laufen können.

CW: Was sind denn dann die neuen Softwareservices, die Sie anbieten wollen? Bleibt es bei Programmen wie Office und "Exchange", die Kunden herunterladen können, oder sind es Softwareservices, die ASPs anbieten sollen?

GATES: Jedes unserer Softwareprodukte wird in drei verschiedenen Formen verfügbar sein: als Hosted-Service, als Anwendung auf dem Server des Kunden, oder Sie können das Programm auf Ihrem mobilen PC nutzen.

CW: Software wird bekanntlich immer komplexer. Windows 2000 beispielsweise besteht aus rund 40 Millionen Programmzeilen, ein großer Teil davon ist neuer Code. Gehört nicht den modularen Anwendungen die Zukunft?

GATES: Das am stärksten modularisierte Betriebssystem, das jemals entwickelt wurde, heißt Windows 2000. Mit unserem COM+-Modell haben wir ein neues Kapitel in Sachen Modularisierung aufgeschlagen.

CW: Trotzdem bleibt die Komplexität. Windows 2000 enthält das besagte COM+, einen Transaktionsmonitor, Web-Server und zahlreiche Programmier-Schnittstellen. Ein solches System ist offenbar auch für Microsoft schwer zu realisieren, denn das Betriebssystem hat bereits zwei bis drei Jahre Verspätung.

GATES: Nein, es verzögert sich nur etwas mehr als ein Jahr. (Anm. d. Red.: Im November 1998 benannte Microsoft "Windows NT 5" in "Windows 2000" um. Bezieht man sich nur auf den Namen des Produkts, hat Gates recht).

CW: Die US Army wechselte von Windows NT zu Mac-OS als Betriebssystem für ihre Website, und zwar aus Sicherheitsgründen.

GATES: Mac-OS als Server? Leben wir im gleichen Universum? Die US Army hat Tausende von NT-Servern im Einsatz, glauben Sie, die haben alle umgestellt? Nein. (Anm. d. Red.: Microsoft hat den Bericht des IDG News Service bisher nie offiziell dementiert).

CW: Einige Experten meinen, ihnen ist es lieber, den Sourcecode einer Software zu besitzen, da sie dann bei Bedarf Veränderungen vornehmen können, insbesondere, wenn sie Sicherheitslücken entdecken. Was würden Sie denen antworten?

GATES: Ich würde Ihnen anbieten, bei Microsoft zu arbeiten. Wie viele Leute werden wohl den Quellcode eines Betriebssystems verändern und dieses dann neu kompilieren? Kaum einer unserer Kunden hat Interesse daran, darum tun wir das für sie. Schließlich zerlegt ja auch niemand sein Auto selbst, wenn es nicht funktioniert.

CW: Aber Autos sind heute viel zuverlässiger als Softwareprogramme.

GATES: Wir haben bei Windows 2000 mehr Geld, Zeit und Personal in das Testen investiert als in die Entwicklung. Wer von den Open-Source-Leuten kümmert sich denn schon um Binärkompatibilität? Wir bringen eine Version heraus, die mit jeder Hardware und aller Software läuft.

CW: Es kommen immer mehr Black-Box-Systeme auf den Markt, beispielsweise Web-Server aus einem Guß. Dort ist es doch egal, ob nun Windows oder Linux läuft.

GATES: Wir sind schon in diesem Geschäft. Es gibt verschiedene Betriebssysteme für diese Geräte, Linux macht uns da aber ganz bestimmt keine Konkurrenz.

CW: Microsoft hat viel Geld in Kabelfirmen wie Comcast, AT&T und andere investiert. Warum?

GATES: Manchmal übernehmen wir Firmen, um die Entwicklung neuer Produkte zu beschleunigen. Die größten waren Web TV und Hotmail. Dann haben wir ein paar Minderheitsbeteiligungen an Firmen, doch wir mischen uns dort nicht ins Management ein. Wir sind finanziell nur eingestiegen, um die Beziehungen zu diesen Unternehmen zu stärken. So wollen wir unsere Vision von der Zukunft des Fernsehers realisieren helfen: Internet-Zugang, Programmierbarkeit, Auswahl von Spielfilmen, eine benutzerfreundliche Schnittstelle, Spracherkennung. Durch unsere Beteiligungen an Kabelfirmen möchten wir die Verbesserung der Netzinfrastruktur vorantreiben, so daß wir mit Windows CE ausgestattete Set-top-Boxen daran anschließen können.

CW: Kommen wir zu einem ganz anderen Thema. Sie haben mehrere Milliarden Dollar an Ihre Stiftungen gespendet. Was hat Sie dazu bewogen?

GATES: Ich dachte schon immer, daß meine Reichtümer der Gesellschaft zugute kommen sollten. Meiner Ansicht nach dürfen die technologischen und medizinischen Errungenschaften unserer Zeit nicht nur einer privilegierten Schicht vorbehalten sein. In den USA gibt es 16 000 Bibliotheken, und diese erhalten nun einen Internet-Zugang und PC-Software, so daß jedes Kind im Web surfen kann.