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Thema des Tages

Microsoft: Bald Schluß mit Monopoly?

08.11.1999
Thema des Tages

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) – Der US-Bezirksrichter Thomas Jackson hat in seinem bilanzierenden "Finding of facts", dem vorläufigen Schlußpunkt des Kartellverfahrens gegen Microsoft, eindeutig festgestellt, daß die Gates-Company ein Monopol zum Schaden der Verbraucher und der Konkurrenz besitzt. Nun heißt es abwarten, ob sich diese Sichtweise auch im endgültigen Urteil niederschlägt – falls es überhaupt zu einem solchen kommt. Vieles deutet darauf hin, daß der Richter Microsoft mit seinen eindeutigen Aussagen zu einer außergerichtlichen Einigung bewegen will.

Die Feststellung der Tatsachen

Genau 207 Seiten lang ist der Bericht, in dem Richter Jackson den bisherigen Verlauf des Antitrust-Verfahrens bilanziert.

"Microsoft hat gezeigt, daß es seine enorme Marktmacht und seine immensen Profite einsetzt, um jedem Unternehmen zu schaden, das irgendwelche Anstrengungen unternimmt, die den Wettbewerb gegen eines von Microsofts Kernprodukten verstärken könnten", so die eindeutige Meinung des Bezirksrichters. Zahlreiche Innovationen, "von denen Verbraucher eindeutig profitieren würden, erscheinen einzig und allein deshalb nicht auf dem Markt, weil sie Microsofts Eigeninteresse im Weg stehen." Der Schaden für die Verbraucher sei "direkt und unmittelbar zu erkennen."

Es gab allerdings nicht nur Schelte für die Gates-Company. Richter Jackson räumte zumindest ein, daß das Erscheinen und die "rasche Verbesserung" des Microsoft-Browsers "Internet Explorer" Netscape einen "Ansporn" gegeben habe, den eigenen "Navigator" in einem "konkurrenzfähigen Maße" zu verbessern. Die Auslieferung des Internet Explorer mit Windows habe, so Jackson, die "generelle Verbreitung des Internet beschleunigt" und für die Verbraucher "die Zugangskosten zumindest insofern gesenkt, als Netscape genötigt wurde, nicht länger Geld für den Navigator zu verlangen". Damit war aber auch schon Schluß mit Nettigkeiten. Es sei ein "Scheinargument" von Microsoft, die Bündelung des Browsers mit Windows sei wichtig für die Integrität der Betriebssystemplattform. Microsoft habe seinem Browser Vertriebswege gesichert, die das Unternehmen gleichzeitig dem konkurrierenden Navigator verwehrt habe, so Jackson weiter.

Auch andere Argumente, die Microsoft im Laufe des Verfahrens zu seiner Verteidigung vorgebracht hatte, wollte der Richter nicht gelten lassen. In bezug auf möglichen Wettbewerb erklärte er unter anderem, Apple Computer sei zu klein, um wirksam mit Windows zu konkurrieren. Auch das Open-Source-Betriebssystem Linux stelle keine wirkliche Gefahr für Microsoft dar. "Eine Barriere bei der Anwendungssoftware" stehe einem echten Markteintritt von Linux entgegen. "Einige Softwareanbieter haben Linux-Versionen ihrer Anwendungen veröffentlicht oder zumindest angekündigt. Bis dato gibt es aber Legionen [von Softwareherstellern], die diesem Schritt nicht gefolgt sind."

Was sagen Gates und Microsoft dazu?

Microsoft zeigte sich von alledem ziemlich ungerührt und pocht weiterhin auf sein Recht, "innovative Produkte" zu vermarkten ("Freedom to innovate"). "Wir wollen dieses Verfahren so fair, verantwortungsvoll und schnell wie möglich beenden", erklärte Firmengründer und CEO (Chief Executive Officer) Bill Gates. Der sieht, wie nicht anders zu erwarten, gleich den amerikanischen Traum in Gefahr. "Prinzipien, die Amerika zum technologischen Vorreiter gemacht haben, müssen geschützt werden", beharrt der Softwaremogul. Schließlich handele Microsoft nach den wesentlichen amerikanischen Grundwerten: Innovation, Integrität, Dienst am Kunden, Partnerschaft und Qualität. "Wie jedes andere Unternehmen konkurrieren wir am Markt, aber immer fair", insistierte Gates in seiner Erwiderung auf die "nackten Tatsachen" Jacksons.

Microsofts Chefanwalt Bill Neukom bläst ins gleiche Horn. "Wir sind überzeugt, daß das amerikanische Rechtssystem letzten Endes die Position von Microsoft teilen wird, daß Millionen von Menschen von Microsofts Innovationen profitieren." Ansonsten fiel die Stellungnahme der Gates-Company ausgesprochen moderat aus. Beobachter deuten die "respektvolle Nicht-Übereinstimmung" von Gates und den weitgehenden Verzicht auf Kritik an den Aussagen Jacksons bereits als einen Hinweis auf eine mögliche außergerichtlichte Einigung.

Die Konkurrenz lacht sich ins Fäustchen...

"Dies ist ein enormer Erfolg für Amerikas Verbraucher", freute sich Joel Klein, oberster Kartellanwalt des Justizministeriums. "Es beweist, daß kein Unternehmen über dem Gesetz steht." Auch Justizministerin Janet Reno pflichtete bei: "Ein großer Tag für die Verbraucher."

Ransome Love, CEO des Linux-Distributors Caldera, zeigte sich noch euphorischer und begrüßte Jacksons Abhandlung mit einem "Halleluja!", das er anschließend aber vorsichtig relativierte: "Niemand will Microsoft untergehen sehen - wir alle wollen nur, daß sie fair spielen."

Auch Jean-Louis Gasseé, Chef der alternativen Betriebssystemschmiede Be Inc., ist zufrieden mit Jacksons Feststellungen. "Das könnte eine veränderte Wahrnehmung hervorrufen. Auch wenn die praktischen Konsequenzen noch nicht abzusehen sind, könnten sich zumindest in psychologischer Hinsicht Türen öffnen. Die Menschen werden Microsoft mit anderen Augen betrachten."

Auch der mächtige Softwareverband SIIA (Software and Information Industry Association), traditionell ein Verfechter des Kartellrechts, stimmt Jackson zu. "Der Richter hat erneut bestätigt, daß das Kartellrecht auch für die IT-Industrie gilt, und daß sich wettbewerbsschädigendes Verhalten in unserer Branche nicht von dem in anderen Marktsegmenten unterscheidet", erklärte SIAA-President Ken Wasch in einer Stellungnahme.

Microsoft-Rivale Sun Microsystems meldete sich ebenfalls prompt zu Wort. Die McNealy-Company hatte sogar gleich eine Reihe von Vorschlägen parat, wie Richter Jackson in einem möglichen Urteil gegen Microsoft vorgehen könnte. Unter anderem wünscht sich Sun, daß Microsoft künftig keine Beteiligungen an TK-Unternehmen erwerben darf, Technik selbst erfinden und nicht zukaufen sowie seine Preispolitik öffentlich machen soll.

Eine interessante Sicht der Dinge äußerte Open-Source-Advokat Eric Raymond gegenüber "Computerwire": "Der Prozeß ist irrelevant. Microsoft steckt in Riesenschwierigkeiten, ganz egal wie das Verfahren ausgeht." Raymond sieht nämlich durch die immer weiter fallenden Hardware-Preise das Geschäftsmodell der Gates-Company grundsätzlich in Gefahr. Für die Kunden machten die Microsoft-Lizenzgebühren einen immer höheren Anteil am Anschaffungspreis aus, und das habe ein Umdenken zur Folge. Das "Marketing-Desaster" Windows CE, Verzögerungen bei Windows 2000, die Gefahr durch Linux und das drohende weitere Kartellverfahren, das von Caldera angestrengt wird, könnten Microsofts gewohntes Umsatz- und Gewinnwachstum bremsen, meint Raymond. "Sobald die Aktie nicht mehr steigt, funktioniert die Options-Maschine nicht mehr. Die Angestellten seilen sich dann in Richtung Silicon Valley ab."

Abwarten und Däumchen drehen

Die Entscheidung im Kartellverfahren findet in drei Stufen statt. Das jetzt veröffentlichte Findings of fact ist der erste Schritt. Nun haben die beiden Parteien, Microsoft auf der einen und das Justizministerium samt 19 US-Bundesstaaten auf der anderen Seite, 30 Tage lang Zeit, ihre Sicht der Rechtslage jeweils in einem sogenannten "Findings of law" darzulegen. Anschließend wird Richter Jackson seine eigene Sicht der Dinge nochmals in einem eigenen Findings of law darlegen. Nach diesem zweiten Schritt folgt dann eine eventuelle Urteilsverkündung, die Strafen (beispielsweise Geldbußen) und andere Rechtsmittel bis hin zu einer möglichen Zwangsaufteilung des Redmonder Software-Imperiums beinhalten könnte. Dieser dritte Schritt ist nicht mehr für 1999 zu erwarten. Gegen das Urteil können beide Seiten Berufung einlegen.

Beobachter vermuten aufgrund dieser - auch im US-Rechtssystem keineswegs üblichen - Dreiteilung des juristischen "Endspiels" bereits seit geraumer Zeit, daß Richter Jackson Microsoft zu einer außergerichtlichen Einigung bewegen möchte. Eine solche würde zum einen das Gericht von der schwierigen Aufgabe entheben, eine mögliche Lösung auszutüfteln und zum anderen verhindern, daß es zu einem jahrelangen Weg durch die Instanzen käme.

Vieles deutet darauf hin, daß Microsoft eine außergerichtliche Einigung suchen wird. Diese Ansicht vertritt auch der ehemalige Netscape-Chef James Barksdale: "Mir scheint, daß Microsoft hier zu einer Einigung genötigt werden soll, bevor der Richter ein Urteil fällt. Jackson wirkt wild entschlossen, das [wettbewerbsschädigende] Verhalten zu stoppen."

Es gibt allerdings auch genügend Stimmen, die nicht an eine gütliche Einigung glauben wollen. "Microsoft wird in die Berufung gehen", vermutet etwa Hillard Sterling, Kartellanwalt bei Gordon & Glickson. "Beide Seiten haben sich zu stark hinter ihren bisherigen Positionen verschanzt, ein Treffen in der Mitte ist deshalb kaum vorstellbar."

Kommentar

Als Überraschung kann man nicht bezeichnen, was Richter Jackson auf mehr als 200 Seiten festgestellt hat: Jeder, der einen PC besitzt oder benutzt, weiß um die Vormachtstellung von Microsoft auf dem Desktop. Man schreibt mit Word, rechnet mit Excel, präsentiert mit Powerpoint, braust mit dem Internet Explorer durchs Web und schreibt seine E-Mails mit Outlook – mangels vergleichbarer Alternativen. Und das alles unter einem integrierenden Betriebssystem, das man schon beim Kauf auf seinem Rechner vorgefunden hat. Daß es an echten Konkurrenzangeboten mangelt, ist des Monopudels Kern: Microsoft hat es in seiner mehr als 20jährigen Firmengeschichte stets geschickt verstanden, interessante Entwicklungen der Konkurrenz abzukupfern, aufzukaufen oder zu unterdrücken – je nachdem, was gerade am geeignetsten erschien. Sei es DR-DOS, WordPerfect oder die Browser von Netscape (um nur die populärsten zu nennen) – viele, technisch teilweise deutlich überlegene Produkte sind zum Teil samt ihren Anbietern vom Markt verschwunden oder drohen in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Dem könnte bald ein mehr oder weniger massiver Riegel vorgeschoben werden – in unser aller Interesse wäre das nur wünschenswert. (tc)